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Schlesien: Die Welt von gestern und heute

Unser Autor Hans-Herbert Holzamer war auf Entdeckungsreise in Schlesien. Zurück kommt er mit dem Eindruck, dass alles, was dort auf die deutsche Geschichte der Region hinweist, im Schlesien von heute weitgehend ignoriert wird. Hier ist sein persönlicher Blick auf Schlesien.

Der Marktplatz von Breslau.

Der Marktplatz von Breslau.

„Ich habe lange gezögert, bis ich mich dazu durchgerungen habe, den Boden meiner alten, so sehr geliebten Heimat wieder zu betreten. Um es vorweg zu nehmen: Ich habe es nicht bereut. Solche Reisen können allenfalls Illusionen zerstören, aber keine Erinnerungen.“ So begann mein in Breslau geborener Schwiegervater seinen Bericht über eine Schlesienreise, die er vor 36 Jahre, also 1978, unternahm. Und diese Zeit hat es auch gedauert, bis ich mich jetzt mit meiner Frau aufmachte, dieses ferne, nahe Land zu besuchen.

Wer fährt schon dahin, fragt sich der Journalist, außer Sehnsuchtstouristen? Im Flugzeug nach Breslau waren dementsprechend auch viele Polen auf Heimaturlaub und einige Greise, die, gestützt von Kindern und Enkeln, die schwere Fahrt antraten. Und wer will uns dort haben? Wer sieht nicht in jedem Deutschen einen der nach privatem oder nationalem Eigentum in Schlesien sucht?

Eher Wrocław, oder doch Breslau

Der Breslauer Dom wurde in den Jahren von 1244 bis 1341 im gotischen Stil errichtet. Seine Türme sind mit knapp 98 Metern die höchsten Kirchtürme Breslaus und eines der Wahrzeichen der 630 000-Einwohner-Stadt.

Der Breslauer Dom wurde in den Jahren von 1244 bis 1341 im gotischen Stil errichtet. Seine Türme sind mit knapp 98 Metern die höchsten Kirchtürme Breslaus und eines der Wahrzeichen der 630 000-Einwohner-Stadt.

Ob aus den alten oder den neuen Bundesländern, die Nachbarn können mit uns wenig anfangen. Sagen wir Wrocław, ist das anbiedernde Heimtücke der früheren DDR-Bürger, die sich nie zur Verantwortung für das Leid der Polen im Zweiten Weltkrieg bekannten, sagen wir Breslau, ist das Revanchismus. So bringt es Steffen Möller in „Viva Polonia – als deutscher Gastarbeiter in Polen“ – auf den Punkt. Steffen Möller ist ein deutscher Schauspieler, Kabarettist und Autor, der es in Polen zu großer Popularität gebracht hat. Dass wir Mailand und nicht Milano sagen, obwohl es mal zum Habsburger Reich gehörte, regt keinen Deutsch verstehenden Italiener auf. Also, warum tut man sich Schlesien an, wenn man keinen heimatlichen Bezug hat?

Die Polen sind ein herzliches Volk

Für mich steht die Antwort nach dieser Expedition fest: Weil es sich lohnt, weil man vieles lernt, weil man sich freuen und sich aufregen kann. Kurzum, weil es keinen unberührt lässt. Die Polen sind ein sympathisches, unaufgeregtes und freundliches Volk, das gerade zu Kindern, und es hat viele davon, eine von selbstverständlicher Herzlichkeit geprägte Einstellung hat. Das empfindet man durchaus aus vorbildlich. Und es bewegt zu sehen, dass es abends in Breslau  Studenten sind, welche die Kirchen füllen.

Von Vorbehalten und Erwartungen

Das Städtische Museum Gerhart-Hauptmann-Haus befindet sich in der Villa Wiesenstein in Jagniatków (früher Agnetendorf), in dem Gerhart Hauptmann, der bekannte deutsche Schriftsteller und Nobelpreisträger, von 1901 bis zu seinem Tode im Jahre 1946 lebte.

Das Städtische Museum Gerhart-Hauptmann-Haus befindet sich in der Villa Wiesenstein in Jagniatków (früher Agnetendorf), in dem Gerhart Hauptmann, der bekannte deutsche Schriftsteller und Nobelpreisträger, von 1901 bis zu seinem Tode im Jahre 1946 lebte.

In Schlesien erzählen diejenigen Polen, mit denen man in Kontakt kommt, von ihren Wurzeln in Lemberg und anderen, vor allem galizischen und für Polen verlorenen Landesteilen im Osten. Alte, die uns im Markt von Breslau ansprachen, bezeichneten sich (auf Deutsch) als Schlesier. Polen seien sie nicht. Einfach ist die Kommunikation nicht, man spürt Vorbehalte und Erwartungen. Und es wird durch die staatlicherseits unternommenen Versuche, die deutschsprachige Vergangenheit zu tilgen, nicht besser.

In Breslau wurden Rathaus, Kirchen und Straßenzüge mit bemerkenswerter Sorgfalt wiederaufgebaut oder restauriert. Mit einer Besonderheit: Alle deutschen Inschriften auf Tafeln, Säulen oder Mauern wurden weggekratzt.

Wenn man gleichzeitig restauriert und wegkratzt, können nur Hülsen, Staffagen übrigbleiben, die man versucht, mit Inhalten aus der Zeit von Boleslaw und den Piasten auszufüllen. Was nicht funktioniert, weil es gelogene Geschichtsklitterung ist und viele Jahrhunderte fehlen.

Besonders peinlich ist es, wenn in der Universität, der Leopoldina, die deutschen Nobelpreisträger und Professoren vorgestellt werden – ausschließlich auf Polnisch und Englisch – nur die Originaldokumente sind deutsch. Deutsch sind auch Aufforderungen zu spenden und Hinweise, dass die Restaurierung mit deutschem Geld erfolgte.

Hinweise auf Deutsch finden sich nur schwerlich

Das Schloss Fürstenstein ist das größte Schloss Schlesiens.

Das Schloss Fürstenstein ist das größte Schloss Schlesiens.

Die Bundesrepublik ist in Schlesien nicht nur an der Breslauer Uni präsent, auch das Gerhart-Hauptmann-Haus in Agnetendorf wurde mit deutschem Geld wiederhergestellt  und die Begegnungsstätte in Kreisau im Anwesen der Familie Moltke. Man muss die Orte allerdings mit Mühe finden, es gibt keine deutschsprachigen Hinweise. Und ist man dort, fühlt man sich in Oasen, weil keine Polen da sind und man nicht den Eindruck gewinnt, als wären diese Institutionen in die Strukturen des Landes integriert. Es sind widerwillig tolerierte Fremdkörper.

Akzeptiert von dem, was man von den Deutschen übernahm, ist nichts. Was dir zugewiesen von den Siegern, erwirb es, um es zu besitzen, könnte ein Merksatz lauten in Anlehnung an die Empfehlung, wie man mit seinem Erbe umgehen sollte.

Von Liebe keine Spur

Die Schneekoppe ist mit 1602 Metern die höchste Erhebung im Riesengebirge und der höchste Berg der Sudeten. Über den Gipfel verläuft die Staatsgrenze zwischen Polen und Tschechien. Der Gipfel liegt oberhalb der Waldgrenze und ist  in den Sommermonaten das Ziel zahlreicher Besucher.

Die Schneekoppe ist mit 1602 Metern die höchste Erhebung im Riesengebirge und der höchste Berg der Sudeten. Über den Gipfel verläuft die Staatsgrenze zwischen Polen und Tschechien. Der Gipfel liegt oberhalb der Waldgrenze und ist in den Sommermonaten das Ziel zahlreicher Besucher.

Aber dieses Land wird von den neuen Besitzern nicht geliebt. Das merkt man besonders deutlich beim Umgang mit der Schneekoppe, Schlesiens höchstem und mystischem Berg. In Krummbühel, das man in keiner Karte und auf keinem Schild findet, das heute Karpacz heißt, hat man mit dem Hotel Golebiewski einen 1000-Zimmer-Klotz in die Sudeten gestellt, der andere Hotels und Pensionen in dem Ort zum Verfall verurteilt hat. Wer so etwas tut, liebt das Land nicht.

Das wird deutlich an den gekratzten Tafeln, dem Ignorieren der Geschichte, vor allem auch an dem Unverständnis für die Märchen und Mythen. Inzwischen hat man zwar den Rübezahl als Liczyrzepa übernommen, aber er degenerierte zu einem langhaarigen Schrat, der oben auf der Schneekoppe den Wanderern abstempelt, dass sie erfolgreich den Gipfel gestürmt haben.

Ein „peinlicher“ Vogel lockt Besucher an

Noch peinlicher ist es im Schloss Fürstenstein. Hier lockt ein Vogel in einer Mischuniform von Wehrmacht und SS zu einem Besuch in die Stollen unter dem sehenswerten Anwesen des Herzog Bolko I. von Schweidnitz, wo in den letzten Kriegsjahren Zwangsarbeiter aus Groß-Rosen ein weiteres Führerhauptquartier in den Fels meißeln mussten.

Nur historische Wüste

Die evangelische Friedenskirche Schweidnitz gehört zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten in Schlesien. Sie befindet sich seit dem Jahr 2001 auf der Weltkulturerbe-Liste der Unesco und gilt als die größte Fachwerkkirche in Europa.

Die evangelische Friedenskirche Schweidnitz gehört zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten in Schlesien. Sie befindet sich seit dem Jahr 2001 auf der Weltkulturerbe-Liste der Unesco und gilt als die größte Fachwerkkirche in Europa.

Auch das ehemalige Konzentrationslager Groß-Rosen muss man suchen, um seinen mehr als 40 000 Toten die Reverenz zu erweisen. Und nur weil wir uns – mal wieder – verfahren hatten, kamen wir ins Eulengebirge und nach Wüstewaltersdorf (Walim), wo weitere Stollen gegraben wurden und weitere Menschen in einem der zahlreichen Arbeitslager des Projekts Riese zu Tode kamen. Keine Information, kein Hinweis, nur historische Wüste, durch die man sich den Weg suchen muss wie auf einer Expedition ins Unbekannte.

So kamen wir auch nach Schweidnitz in die Friedenskirche, ein Wunderwerk entschlossenen protestantischen Glaubens nach dem Westfälischen Frieden, in einem Jahr und nur aus Holz gebaut. Seit 2001 ist die Kirche Weltkulturerbe, an ihrer Decke prangen viele Bibelworte vom „Ewigen Evangelium”, die man nicht weggekratzt hat, dafür aber wird der Besucher dauerhaft von einem polnischen Lautsprecher beschallt.

Das Land leidet an Auszehrung

Groß-Rosen war ein Konzentrationslager der deutschen Nationalsozialisten in Niederschlesien. Es befand sich 60 km südwestlich von Breslau. Zwischen 1940 und 1945 waren im KZ Groß-Rosen etwa 130 000 Menschen inhaftiert, davon sind zirka 40 000 ermordet worden.

Groß-Rosen war ein Konzentrationslager der deutschen Nationalsozialisten in Niederschlesien. Es befand sich 60 km südwestlich von Breslau. Zwischen 1940 und 1945 waren im KZ Groß-Rosen etwa 130 000 Menschen inhaftiert, davon sind zirka 40 000 ermordet worden.

Die Dinge, die sehenswert sind in Schlesien, muss man sich erschließen, und sie weisen in die Vergangenheit. So kinderfreundlich die Polen auch sind, das Land leidet an Auszehrung. Zur Geschichtslosigkeit gesellt sich die Perspektivlosigkeit. Als wir zurück in Bayern auf einer Baustelle den Arbeitern mit dem eben erlernten „dschin dobre“ einen guten Tag wünschten, erzählten sie freudestrahlend, sie kämen aus „Schlesien, aus Deutsch-Polen“. Das stimmt nur bedingt. Sie wären hier, weil es dort keine Arbeit und keine Zukunft gäbe. Das könnte unbedingt stimmen.

„Viel mußte sich ereignen, unendlich viel mehr, als sonst einer einzelnen Generation an Geschehnissen, Katastrophen und Prüfungen zugeteilt ist, ehe ich den Mut fand, ein Buch zu beginnen“, so sagte Stefan Zweig, bevor er „die Welt von Gestern“ schrieb. Aber ohne die Welt von gestern, zerrinnt die Welt von heute.

Fotos: Hans-Herbert Holzamer

Raushier-Reisemagazin