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Das große Blutvergießen: eine Beerdigung bei den Toraja

Aylin und Stefan wollen das Mark des Lebens aufsaugen. Auch darum sind sie auf Weltreise. Auf ihrem Blog Today We Travel berichten sie von Erlebnissen aus aller Welt: kurios, trivial, nachdenklich und vor allem gnadenlos ehrlich. Zwei Monate verbrachte das Paar in Indonesien auf Java, Bali und Sulawesi. Dort besuchte es eine Beerdigungszermonie beim Volk der Toraja.

Die Toraja opfern traditionell bei Beerdigungszermonien Wasserbüffel.

Die Toraja opfern traditionell bei Beerdigungszermonien Wasserbüffel.

Andere Kulturen kennenlernen zu wollen, ist ein ehrwürdiges Interesse. Und doch ist das mit dem Kulturtourismus, oft Minoritätentourismus, so eine Sache. Erstens hat es etwas Merkwürdiges an sich, Menschen bei irgendwelchen ethnisch markierten Tätigkeiten zu beobachten. Denn egal ob Backpacker, Bildungsurlauber oder Pauschalrundreisender: Wir sind Außenseiter, die primär zum Gucken da sind. Dies führt, zweitens, häufig zur Inszenierung einer Folkoreshow, die womöglich gar nichts mehr mit der gelebten Praxis zu tun hat.

Da aber meine Neugierde die Skepsis überwiegt, begeben wir uns ins Zentralhochland Sulawesis, um an einer Beerdigung der Toraja teilzunehmen.

Ein Toraja-Dorf.

Ein Toraja-Dorf.

Die Büffelbörse

Der Wochenmarkt Rantepaos gleicht einer Büffelbörse. Überall ragen mächtige Hörner in den sattblauen Himmel. Harte Männer rotzen auf die Erde, während sie Preise verhandeln. Statt in Wertpapiere, Gold oder Immobilien investieren die Toraja in etwas Lebendiges: Büffel. Dieser sonderbare Markt ist aber nur der Auftakt.

Paradoxerweise ist der Tod das Lebensereignis der Toraja: Kein stiller Abgang, sondern ein mehrtägiges, rauschendes Fest. Nene Joni (Oma Joni) ist vor einem Jahr gestorben. Bis zur heutigen Beerdigung allerdings galt sie nur als krank, lag mumifiziert im Haus ihrer Kinder und wartete auf ihren würdigen Abgang.

Der Wochenmarkt von Rantepao

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Eigens gebaute Beerdigungsstätte

Die Beerdigung beginnt.

Die Beerdigung beginnt.

Und der fällt pompös aus: Eine eigens gebaute Beerdigungsstätte mit dutzenden Bambusbühnen wurde errichtet. Hunderte Verwandte und Freunde sind angereist, um die Hinterbliebenen zu beschenken und Nene Joni ins Totenreich zu verabschieden. Büffel und Schweine werden vorgeführt, ein Moderator liest die Namen der Schenkenden laut vor. Papa Gris (Opa Gris) ist besonders großzügig, dutzenden Schweinen und Büffeln werden seine Initialen aufgesprüht.

Die Verwandten spenden Büffel und Schweine.

Die Verwandten spenden Büffel und Schweine.

Büffel- und Schweinekacke, Blut und Innereien überziehen den Boden. Der Geruch von verbranntem Haar liegt in der Luft. Meine Lippen schmecken nach Eisen. Schweine schreien, sie müssen Todesangst haben. Und das sollten sie auch: Ein gezielter Stich, eine Blutfontäne spritzt empor und binnen weniger Minuten ist das Schwein zerlegt. Und auch Büffeln geht es – wortwörtlich – an den Kragen. Mit einem gezielten Schlag wird ihnen der Kopf abgetrennt, wenn es gut geht, geht es schnell. Zum ersten Mal sehe ich etwas, dass in Deutschland aus dem öffentlichen Raum verbannt ist: Töten. Den letzten Atemzug, den letzten Panikschrei eines Tieres, bevor es vor meinen Augen zuckend ausblutet. Ich gebe mir Mühe, Haltung zu bewahren, mir nicht Augen und Ohren zuzuhalten. Zuzusehen, ohne sofort zu bewerten.

Für westliche Augen ist eine Beerdigung bei den Toraja gewöhnungsbedürftig.

Für westliche Augen ist eine Beerdigung bei den Toraja gewöhnungsbedürftig.

Wenige Touristen

Meine Sorge auf einen Touristenzirkus zu treffen, war unbegründet. Es stapfen ab und zu kakifarbene Touris über den Platz, immer auf der Suche nach dem krassesten, das heißt blutigsten, Fotomotiv. Ich warte darauf, dass jemand den frisch abgeschlagenen Büffelkopf so stark anzoomt, dass das Objektiv in eine blutende Wunde reinmatscht. Ansonsten sind Touristen eine kleine, tolerierte Gruppe, die zwar keine Büffel oder Schweine schenken, aber durch ihre Anwesenheit den Toten ehren.

Zahlreiche Gäste ehren die Verstorbene.

Zahlreiche Gäste ehren die Verstorbene.

Die eigens für die Beerdigung errichtete Anlage platzt aus allen Nähten. Stundenlang laufen Gäste im Takt eines Gongschlags ein, übergeben Geschenke an die Kinder und Enkel von Nene Joni. Noch mehr Schweine werden hereingetragen. Eine Männergruppe tanzt singend auf dem Gabenplatz. Ein Schwein kriegt sich nicht mehr ein, es schreit unentwegt, bis ein Mann seine Fesseln löst. Die Beine sind abgeknickt, gebrochen, es robbt sabbernd nur ein paar Zentimeter vorwärts. „Hoffentlich wird es bald erlöst“, denke ich.

Festlich geschmückte Toraja-Frauen.

Festlich geschmückte Toraja-Frauen.

Beerdigung als Zentrum des Wirtschaftens

Aber nicht jedes der Tiere wird geschlachtet. Die Beerdigungszeremonie ist nur der visuell eindruckvollste Part eines ausgeklügelten sozialen Systems. Peinlichst genau werden jedes Schwein, jeder Büffel notiert. Es entsteht eine Schuld dem Schenkenden gegenüber, so dass eigentlich jeder jedem Büffel oder Schweine schuldet. Wer klug ist, tötet also nicht alle Tiere, sondern verkauft einen Teil oder hütet und pflegt sie, um bei der nächsten Beerdigung das passende Geschenk parat zu haben. Der Tod ist zweifelsfrei ein spirituell zentrales Ereignis, allerdings auch Zentrum des wirtschaftlichen Handels und ein System der Sozialfürsorge innerhalb der Toraja Gemeinschaft.

Grabfiguren.

Grabfiguren.

Ein kleines Abendritual auf unserer Reise ist die Frage: „Was fandest Du heute am Schönsten?“ Der Geruch von verbranntem Schweinehaar klebt noch in meinen Haaren, so dass der Begriff „schön“ unpassend wirkt.

Stattdessen diskutieren wir den Umgang mit dem Tod hierzulande und in Deutschland. Kommen nicht ganz überein, wie wir das Schlachten der Tiere einordnen. Fragen uns, wie die christianisierten Toraja die Rituale mit der Kirche vereinbaren. Wie so häufig gehen wir mit mehr Fragen als Antworten. Und das ist das Beste, was Kulturtourismus hervorbringen kann.

Tipps für den Besuch einer Beerdigungszeremonie bei den Toraja:

  1. Einen Guide nehmen: Er oder sie stellt den Kontakt zur Familie her, weiß, wann und wo eine Beerdigung stattfindet und kann viele Details während der Zeremonie erklären.
  2. Gäste bringen ein Geschenk mit: Als Fremder ist eine Stange Zigaretten angemessen.
  3. Schwarze oder dunkle Kleidung tragen: Hotpants wären nicht wirklich passend.
  4. Öffentliche Verkehrsmittel nutzen: Die Guides wollen in der Regel eine Tagestour mit eigenem Fahrzeug verkaufen. Ein Kijang oder TukTuk ist viel günstiger!
  5. Guide teilen: Seinen Tagessatz kann man auch mit anderen Reisenden teilen.
  6. Rantepao ansehen: Die Umgebung ist atemberaubend schön. Es lohnt sich, ein paar Tage für Erkundungen zu Fuß einzuplanen.
  7. Anfahrt: Von Makassar im Süden Sulawesis fahren täglich Busse nach Rantepao – ca. 8-10 Stunden Fahrt.

Über die Autoren: Job gekündigt, Wohnung weg, Rucksack auf! Seit August 2013 sind Aylin und Stefan von Today We Travel auf Weltreise. Was ihnen unterwegs passiert, findest Du hier: www.todaywetravel.de

Fotos: Aylin Berktas & Stefan Krieger

Weitere Impressionen:

In Rantepao.In Rantepao.

 

In Rantepao.

 

 

In Rantepao.

 

Raushier-Reisemagazin