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Frühe Arktis-Kreuzfahrt: Alex Eckeners Reise nach Spitzbergen

„Da haben Sie aber eine schöne Reise vor sich“, bekam Alex Eckener zu hören, als er von seinem Plan erzählte, nach Spitzbergen zu reisen. „‚Schön‘ wurde dabei so breit und saftig gesprochen wie wenn man einen Pfirsich zerbeisst“, notierte er auf der ersten Seite seines in rotbraunes Leder gebundenes Taschentagebuchs, das am 10. Juni 1897 mit den eng geschriebenen Aufzeichnungen beginnt.

Eckeners Fahrkarte.

Eckeners Fahrkarte.

Was meinen Großvater Alex Eckener als 27-jährigen Mann dazu bewog, eine für die damalige Zeit ziemlich ausgefallene Reise in die Arktis zu unternehmen, konnte ich bisher nicht klären. Möglicherweise war es das Angebot der „Spitsbergen Gazette“, einer in Hammerfest, Norwegen, erscheinenden Zeitung als Illustrator, Fotograf und Reporter den berühmten Kapitän und Polarforscher Otto Neumann Knoph Sverdrup (1854-1930) an Bord des polartauglichen Dampfers „Lofoten“ nach Spitzbergen (= Däneninsel) zu begleiten. Dieser war zuvor Kapitän der „Fram“ auf der Nordpolexpedition von Fridtjof Nansen von 1893 bis 1896.

Andrées Pläne mit dem Wasserstoffballon

Spitzbergen stand im Sommer 1897 im Zentrum gespannter weltweiter Aufmerksamkeit. Der Schwede August Salomon Andrée plante von Spitzbergen aus mit einem Wasserstoffballon den bisher uneroberten Nordpol zu überfliegen. Tatsächlich begegnete mein Großvater Andrée wenige Tage vor dem Abflug und er stand am Startplatz des Ballons.

Salomon August Andrée.

Salomon August Andrée.

Bereits 1886 hatte Andrée in seinem Hangar auf Spitzbergen den Ballon „Svea“ startklar, um mit seinen zwei Mitfahrern, dem Meterologen Nils Gustav Eckholm und dem Studenten Nils Strindberg, ein Neffe von August Strindberg, zum Nordpol abzuheben. Doch der Wind bließ unbeirrbar vom Pol her und so blieb nichts anderes übrig, als nach langem Warten den Wasserstoff wieder abzulassen und nach Europa zurückzufahren.

Im Sommer 1897 nahm Andrée das Unternehmen mit einem neuen Ballon von 20 Metern Durchmesser wieder auf, den er auf den Namen Örnen (Adler) getauft hatte. Mit dabei war wieder Strindberg, den Platz von Eckholm hatte allerdings der Ingenieur Knut Frænkel eingenommen. Eckholm hatte beim ersten Versuch festgestellt, dass der Ballon beachtlich leckte, jeden Tag verlor er fast 70 Kg an Tragfähigkeit, woraus er berechnete, dass man maximal 17 Tage in der Luft bleiben konnte. Der Pol wäre so kaum zu erreichen, geschweige denn eine Weiterfahrt nach Kanada oder Russland möglich. Da Eckholm Andrée nicht überzeugen konnte, auf einen größeren und dichteren Ballon umzusteigen, kündigte er seine Zusammenarbeit auf. Später erfuhr Eckholm vom zuständigen Ingenieur für die Wasserstoffversorgung, dass Andrée während des Wartens auf den Start in regelrecht selbstmörderischer Weise ständig heimlich Wasserstoff nachgefüllt hatte, um das Ausmaß der Undichtigkeit zu vertuschen.

Alex und Hugo Eckener

Alex Eckener.

Alex Eckener.

Alex Eckener erblickte am 21. August 1870 in Flensburg das Licht der Welt. Sein Vater stammte aus Bremen, die Mutter kam aus Kopenhagen, mit Ahnen aus Bornholm. Eckener studierte von 1888 bis 1892 an der Akademie der bildenden Künste in München. Danach kehrte er nach Flensburg zurück und schloss sich dort der Künstlerkolonie Eckensund an. Im Jahre 1899 nahm ihn Leopold Graf von Kalckreuth als Meisterschüler an der Kunstakademie Stuttgart auf. Bei Kalkreuth vertiefte er sein Können in der Kunst der Radierung. 1908 erhielt er einen Lehrauftrag an der Akademie, 1912 erfolgte die Ernennung zum außerordentlichen Professor, 1925 zum ordentlichen Professor für Lithographie und Holzschnitt. Im gleichen Jahr wurde Alex Eckener zum Direktor der Stuttgarter Kunstakademie gewählt. Dieses Amt übt er bis 1928 aus, 1936 emeritierte er. Abends war er häufig beim Grafen von Kalckreuth zu Gast, dem damaligen Direktor der Stuttgarter Kunstakademie. Dort lernte er auch meine Großmutter, die Malerin Sophie Eisenlohr kennen, die er 1905 heiratete. Das jüngste der fünf Kinder aus der Ehe, meine Mutter, wurde auf den Namen Gudrun getauft.

Der Wahlstuttgarter, Maler und Radierer Alex Eckener als Pionier des Reisejournalismus: Hier ergibt sich eine interessante Parallele zu seinem zweo Jahre älteren Bruder Hugo, den der Journalismus zu Weltruhm als Luftschiffer führte.

Hugo Eckener.

Hugo Eckener.

Dr. Hugo Eckener hatte als Kapitän des Zepplin LZ 126 im Oktober 1924 in 77 Stunden von Friedrichshafen aus im Non-Stop-Flug erstmals den Atlantik überquert, also drei Jahre vor Charles Lindbergh, der den Deuschen merkwürdigerweise viel eher ein Begriff ist. Vom 15. August bis 4. September 1929 unternahm Eckener mit LZ 127 eine Weltfahrt und umrundete als erster mit einem Luftschiff die Erde. Zwischen 1931 und 1937 richtete er einen fahrplanmäßigen transatlantischen Luftschiffverkehr zwischen Friedrichshafen und Rio de Janeiro ein, was damals mit Flugzeugen noch nicht möglich war. 1932 bedrängten die Sozialdemokraten und die Zentrumspartei den Luftschiffer, sich als Gegenkandidat Hitlers für den Posten des Reichspräsidenten nominieren zu lassen.

Der studierte Psychologe, Philosoph und Volkswirt war ursprünglich Journalist bei der „Frankfurter Zeitung“, dem Vorläufer der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Den Grundstein seiner Luftschifferkarriere legte ein Artikel am 19. Oktober 1900, in dem Hugo Eckener die Flugtauglichkeit der Starrluftschiffe des Grafen Zeppelin kritisierte. Daraufhin suchte ihn Graf Zeppelin in seiner Friedrichshafener Wohnung auf. Zwischen den beiden Männern entbrannte ein heftiges Streitgespräch. Schließlich lud Graf Zeppelin Eckener ein, sein Mitarbeiter zu werden. Als Ferdinand Graf von Zeppelin am 8.März 1917 in Berlin starb, erschien es als selbstverständlich, dass nur Hugo Eckener in die Fußstapfen des Grafen treten könne.

Die Reise nach Spitzbergen

Das Spitzbergen-Tagebuch von Alex Eckener. (Texterfassung als Basis für diesen Artikel: Gudrun Wolter)

Das Spitzbergen-Tagebuch von Alex Eckener. (Texterfassung als Basis für diesen Artikel: Gudrun Wolter)

Am 10. Juni 1897 stand Alex Eckener frühmorgens um 6.40 bei prächtigem Wetter an der Reeling des Dampfers „Fylla“ und schaute über das tiefblaue Wasser der Flensburger Förde zurück auf die schnell kleiner werdenden Hafenanlagen von Flensburg. Auch seine Schwester Toni war dabei, die bis Glücksburg an Bord blieb. Bald ging es auf Seeland mit dem Zug weiter. Bereits am Nachmittag unternahm er einen Bummel durch Kopenhagen: Hafen, Freihafen, Langeland, Besuch des Tivoli und der Kunstausstellung in der Glyptothek. Am nächsten Abend war er „ aus Verzweiflung und Unkenntnis der einschlägigen Verhältnisse wieder im Tivoli“ und glaubte „dass alle Kopenhagener aus gleicher Ursache ins Tivoli gehen“. Die weitere Eisenbahnfahrt führte nach Göteborg. Dort entspannte sich Alex Eckener am Samstagabend im „Trägardforeningen“, dem Botanischen Garten mit Vergnügungsanstalt. „Hübscher Bau, erträgliche Musik, gutes teures Bier“, schrieb er. Im Hotel traf er auf deutsche Studenten: „Es ist doch überall das gleiche Völkchen … äußerst oberflächlich kommentierend … und den Stolz durchzusetzen, möglichst viel Bier zu vertilgen. Sie verbreiten ewig eine schlechte Meinung über die Deutschen, wohin sie kommen“.

In einer elfstündigen Bahnfahrt ging es weiter bis Christiania, dem heutigen Oslo, das er flüchtig besichtigte und einen „schlechten sozusagen schäbigen Eindruck (macht), wie ein kümmerliches Bettlerkind, das in bessere Kleidung gesteckt wird, und sich darin nicht zu helfen weiss, und dem immer noch die Nase träufelt … Zug fährt sehr langsam, macht nur 32 km die Stunde“. Am 17. Juni war Trondjhem erreicht, „sozusagen an der Schwelle großer Ereignisse“. Trondjhem bestand damals außer dem Dom fast ausschließlich aus einstöckigen Holzhäusern in breiten, schlechtgepflasterten Straßen und galt als sehr feuergefährlich.

In Trondheim schiffte Alex Eckener auf dem „Lofoten“ ein und harrte am Morgen des 18. Juni auf das Loslegen der Leinen, das für 11.30 Uhr erwartet wurde. „Schreckliches Durcheinander. Einladen von Fässern, Klavieren, Stückgut, Passagiersachen, während auf dem Deck noch an dem Schiff gebastelt wird. Es liegt voll von Teppichen, Bettzeug, Tischen und Stühlen im Durcheinander … wir haben allmählich so viel Gepäck im Bauch, wie ein Eisenbahnzug fahren kann, und sind so voll … wie ein Alligator. Es ist äußerst unbehaglich, zumal ein kalter Wind weht und ich nicht recht mit meinem inneren Status quo einig bin. Aus Verzweiflung setze ich mich darum hin, um möglichst viel Geschreibsel einzutragen“.

Er bekam zum ersten Mal Kapitän Otto Sverdrup kurz zu Gesicht: „Er sieht grausam und wie ein rücksichtsloser Gewaltmensch aus, man fühlt eine außerordentliche Energie in ihm. Von Natur ist er nicht groß, aber gedrungen, mit gelblichen, fast krankhaftem Teint und kalten, scharf und grausam blickenden Augen. Ich glaube nicht, dass er sehr mitteilsam sein wird.“

Die Vorgeschichte: Sverdrup und Fridtjof Nansen

Fridtjof Nansen.

Fridtjof Nansen.

Bereits 1888 hatte Otto Sverdrup in der sechsköpfigen Mannschaft von Fridtjof Nansen erstmals das bis auf 2720 Meter über Meereshöhe ragende grönländische Eisschild von der völlig menschenleeren Ostküste zur Westküste auf Skiern überwunden. Als die Expedition nach 42 Tagen auf dem Inlandeis im Herbst 1888 den primitiven Hafen Godthåb an der Westküste von Grönland erreichte, war der Schiffsverkehr nach Europa allerdings bereits eingestellt. Für Svendrup und Nansen war die erzwungene Überwinterung im Nachhinein ein Glücksfall, denn sie fanden Gelegenheit, bei den Inuit altbewährte Strategien zum Überleben im ewigen Eis zu studieren – etwa den Umgang mit Hundegespannen.

Auch der Bezwinger des Südpols, Nansens Landsmann Roald Amundsen, hatte den Inuit über die arktischen Winter 1903 bis 1905 viel Nützliches abgeschaut. Der Einsatz von traditionellen Hundeschlitten und der wunderbar warmen, leichten und wasserdichten Pelzkleidung der Inuit waren zwei überragende Vorteile seiner Expedition gegenüber dem englischen Konkurrenten Robert Falcon Scott. Zudem hatte Amundsen für sein Fünfmannteam Skifahrer von Weltklasse und fundierter Arktiserfahrung gewinnen können. Die Engländer trugen schwere, ständig klamme und dadurch steife Wollkleidung und setzten auf Ponys und Motorschlitten, die allesamt ausfielen. Mit Schlittenhunden konnte Scott nicht umgehen. Am 14. Dezember 1911 hisste Amundsen am Südpol die norwegische Flagge, fünf Wochen vor Ankunft der beim Rückmarsch durch Kälte und Hunger elend zugrundegegangenen Männern um Scott.

Plan: per Eisdrift zum Nordpol

Otto Sverdrup.

Otto Sverdrup.

Nansen hing der Theorie an, dass die durch Meeresströmungen hervorgerufene Eiswanderung es möglich machte, mit dem Packeis in die Nähe des Nordpols zu gelangen. Zusammen mit Svendrup plante Nansen deshalb, sich mit einem besonders gepanzerten Schiff einfrieren zu lassen und sich dann mit der Eisdrift in Richtung Nordpol treiben zu lassen. Der Bau des Dreimastschoners mit Dampfmaschine von 1890 bis 1893, der Fram („Vorwärts“), wurde von Sverdrup eng begleitet. „Bug, Heck und Kiel, alles war rund, so dass das Eis nirgends einen Halt finden konnte“, schrieb Nansen. Wenn das Schiff vom Packeis eingeklammert wurde, sollte es nicht zersplittern, sondern nach oben gedrückt werden.

Neuer Rekord

Naheliegenderweise wurde Sverdrup daraufhin auch Kapitän der Fram. 1893 steuerte er den Dampfsegler durch die Nordostpassage zu den Neusibirischen Inseln und schließlich am 25. September ins Packeis. Die Fram driftete nun mit dem Eis stetig nach Nordwesten, wobei bald klar wurde, dass dieser Kurs auf Jahre hinaus kaum zum Nordpol führen würde. Nansen ging deshalb zusammen mit Hjalmar Johansen, der später auch an Amundsens Südpolexpedition teilnahm, am 14. März 1895 bei 84,4 Grad nördlicher Breite von Bord und brach mit drei Schlitten und 28 Hunden auf Skiern zum noch 660 Kilometer entfernten Nordpol auf. In der ersten Woche kamen die Männer zügig voran, doch dann wurde das Terrain immer zerklüfteter, die Temperatur sank auf -40 Grad. Außerdem stellte sich heraus, dass die Eisschollen fast so schnell nach Süden trieben, wie die sich Expedition vorwärtskämpfte. Von dem am 7. April aufgeschlagenen Lager aus versuchte Nansen noch einen Route weiter nach Norden erkunden, doch „ein wahres Chaos von Eisblöcken, das sich bis zum Horizont erstreckte“ bewegten ihn zur Umkehr. Nach seiner letzten Positionsmessung vom 8. April war Nansen bis zu einer nördlichen Breite von 86º 13,6′ vorgestoßen, bis zum Pol waren es noch 450 Kilometer, ein neuer Rekord.

Die Fram.

Die Fram.

Der Rückweg forderte selbst die arktiserfahrenen Männer bis an ihre Grenzen. Dreieinhalb Monate zogen sie über das Eis, bis sie auf festes Land stießen. An der Südwestküste der später auf Jackson-Island getauften Insel entschieden sie sich am 28. August eine Hütte aus Steinen, Moos und Walroßhäuten zu errichten, um den Polarwinter zu überstehen. Erst nach acht Monaten, am 19. Mai 1896, konnten Nansen und Johansen den Rückweg fortsetzen, ab dem 4. Juni in den mitgeführten Inuit-Kajaks. Am 17. Juni trafen sie auf Frederick George Jackson, ein Forscher der auf einer eigenen Expedition nach Franz-Josef-Land unterwegs war, von wo er eine Landroute zum Nordpol suchen wollte, was durch Nansens Expedition nun bereits als unmöglich wiederlegt war. Jackson hatte sein Basislager auf der Northbrook-Insel aufgeschlagen, wo Nansen und Johansen am 7. August von dem Versorgungsschiff Windward aufgenommen wurden und am 13. August sicher zurück nach Vardø, Norwegen gelangten.

Theorie bestätigt

Die Fram unter dem Kommando von Otto Sverdrup wurde, wie es der Zufall wollte, ebenfalls am 13. August 1896 bei Spitzbergen vom Packeis freigegeben und lief am 14. August 1896 über das freie Wasser die Däneninsel an. Die Theorie Nansens einer transpolaren Driftströmung hatte sich dadurch grundsätzlich bestätigt.

Am 21. August 1896 kam es in Tromsø nach über einem Jahr zum bewegenden Wiedersehen zwischen Nansen, Johansen, Sverdrup und der Mannschaft der Fram.

Nansen und Sverdrup waren Superstars ihrer Zeit. Flankiert von einem Geschwader von Kriegsschiffen lief die Fram am 9. September 1896 in Christiania ein, wo sie von der größten Menschenansammlung bejubelt wurde, die die norwegische Hauptstadt je gesehen hatte.

Fridtjof Nansen in jungen Jahren.

Fridtjof Nansen in jungen Jahren.

Auf den Vorschlag Nansens hin führte Sverdrup 1898 bis 1902 eine eigene Erkundungsfahrt mit der Fram ins Polarmeer durch, bei der er eine Vielzahl bisher unentdeckter Inseln kartierte. Die Forschungsberichte dieser Expedition zur Geologie, Meterologie, Archälogie, Botanik und Zoologie umfassen 39 Hefte in vier Bänden und einem Ergänzungsband. Mit an Bord war auch Sverre Hassel, ein weiterer Begleiter von Amundsen auf dem Weg zum Südpol.

Endgültig unvergänglichen Ruhm fuhr die Fram Jahre später ein, denn Roald Amundsen vertraute für seine Expedition zum Südpol von 1910 bis 1912 auf das bewährte Schiff.

Einer der frühen arktischen Kreuzfahrten der Tourismusgeschichte

Im Sommer 1897 bot der „Vesteraalens Dampskibsselskab“ mit dem „Lofoten“ unter Führung von Kapitän Sverdrup kommerzielle Fahrten für internationales Publikum nach Spitzbergen an. Das Schiff verkehrte zwischen Hammerfest und der Advent Bay, wo die Reederei in der Nähe von Longyearbyen ein komfortables Gästehaus errichtet hatte. Insgesamt kamen sieben Spitzbergentouren zustande. Auf einer dieser frühen arktischen Kreuzfahrten der Tourismusgeschichte war demnach mein Großvater an Bord.

Der Dampfer "Lofoten". Foto: Archiv Hurtigruten-Museum

Der Dampfer „Lofoten“. Foto: Archiv Hurtigruten-Museum

Nach dem ersten Tag auf See präsentierte sich Alex Eckener der Atlantik „in denkbar bester Laune, fast glatt, aber eine ziemlich bedeutende Dünung, es ist herrliches Wetter. Die Nacht schlief ich ausgezeichnet, Betten sind famos. Es war zuerst etwas Seegang, doch spürt man in der Koje nichts davon“ Auch die Bordverpflegung ist vorzüglich „… besser als in den norwegischen Hotels, wenigstes was die Zubereitung anbetrifft. Es geht außerordentlich kommentmäßig wie an einer großen Table d’hote dabei zu. Schon morgens gleich Beefsteak mit Kartoffeln, ein bis zwei Eier, Lachs, Sardinen; kurz schwedischer Küche. Mittags drei Gänge – alles hochfein“.

Alex Eckener lernte jetzt den ersten Kapitän Sverdrup etwas näher kennen. „Über meine Kritik Sverdrups muss ich lachen; meine berühmte Menschenkenntnis hat mich wieder mal betrogen. Er ist durchaus nicht wortkarg, sondern liebenswürdig und mitteilsam, aber seine Augen sind doch die eines Geiers. Mich betrachtet er scheinbar halb mit Mitleid, halb mit Verachtung, er weiss offenbar nicht, was er aus mir herausknobeln soll. Den übrigen Mitreisenden geht es ebenso. Nur über eines freue ich mich, meine berühmte Menschenkenntnis hat mich unsterblich blamiert. Mein Sverdrup mit den Geieraugen und der Energie ist gar nicht Sverdrup, sondern ein ganz außergewöhnlichst gewöhnlicher Europäer. Wahrscheinlich hat er damals besser gewusst, was ich für einer sei, als ich über ihn ins Klare kam. Was man sich doch alles selbst einreden kann.“

Lofoten erreicht

Über den Hafen Bodø, wo gelöscht wurde, zog der Lofoten mit zehn Knoten (knapp 20 kmh) stets entlang der norwegischen Küste zum Namensgeber des Dampfers, den Lofoten, die am 20. Juni nachmittags um 16 Uhr erreicht wurden. Eckener notierte: „Diese wunderbare Verschmelzung von Land und kräftig ansteigenden Felsen, die mit Gletschern und Schneehalden sozusagen durchwachsen sind, kann man nirgendwo anders finden. Die Formen sind grandios in der Anlage und mit den schönsten schweizerischen Hochgebirgen wetteifernd, man findet Verwandtschaften mit der Jungfrau in den Formationen, jedoch sind sie bisweilen nicht so kollossal. Dort wird man von der Wucht der Steinmassen gänzlich erdrückt, dass ein freies unbefangenes Genießen nicht ganz gut möglich ist. Dazu gelangt man aber vollkommen hier. Die Wohlproportionalität, die größere Abwechslung der Formen zusammen und dem unvergleichlichen Zauber der Farbe, die an manchen Felsen bläulich mit dunkelbraun und klarem Hellgrün, an den eigentlichen Felsen graugrünlich mit prächtigen blauen vollständigen Schatten und blendend weißem Schnee, im Schatten hellblau, dieses alles zusammen gibt ein so wundervolles stimmungsvolles Bild, dass man vor lauter ungetrübtem Genuss sich kaum zu helfen weiss. Wir fuhren, auf die Liebenswürdigkeit des Kapitäns hin, in den Trollfjord hinein. Das ist wirklich das allerbezaubernde Landschaftsbild, das ich jemals gesehen habe. Man fährt in einem ganz engen Fahrwasser, etwa 100 bis 150 Meter breit, zwischen fast senkrecht aufsteigenden, teilweise mit Zwergbirken und in den Ritzen hereinkriechendem Moos bewachsen, etwa 500 bis 600 Meter hoch, vor sich immer die prächtigen Zinnen dem Matterhorn ähnlicher Berge. Dazu eine Farbenpracht, derentwegen ich mich sofort und auf der Stelle doch gerne vier Wochen um zu malen einquartiert hätte.“

Spitzbergen Gazette.

Spitzbergen Gazette.

Die Fahrt führte durch die Lofoten weiter nach Norden bis zu dem Örtchen Stockmarknaes, dort durchstöbern die 1. Klasse Passagiere den „Rednungsmarkt“, ein Bazar von Gebrauchsgegenständen für die Fischerei und Seefahrt. „Es kommt doch natürlich wie in allen Bazaren, hauptsächlich auf Geldschneiderei an … dass wenn man nach längeren Seereisen an Land kommt, gerne und willig viel Geld auszugeben geneigt ist … die Passagiere zogen den hauptsächlichen Vorteil aus dem Bazar, dass sie sich bedeutend näher rückten. Ich erfuhr da erst, wie alle Leute hießen, und wer sie waren, wohin sie wollten. Über die milde Temperatur muss man sich außerordentlich wundern, es war nachts um 12 Uhr noch sehr gut möglich im Freien zu sitzen und Pscholter zu trinken.“

Mitternachtsonne auf dem Weg nach Tromsø

Auf der Weiterfahrt nach Tromsø hatte Alex Eckener in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni die „Gelegenheit die Mitternachtssonne zu sehen. Sie war meistens hinter Wolken, aber grade dadurch bezaubernd. Viel schöner ist jedoch der Blick mit der Sonne auf naheliegende Berge. Eine solche Glut, solche Farben, so tiefe, satte, durchglühte Färbung habe ich nie gesehen, und dazu die wundarbaren grotesken Formen, die Risse und Zacken der Berge im Schatten, indigoviolett beleuchtet der blendende Schnee. Ich versuchte, es malerisch wiederzugehen, was natürlich misslang.

In Tromsø wurde der „Vesteraalen“-Schnelldampfer abgepasst. „Mein Koffer ist nicht an Bord … es ist eine verfluchte Bummelei in Norwegen … musste für 16 Kronen Vollzeug kaufen.“

Als letzte Station auf der Reise längs der norwegischen Küste lief der Lofoten am 22. Juni den Hafen von Hammerfest an, „nördlichste Stadt der Welt, 70° 40‘ 11″ Nord“. „Die Stadt ist sibirisch und die Gegend öde wie Dantas Stanzen in der göttlichen Camedia. Der Regen regnet fort bei Südwest … 12 Grad Celsius, merkwürdig warm.“

Seekrankheit

In der hellen arktischen Sommernacht vom 23. auf den 24. Juni nahm der Lofoten von Hammerfest aus endlich Kurs hinaus ins offene Meer, Richtung Spitzbergen. Alex Eckener schlummerte bereits in seiner Koje. „Sobald wir indes auf die hohe See kamen, wachte ich infolge des Schaukelns auf. Als competenter Beurteiler des ersten Grades der Seekrankheit will ich versuchen, diese zu schildern. Wenn man im Bett liegt, ist das Gefühl am meisten dem zu vergleichen, welches man hat, wenn man abends nach manchem Glas Grog in seinem Bett „Caroussel fährt“ … Am infamsten sind die Bewegungen, die in meiner Längsachse geschehen, sie machen den Schädel plötzlich zu einem hohlen Raum die Bewegung in Richtung der Seitenachse lassen einen immer in einen Bogen hin und her fliegen … Ich habe versucht auf zu sein, und war zwei Stunden an Deck. Die frische Luft that ja wohl, aber das Schlingern ist ein zu bedeutendes. Die Sinne umnebelten sich, es flirrt vor den Augen, bald stellt sich Brechreiz ein. Darum suchte ich die Koje bald wieder auf. Die vollkommene Ohnmacht gegen die Krankheit und das Gefühl , so geht es vielleicht noch einige Tage, sind nicht gerade aufmunternd …“

Die Seekrankheit war nach einem Tag glücklicherweise überwunden. „In der Nacht wurde es ruhiger, ich schlief ausgezeichnet und stand sehr hungrig auf.“ Gegen 3 Uhr in der Früh war in der Ferne die Bäreninsel auszumachen, eine kleine, Spitzbergen weit vorgelagerte Insel in der Barentssee. Die Passage entging ihm im Bett, dafür konnte er Wale auftauchen sehen.

Am 25. Juni „um 13 Uhr kam Spitzbergen in Sicht. Zuerst der Hornungspik, 4560 Fuss hoch, ganz glänzend, dann stiegen allmählich zu seiner Rechten, also südlich von ihm glänzende kleine Punkte ans dem Ocean auf, unter anderem das Südcap. Wir brauchten also von Hammerfest zu Bäreneiland 25 Stunden, zur Sicht von Spitzbergen 35 Stunden. Das Wetter wird immer herrlicher, es ist kaum mehr Dämmerung vorhanden“.

Arktischer Nebel

Aber bald tauchte der Lofoten in eine für die Arktis typische Nebelwand ein. „Es kann möglicherweise 1-2 Stunden, es kann auch 2-3 Tage dauern, wie der Steuermann sagt. Während des Nebels tritt plötzlich Treibeis auf. Zuerst ganz kleine Schollen. Alles an Bord ist hocherfreut wie die Kinder, die zum ersten Mal im Winter Schnee sehen. Ein Fangmann machte sich das Vergnügen, die Schollen entzwei zu schießen. Die Harmlosigkeit dauerte nicht lange, er wendete seine Büchse auf ruhig forttreibende Seevögel und schießt diese an. Ich wende mich von der Tierquälerei ab. Die erste Portion Treibeis überwanden wir bald, da ein ziemlicher Nordwind blies. Das Thermometer sank auf geschützter Stelle auf 2 Grad Cels. Doch abends gen 9 Uhr gerieten wir bei vollkommener Windstille in ganz dicken Nebel abermals in ein großes Feld Treibeis, welches wir bis 2 Uhr gebrauchten zu durchfahren. Es sah wunderbar und unheimlich aus, wie die weißen Flächen und phantastischen Gebilde aus dem grauen Nichts, dem Chaos auf uns zukrochen, erst nahebei gewannen sie genaue Gestalt und Größe, und eine wunderbar grünlich bläuliche Färbung unter Wasser. Das Schiff fuhr immer schnell, um seine Steuerkraft zu behalten, und ich konnte die Ruhe und Umsicht, sowie die famose Geschicklichkeit von Kapitän Hegge nicht genug bewundern, der allen größeren Schollen mit graziösen Wendungen auswich oder mit Ausdauer und Geschick zu zerteilen wusste.“

26. Juni. „Wir haben den ganzen Tag dicken Nebel auf dem Wasser, über uns sehen wir die blaue Luft: das Schiff läuft easy ahead, alle paar Stunden wird gelotet. Die Leine läuft immer ganz ab, es ist erschrecklich viel Wasser. Der Kapitän weiss vielleicht nicht genau wo wir sind, denn die Sonne war lange verschwunden. Na, solange wir Proviant haben, ist es mir wurscht, und der Proviant ist gut. Heute Mittag z.B. war das Menue folgendermaßen: I. Bouillon mit Brotklößen, II. Lachspudding in Madeirasauce, III. Rückenfricasse mit Spargel, IV. Rindsfilet mit Erbsen, V. Fürstenkuchen. Bei einer derartigen Ranzionierung kann man wohl aushalten. Heute habe ich den ganzen Tag gezeichnet für die Gazette ‚Den förste Drivis‘.“

Treffen mit Andrée: „Bäurische Tölpelhaftigkeit“

Andrées Startplatz.

Andrées Startplatz.

Am 27. Juni um 3 Uhr morgens glitt der Lofoten zehn Meilen südwestlich der Däneninsel aus dem undurchdringlichen Nebel wieder in das strahlende Blau des Polartages. „Um 5 Uhr kam der Steuermann in meine Koje, um mir zu sagen, dass wir gleich bei Andrée sein würden. Ich wie der Blitz aus dem Bett und in die Kleider. Wir lenkten gerade von dem offenen Meer in den Fjord der Dansk-Öe (Alex Eckener meint hier Danskøya, die Däneninsel) an. Die Sonne beleuchtete blendend die Gletscher, deren Seite des Fjords über den Gipfeln sie teilweise verdecken, schwebte loser Nebel. Mit Böllerschüssen begrüßten wir Andrėe’s Wohnhaus und Ballonhaus, mit Hissen der Flagge das schwedische Kanonenboot Svenskund, welches Andrėe zur Hilfe und Begleitung mitgegeben ist. Wie das Ballonhaus und Wohnhaus von der Wasserseite aussieht, ist ja bekannt; der Fjord ist großartig mit seinen steilen Bergen, den Gletschern, die in großer Ausdehnung ganz bis ans Meer sich erstrecken, und dort steil abfallen, scheinbar in geringer Höhe, doch wenn man näher kommt, so hoch wie ein vierstöckiges Haus. Der Luftglanz und der zarte Duft über der Landschaft sind wunderbar. Ich zeichnete zunächst den Svendskund ab. Dann ruderten wir alle an Land; kaum waren wir angelangt, so kam Andrėe, begrüßte uns flüchtig, die schwedischen Herren wärmer und fing sogleich wie ein Panoptikum-Erklärer seine Demonstration an. Was er sagte, habe ich durchaus nicht verstanden, da er Schwedisch sprach, nur machte er so den Eindruck, als wenn er nach Schluss der Vorstellung vielleicht dem hochverehrten Publikum für die freundliche Aufmerksamkeit danken und ihm so milde beibringen werde, dass der Diener vielleicht einem kleinen Trinkgeld nicht abgeneigt wäre. Andrėe’s Persönlichkeit macht einen ziemlich kräftigen Eindruck. Doch scheint er mir ein ziemlicher Schwafler, etwas eitel zu sein; bedeutend in des Wortes besten Sinn ist er keinesfalls; sonst würde er wohl nicht mit seinen Erklärungen und Erfindungen mit der Darstellung der Unübertrefflichkeit (wie mir schien) seiner Einrichtungen so hausieren gehen. Es ist ja gut, dass er selbst von der Zweckmäßigkeit seiner Sachen überzeugt ist, aber ein tieferer, größer angelegter Mensch würde vielleicht kaum so viel Wesens aus sich und seinem Werk machen. Jedenfalls machte er mir bei Tisch einen sehr schlechten Eindruck, da er sich durchaus tonangebend als erste Person, vor dem Kapitän und den älteren Herren benahm. Dabei hat er eine ziemlich bäurische Tölpelhaftigkeit im Benehmen, und macht, soviel ich verstehen konnte, sich mit ganz breit getretenen, abgedroschenen Alltäglichkeiten seine ganze Conversation. Er ist wohl sicher ein guter Ingenieur und wohl auch ein durchaus überlegter und mutiger Mann, allerdings von der Art Mut, dessen beste Seite die Vorsicht, aber den Eindruck einer gewaltigen, überlegten Persönlichkeit hatte ich gar nicht bei ihm. Er könnte ja sehr wohl im gewöhnlichen Leben sich gewöhnlich betragen, aber irgendwann müsste man doch mal einen höheren Funken entdecken, den habe ich vermisst.  Ich machte mehrere photographische Aufnahmen und Zeichnungen. Um 3 Uhr waren Andrėe und Lerner (deutscher Journalist und Polarforscher) bei uns an Bord zum Essen. (Lerner, der berühmte Schlangenmensch, hat in der That eine „Expedition“ von zwei Mann zustande gebracht. Er lebt sicher bene dabei und verdient wohl noch einen Schilling.) Ich saß Andrée gegenüber, ich werde als Standesperson hier angesehen, trotz meines schlechten Kittels. Mancher würde viel darum gegeben haben, wäre er an meiner Stelle gewesen, ich muss mir leider den großen Stumpfsinn festieren, dass ich mich in keiner Weise angeregt fühlte. Frl. Korhornen, eine Passagierin, war sicher von den erhebenden Moment des Zusammenseins mit dem berühmten Mann mehr erfüllt. Nicht nur ihre Nase, sogar ihre Backen waren glänzend gerötet. Die Selbstverständlichkeit mit der Andrėe seine ihm selbstverständliche bewilligte Bevorzugung hinnahm, ärgerte mich etwas.“

Hinaus ins Eismeer

Impressionen von Alex Eckener.

Impressionen von Alex Eckener.

Von der Däneninsel fuhr Alex Eckener mit dem dort vor Anker liegend Schiff Express zu einer Erkundung ins Eismeer hinaus bis nach 5 Stunden bei 80 Grad nördlicher Breite das Polareis erreicht wurde. „Es war stark neblig, bei uns schwammen die grünlichen und weißen Schollen in den verschiedensten Formationen, überall in der Runde hörte man den Reisschuss der Eismassen im bewegten Wasser, ein plötzlicher Sonnenblitz und Zerreissen des Nebels gewährte die herrlichste Aussicht auf die türmenden Formen und weite glänzenden Flächen, alles belebt von frechen Eisvögeln … in fernster Ferne wie eine Phantasie, die Eisberge, klar, rein, … die Wohnung der Schneekönigin.“

Ab 28. Juni war der Kurs des Lofoten der Küstelinie entlang wieder südwärts gerichtet, Ziel die komfortable, von gemütlich prasselndem Kaminfeuer beheizte Herberge der Reederei der Lofoten in der Advent Bay, die am 31. Juni erreicht wurde, um hier einige Tage Station zu machen.

Offenbar war Andrée zunächst mit an Bord, denn laut seinem Tagebuch verschlief Alex Eckener den Abschied von Andrée am 30. Juni, was er sehr bedauerte.

Unter einem trüben Himmel ging der Lofoten in der Advent Bay vor Anker. “Flache, hässliche, monotone Berge und Anhöhen ringsum, das Ufer steinig, teils lehmig, reizlos in der Form, unendlich in allen Entfernungen, alles dieses vermochte mich nicht grade zu entzücken. Nur über die Blumen habe ich mich gefreut, die hier mitten aus dem steinigen Acker lustig und kräftig empor sprießen. Übrigens muss Spitzbergen das Ideal für Lumpensammler sein, so viele Konservenbüchsen, altes Leder, Holz und Eisenüberreste habe ich selten herrenlos gesehen.“

Und: „Es ist immer eine schwierige Aufgabe, das Fenster zu verhängen um (nachts) die Bude dunkel zu machen.“

Zeuge eines Walfangs

Exkursion.

Exkursion.

Am zweiten Tag des Aufenthalts wird Eckener Zeuge eines Walfangs: „Als wir um 12 Uhr hereingehen wollten, sahen wir das Wasser in Linien bewegt, gleichwie ein Torpedo eben unter dem Wasser dahin schießt, es sieht auch in Form und Farbe und Größe genaus so aus, es war ein Weißfisch, eine Art Wal. Die wachsamen Fangleute und Schiffer hatten ihn auch schon gesehen, und sofort begann die Jagd. Immer langsam am Ufer entlang mit leisen Ruderschlägen schlich das Boot dem nichtsahnenden Tier auf der Seite nach. Wir ruderten indessen an Bord. Kaum waren wir dort angekommen, so sahen wir, wie der Wal auftauchte, und auch sofort einen Schuss empfing. Er bäumte hoch auf, das Wasser schäumte, er ging fort, das Boot hinterdrein. Der Fisch geriet offenbar in Aufregung und Verzweiflung einem so gefährlichen unvermuteten Feind gegenüber, denn er tauchte, wahrscheinlich in Atemnot jetzt häufig auf, und empfing jedesmal seinen Schuss. Die Schüsse hätten ihm glaube ich nicht viel geschadet, denn nachher sahen wir, dass sie fast sämtlich von dem weichen elastischen zähen Fell abgeprallt waren. Wir waren unterdessen wie der Blitz wieder im Boot und hinüber, doch gleichzeitig kam auch ein schweres Fangboot mit zwei Fangleuten, der verbiesterte Wal ging grade auf sie los, und im selben Moment hatte er auch schon die Harpune im Leibe. Sie war wacker gezielt, grade durch die Lunge. In Schmerz und Todesqual suchte der Wal dem stechenden Schmerz zu entrinnen, und zog das schwere Boot an den Widerhaken in den Eingeweiden mit unheimlicher Geschwindigkeit davon; der Fangmann an der Leine konnte kaum mit Aufbietung aller Kraft das Seil halten. Zuweilen glitschte sie bei einem verzweifelten Ruck des rasenden Tieres ein Stück zwischen seinen Fingern hindurch. Aber die Kraft verließ das Tier, oder der Schmerz überwand es, es wurde ruhiger, nur zuweilen noch machte es neue verzweifelte Anstrengungen, indes vergebens.“

Schauderhafter Anblick

„Inzwischen war das Seil der Harpune an Land geschleudert, und kräftige Arme zogen sofort zu, um das Tier an Land zu ziehen. Wir kamen auch dazu, und ich muss gestehen, es war ein schauderhafte Anblick, das Tier sich vergebens gegen die Menschengewalt und den wütenden Schmerz des Widerhakens aufbäumen zu sehen. Der mächtige Schwanz peitschte das blutige Wasser zu Schaum, aus der Harpune und aus der Wunde, die sie verursacht, strömte gurgelnd rauchendes Blut, zuweilen ruhte der Fisch aus und stöhnte qualvoll dumpf und abgebrochen. Endlich, als der Fisch ganz an Land gezogen war, wurde seinem Leiden durch ein Speerstich ins Herz unter der linken Vorderflosse ein Ende gemacht. Noch ein letzter gewaltiger Todeskampf, dann fielen die kleinen, im Fett versteckten blauen Augen, die in der Farbe und Ausdruck Pferdeaugen gleichen, zu, die Flossen sanken nieder, das Maul öffnete sich ein wenig. Sofort wurde dem Fisch das Fell abgezogen mit der daran haftenden etwa 1 1/2 Zoll dicken Fettschicht. Ich musste die außerordentliche Geschicklichkeit der Fangleute, aber auch die blutige Mordsucht und das Behagen an der aufregenden Art des Fangens, mit anderen Worten, an der Qual des Tieres, bewundern und verabscheuen zugleich. Unangenehm waren mir natürlich die verschiedentlichen rohen Bemerkungen aber ich war natürlich aufgeregt und durchaus Neuling, während jene dieses alles als Geschäft betreiben und hundertmal durchgemacht haben.  Unter dem gelben Speck in der glänzenden, prachtvoll weißen Haut erschien schwarz und abscheulich das dampfende und zuckende Fleisch; und am widerlichsten war mir, dass nach einer Viertelstunde noch, als die Gedärme herausgerissen waren, und das Fell schon nebenbei lag, das Herz noch immer schnell, angstvoll, convulsivisch zuckte. Doch ich schlief danach gut auf diese Aufregung.“

Am 1. Juli schrieb Alex Eckener noch einen Artikel über die Fahrt durchs Eismeer „und am Mittag fuhr uns der Dampfer nach Cap Thordsen, wo Nordensköld, Andrée und Verschiedene überwintert haben. Der Aufstieg, in dem wilden Thal, wo noch eine Spurbahn hinaufführt, war sehr leicht, oben ist gleich ein Vorratshaus, und jenseits einer weiten sumpfigen gras-, moos- und blumenbewachsenen Ebene stehen die vier Blockhäuser der Expedition. Man erreicht sie, wenn man der Spurbahn entlang geht. Das Wohnhaus ist ziemlich groß, zweietagig. Ich zeichnete so viel wie möglich, konnte leider das Grab mit den 15 Mann nicht mehr mitbekommen. Unten die Aussicht an dem hohen Ufer des Cap Thordsen ist gewaltig und schön. Um 8 Uhr waren wieder in Advent Bay.“

Ausflüge mit Biwak

Reisegenosse Blunk - gezeichnet von Alex Eckener.

Reisegenosse Blunk – gezeichnet von Alex Eckener.

Von der Advent Bay aus unternahm Alex Eckener größere Ausflüge mit Biwak in die wilde, von Gletschern, Bächen und Geröll und stürmischen Winden geprägte Umgebung, fertigte Ölskizzen und photografierte. Er konnte mit seinen Wetterkenntnissen glänzen, die er sich wie sein Bruder Hugo beim Segeln angeeignet hatte. „5. Juli. Statt etwas zu thun ging ich trotz des niederträchtig kalten, heftigen Südostwinds, den ich vorgestern abend um 1/2 10 Uhr, als er einsetze, kommen sah, und der seitdem in zunehmender Heftigkeit weht, spazieren. Das Aufkommen des Windes war in der That interessant. Wir hatten den ganzen Nachmittag Nordwestwind, milde und flau, gehabt. Als ich mit Ellingsen bei Blunks Zelt stand (beide Mitpassagiere), wo wir Bier, Benedictiner und Cognac geschunden hatten, war fast vollkommene Windstille bei uns. Hinter uns wehte ein etwas schwacher Nordwest, und plötzlich sah ich vor mir das Wasser in der Advent Bay sich dunkel kräuseln, und konnte sogar bald Schaumkämme darauf bemerken. Ich sagte natürlich sofort, das wäre Südostwind, was die Anderen nicht glauben wollten. Ein aufkommender selbst heftiger Wind kommt nur langsam gegen eine vollkommene Windstille mit höherem Luftdruck auf, wie ich seinerzeit schon mal in Flensburg beobachtete. Auch hier dauerte es fast eine Stunde, bis der Wind die halbe Meile zu uns überwunden hatte. Dann setzte er sofort sehr heftig ein.“

Es war geplant ein weiteres mal Andrées Ballonhaus anzusteuern. Doch wurde das Vorhaben am 11.Juli wegen sehr schlechten Wetter vorerst aufgegeben.

Andrée startet im Ballon

Andrées Abflug.

Andrées Abflug.

An diesem 11. Juli 1897 stellte sich ein beständiger Wind aus Südwest ein und August Salomon Andrée entschied sich für den Start. Das Dach der Ballonstation wurde geöffnet und die drei Polarforscher kletterten in den Korb. Nachdem alle Seile gekappt waren, schwebte der Ballon um 13:40 Uhr langsam empor und verschwand in den Weiten der Arktis. Das Abheben wurde von dem deutschen Journalisten und Polarforscher Theodor Lerner auf die Photoplatte gebannt.

Für Alex Eckener ergab sich eine weitere die Gelegenheit Kapitän Sverdrup näher zu studieren, „er ist ein ziemlicher Stumpfbold, sehr hässlich, mit seitlich gekämmten fuchsroten Backenbarte, großer Hakennase, gelben hervorstehenden Zähnen, blöden Augen, scharfen bissigen Zügen, wie Affen haben um den Mund, Haare etwas struppig mit durchscheinender Glatze, sehr ruhig, mehr aus Stumpfsinn und Mangel an Geist, als Bewusstsein innerer Würde. Wusste sich den deutschen aufdringlichen Gästen gegenüber garnicht zu helfen. Spricht weder Englisch noch Deutsch noch ordentlich Norwegisch, eben nur Mann des Muts und der That, mit großem Scharfblick für äussere Energie.“

Auf Spitzbergen.

Auf Spitzbergen.

„Am Abend saßen wir endlich alle zusammen um einen Tisch; wie schwer zivilisierte Leute sich doch ineinander finden. Die Gesellschaft trennt ebenso wie sie verbindet. Die Sitzung dauerte wieder bis 3 Uhr, es ist infam langweilig, immer so lange aufzusitzen. Der verfluchte ewige Tag. Bei uns ist man so anständig nur im Dunkeln, im Geheimen sich der Lust zu ergeben, hier fröhnt man dem Laster offenkundig. Aufklärungen über Andrée sehr interessant. Muss kurz festtragen die Daten. Steigt auf nach dem 15. Juli auf jeden Fall (dass Andrée bereits abgeflogen warm wusste man an Bord demnach noch nicht), ausgeschlossen natürlich nördliche Winde. Hofft an die Eisgrenze zu gelangen, dort stetigen, vielleicht südlichen Wind zu treffen, Sverdrup sagte, er hätte nur im Februar bis Mai südliche Winde gehabt. Beide zusammen hätte gerne photographiert, war sehr interessant, Andrée der mächtige, kühn draufgehende, aber durch die Intelligenz Vorsichtige, und imponierende, beherrschte scheinbar den viel kleineren Sverdrup, der abwartend, ruhig, scharfblickend, gleichsam lauernd die Instinkte repräsentierte. Der Ballon ist auf sechs Wochen Fahrtzeit berechnet, Proviant auf viel länger. Tragfähigkeit 4800 kg. Andrée mit seiner Begleitung mit Ausrüstung Gewicht 2000-2400 kg. Ballon wird in einer großen Höhe gehalten, teils durch eigene Schwere am Aufsteigen verhindert, teils durch Senktaue (mit daran befestigtem Anker) vor dem Fallen geschützt. Luftauslassen wird thunlichst vermieden. Möglichkeit vorgesehen, am Anker den Ballon herabzuziehen. Segeleinrichtung an beiden Seiten, um zu verhindern, dass der Ballon platt gedrückt wird, von der Wucht des Windes, auch gleichzeitig etwaige Steuerbarkeit dadurch, d.h. mit dem 2. Wind sehr problematisch. Im Allgemeinen sagte er aber, dass Probieren in diesem Fall die Theorie erst schaffen muss, da vollständig unbekannt da oben. Es wäre ja sein Zweck, erst Material für Theorien zu beschaffen, und nicht auf Theorien hin, auf festes Unternehmen zu führen.“

Andrées Nachrichten

Einige Tage nach dem Aufstieg des Ballons landete auf einem norwegischen Dampfer eine von Andrée freigelassene Brieftaube, die eine Nachricht vom 14 Juli mit sich trug. Neben Angaben über Position und Flugrichtung enthielt sie den Text: „Alles gut an Bord“. Wie wir heute wissen, ließ Andrée mindestens vier Brieftauben frei, die aber alle nicht bis zu ihrem Schlag im nördlichen Norwegen durchkamen. Auch zwei Nachrichtenbojen wurden aufgefischt, die wenige Stunden nach dem Start abgeworfen worden waren. Darüber wie dramatisch die Lage an Bord tatsächlich war, gab erst das Jahrzehnte später gefundene Tagebuch Andrées Auskunft. Bereits am 14. Juli, also kurz nach Abflug der eingefangenen Brieftaube, war der Ballon auf dem Eis niedergegangen. Am 22. Juli brach die Mannschaft zu Fuß über das Packeis auf.

Advent Bay.

Advent Bay.

An jenem 22. Juli nachmittags um 5 Uhr ging es für Eckener endlich mit dem „Kvik“, ein kleineres sehr manövrierfähiges Schiff, das unter anderem für die Eisbärenjagd eingesetzt wurde, wieder nach Norden. „Wo es morgens sehr schön war; dann kam ein heftiger Südostwind auf, der sich bis jetzt abends um 1/2 9 Uhr bis zum Sturm mit Regenböen steigert … Barometer sinkt, Höhe 767mm, Therm. 5 Grad C … Die Tour ging bei Westsüdwestwind erst an der Vogelinsel entlang zur Coal Bay. Dort verließ der schwedische Pflanzensammler Ekstam das Schiff. Die Coal Bay bietet nichts Interessantes, war zudem etwas von Nebel verhängt. Weiter an Green Harbour vorbei, wo große, aber langweilige Schneeflächen, und an Dead Manshead, im Nebel, ins offene Wasser zwischen Spitzbergen und Charles Foreland. Schlechtes Wetter mit Wind und Regenböen und Nebel. Allmählich wurde der Nebel fortgejagt, hing aber noch in der hier in Spitzbergen eigenthümlichen sonderbaren Weise über den Bergkuppen, sie noch mehr wie mit einem Lineal abschneidend. Ging um 1 Uhr ins Bett, d.h. legte mich auf die obere Bank in der Kabine, hüllte mich in eine Decke und schlief gut. Wurde um 7 Uhr nach oben gerufen, der Nebel hing noch auf den Bergen, aber unter ihm warf die Sonne blendend silbernes Licht auf großartige Gletscher und dunkele starrenden Felsen. Es war, wie Conway sagte, St. James Bay. Auf der anderen Seite erschien in blendender Weise die stolze Felskuppe über der Peter Winterbay. Großartig durch Form, Farbe und Dimension; unberührt und in wilder Keuschheit, jeder Annäherung trotzig entgegentretend, die Wohnung der Schnee-Elfen und der Reifriesen. Fuhren weiter durch den Sund, ich schlief etwas, erwachte in Kings Bay, wo Conway und Garwood mit einem herzlichen Good-bye das Schiff verließen, so ruhig, als ob sie eben mal einen kleinen Spaziergang machen wollten. Die Landschaft, in der sie sich aufhalten wollen war eine der wildesten, die ich gesehen. Ungeheure Gletscher, so wild wie selten zerklüftet und gespalten umgeben fast die sämtliche Bay, es sind aber nur die Ausläufer des Binnenlandeises, das jene etwas erforschen wollen. Wozu, weiss der Teufel. Ich halte es hier viel richtiger, sich einfach an die Oberfläche zu halten, und in nichtssagende Rätsel nicht hinein zu dringen, weil die Antwort wertlos erscheint.“

Eisige Totenstarre der Natur

Auf Spitzbergen.

Auf Spitzbergen.

„Wir wandten uns, nachdem wir auf einige Robben, die im blauen Gletscher Treibeis herumschwammen, vergeblich geschossen, und kamen bald an die Cross Bay. Auch hier dieselben herrlichen Bergformen mit grandiosen, ins Meer steil abstürzenden Gletschern, zwischen über den Häupten der Berge duftige, die Formen bald verschleiernde, bald enthüllende silberne Nebel; überall die eisige Totenstarre der Natur, durch ihre Grausamkeit und Größe allein imponierend. Malte zwei Studien, sah aber ein, dass jegliches Bild ein Unding, weil man die Kolossalität nicht hervorzaubern kann. Die Luftperspektive lässt alles, selbst im Nebel nah erscheinen, das Wasser wirkt immer flach und kleinlich, die Dimension nicht erkennen lassend, so dass die immense Größe nicht herauskommt. Bei gutem Wetter, immer vor uns aufklärender Tag, hinter uns Nebelmassen, die Landschaft, die angeschaute verschleiernd, weiter durch offenes Wasser an den imposanten aber ermüdenden sieben Gletscherbergen vorbei nach Magdalenen Bay. Diese ist das beste, was ich hier gesehen habe. An Reichtum und Variation an Form und Farbe. Gletscher infolge der eigenen roten und blaugrünen Farbe im Spectrum spielend. Fuhren ganz nahe am Gletscher längs, etwa zwei- bis dreistöckiges Haus hoch, ganz glatt teilweise, teils in kolossalen Blättern; teils in Zacken und Klippen. Weiter durch Smeerensund, die Dansk-Öe links liegen lassend, ins offene Meer bis an den 80. Grad ins Treibeis, ins ewige Eis. Anfangs lächerlich wenig. Die Schiffer wagten überhaupt nicht weit hineinzufahren, wenig imposant, für mich nicht mal durch Neuheit reizend. Sehr kalt, Nordwind, mit Schneegestöber, 1 Grad Reaumur. Alles im Nebel. Fuhren Südostwärts zur Liefde Bay, nichts als Schnee und Nebel. Wandten uns nach Dansk Sats.“

„Stiegen bei Andrėe’s Ballonhaus aus. Eigentümliche Gefühle, mehr des Mitleids als Bewunderung, viel Neugier, und vor allem egoistische Freude, dass wir die ersten nach Andrėe’s Abfahrt hier waren. Zeichnete so viel wie möglich von innen und außen, werden wahrscheinlich gesuchte Bilder werden. Fuhren zurück, hatten von der Magdalenen Bay abends 11 Uhr bis nach Hause abends 8 Uhr ununterbrochen herrlichen Sonnenschein mit Nordwind; ziemlich stilles Wasser, ein wenig rollende Bewegung. Kleine Schiffe werden mit Recht hier oben gebraucht und sind entschieden vorzuziehen. Die Unbequemlichkeit und der Schmutz sind allerdings unangenehm. Drei Tage nicht gewaschen. Die Eindrücke sind zu stereotyp, als dass man sie einzeln aufzählen könnte, selbst die wechselnde Beleuchtung fehlt, sodass uns nur das körperliche Behagen in der Sonne und prächtig erfrischender Luft die Sache angenehm macht. Über die Rückfahrt ist nichts zu sagen, als dass sie zuletzt langweilig wurde. Habe bei Deadmans Head die treffende findige Namensgebung bewundert, vermisste sie bei einem kolossalen Bärenbild, gebildet aus Schnee und Felsen. Alles in allem die sehenswürdigste Tour, die bisher hier gemacht, geschrieben am Dienstagabend, 27. Juli.“

Die Reise geht zu Ende

Otto Sverdrup.

Otto Sverdrup.

Am letzten Tag auf Spitzbergen zeichnete Alex Eckener für den Journalisten Christensen und den zweiten Kapitän Hegge zwei Portraits von Kapitän Sverdrup. „Sverdrup ist doch ein merkwürdiger Kerl, und intelligenter als er mir anfangs erschien; nur wenig redegewandt und hilflos im Verkehr mit Fremden. Bescheiden und jedem Annäherungs- und Huldigungversuch misstrauisch und mit einer gewissen Eitelkeit ablehnend.“

Endlich wieder Nacht

Seine nächsten Notizen trug er erst mehrere Tage später, an Bord des „Lofoten“ zwischen Spitzbergen und Hammerfest, in sein Tagebuch ein: „Das Wetter ist herrlich, prächtiger Sonnenschein mit frischer Nordwestbrise, das Schiff schaukelt zwar erklecklich, aber ich bin nun einigermaßen seefest. Der Himmel klar und wolkenlos, das Meer tiefblau und grünlich, das Schiff wirft mächtig glänzende, breite Schaumstreifen auf. Es ist eine herrliche Fahrt, das Eismeer winkt mir seinen Abschiedsgruß zu. In einigen Stunden, etwas um 11 bis 12 Uhr sind wir am Nordkap, in Europa, halb zu Hause … Die Zeit an Freiheit ist vorbei; ich fahre wieder auf den alten Erdhaufen Europa zu, mit dieser Sklaverei, seiner Civilisation und seiner Gemütlichkeit. Vor allen Dingen werde ich Gott sei Dank bald wieder die erste Nacht sehen. Das ewige Licht ist wahrhaftig schrecklich ermüdend…“

Offenbar hatte Kapitän Sverdrup Alex Eckener bei einem kleinen Snack Kniffe der Navigation verraten. „Sverdrup scheint mir doch ein denkender Mensch zu sein, wenn denken heißt, äußere Eindrücke zu sammeln, zu vergleichen und Schluss daraus zu ziehen. Die Temperaturmessung zur Probe, ob Land nahe oder nicht, ist nicht ohne. Er denkt es sich schon so, dass das Meer im Allgemeinen gleichmäßig etwa 6 bis 7 Grad erwärmt an der Oberfläche, im Grund kälter etwas 2 bis 3 Grad. Wenn nun die Unterströmung, die hier steht, auf Land stößt, so wird sie in die Höhe getrieben, und erscheint auf der Oberfläche als 2 bis 3 Grad Temperatur. Natürlich gehört eine ziemlich umfangreiche Statistik dazu, um einigermaßen brauchbare Nachweise und Feststellung zu liefern.“

„Der Abend von dem ich fortführend weiter berichte, blieb fortgesetzt herrlich. Die Sonne neigte sich immer weiter, in einem Meer von semmelgelber Luft schwimmend, rein, wolkenlos tauchte sie tiefer und tiefer, langsam zögernd, das prächtige schäumende Meer nicht verlassen wollend. Um 3/4 11 Uhr hatte sie mit dem untersten Rand den Horizont erreicht und sank nun langsam weiter.“

Abweisendes Nordkap

Alex Eckener malte viel auf seiner Reise.

Alex Eckener malte viel auf seiner Reise.

„Wir feierten die erste Nacht mit Grog, waren aber zu früh auf dem Wege, denn sie sank wohl, und zwar langsam bis 12 Uhr soweit, dass sie nur die Sehne eines Sechsecks noch über Wasser sichtbar blieb, dann aber erhob sie sich wieder langsam, die Nacht war vorbei, der Tag begann. In buttergelber Seide, mit einigen rötlichen Wolken, abergraue zerfetzte Ballen. Immer noch war das Nordkap nicht in Sicht, denn eine Nebelbank von ungeheurer Androhung, von Westen her, verdeckte es. Endlich gegen 12 Uhr hatten wir auch dieses in Sicht, schon kolossal aufregend, in leisen Umrissen, aber doch imposant. Als wir uns dem Nordkap näherten, frischte der Wind, der den ganzen Tag über schon ganz nett geweht, bedeutend auf, er wuchs beinahe zu einem kleinen Sturm, so dass wir, zumal es Sverdrup unangenehm war, weiter zu fahren, es vorzogen, nicht an das Nordkap heranzufahren, sondern etwa eine 1/2 bis 3/4 Stunde abzubiegen. Einen Anblick, vollständig, ausreichend, hatten wir ja schon genossen. Europa zeigte sich uns bei unseren Ankunft etwas unliebenswürdig und launisch, wie häufig alte Jungfern. In schwerer See ging es nun weiter, ich lag in der Koje, konnte aber wegen des niederträchtigen Schlingerns keine Ruhe finden.“

Zurück in Hammerfest

Am 2. August war Alex Eckener zurück in Hammerfest. „Scheußliches Wetter macht die Stadt doppelt öde.“ Am Abend besuchte er eine der „berühmten nordischen Parte-Versammlungen“.

„Die Leute fließen über von Heldentum, Loyalismus und Conservatismus. Ein Redner nach dem andern, auf der feierlich geschmückten fahnenbehängten Kanzel, alle das gleiche redend, jeder Nachfolgende etwas weniger und dümmer, immer ein Hoch mit dreimaligem Hurrah und Fäusteschwingen, darauf spendeten sie sich selbst Applaus. Inzwischen Klavierkonzert und Gesangsarien, Klavier scheußlich verstimmt, Kehle ebenfalls, wie Möwenschrei. Viele Weiber, nette Mädels, nachher leider kein Tanz.“

In Hammerfest verabschiedete sich Alex Eckener von Kapitän Sverdrup. Bisher hatte man von Andrée kein Lebenszeichen mehr erhalten. Sverdrup wird vermutlich geahnt haben, dass die Expedition in Not war.

Die weitere Reise ging mit der „Vesteraalen“ entlang der Küste nach Süden. „Klare Luft zwar, aber lange nicht so rein durchsichtig wie oben in Spitzbergen. Immer Gefühl in den Frühling hineinzufahren… Abends die erste wirkliche Nacht, Laternen am Schiff, sind in die Dunkelheit hinein; aus dieser heraus, uns entgegen nach Norden fahrender Postdampfer, in das Licht, die Sonne hinein. Himmel hinter uns blutrot, darüber gräulich nach zartem Übergang, im Grünen der erste Stern, nach langer Zeit.“

Hitze bei 33 Grad

In Trondheim, „erste wirkliche Stadt mit Menschengewimmel, Gestank, Hitze 33 Grad in der Sonne“, stieg Alex Eckener in den Zug. „Schauerhaftes Gerummel, aber herrliche Gegend, fruchtbar, Auge und Gemüt erquickend… werde wohl kaum das Tagebuch fortsetzen. Mit dem Übergang von der Polargegend in das fruchtbare, civilisierte Europa ist das Tagebuch einer Spitzbergenreise vollendet“.

Andrée verschollen

Andrées Ballon havariert.

Andrées Ballon havariert.

Andrées Ballon blieb verschollen. 33 Jahre lang war das Schicksal der Expedition Spekulation. Über Jahre wurden immer wieder Suchaktionen gestartet. Auch lange nach Einstellung der Suche hielt die internationale Berichterstattung über das „Andrée-Mysterium“ an. Mal wurde angeblich Ballonseide gefunden, dann etwas wie ein verrotteter Ballonkorb.

Die östlichste Insel von Spitzbergen, Kvitøya, die „Weiße Insel“ war typischerweise von einem dicken Ring aus Packeis umgeben und lag zudem oft in einer Nebelbank versteckt, weshalb sie von Robben- und Walfangbooten kaum jemals angelaufen wurde. Doch der Sommer 1930 war ungewöhnlich warm und auch das Meer vor der Weißen Insel fast eisfrei.

Deshalb nutzten Besatzungsmitglieder der „Bratvaag“, die in der Nähe auf Fang war, die Gelegenheit, um am 6. August 1930 auf der so genannten „unerreichbaren Insel“ auf eine Landexkursion zu gehen. Dabei stießen sie zunächst auf ein in einem Schneehaufen eingefrorenes Boot voll mit Ausrüstung, darunter ein Bootshaken mit der Aufschrift „Andrées Polarexpedition 1886“. Bald wurden auch zwei Skelette entdeckt. Monogramme auf den Bekleidungsresten wiesen sie als Andrée und Strindberg aus. Außerdem fand man Andrées Tagebuch.

Sensationeller Fund

Nachdem der sensationelle Fund an die Presse und die norwegischen Behörden durchgefunkt worden war, machten sich Journalisten mit dem Robbenfänger M/K Isbjørn auf den Weg zur mittlerweile wieder auf See befindlichen Bratvaag, um Interviews mit der Besatzung zu führen. Als es nicht gelang, als erste an Augenzeugenberichte zu kommen, entschloss man sich, selbst auf Kvitøya zu recherchieren. Hierbei wurden die sterblichen Überreste von Fræankel entdeckt sowie eine Bleischachtel mit gut erhaltene Filmen und Karten Strindbergs.

Durch den Fund von Andrées sorgfältig geführtem Tagebuch erfuhr die Nachwelt nun endlich, welche Tragödie sich 1897 abgespielt hatte. Bereits der Start war eine Katastrophe. Vermutlich wurde die dünne Ballonhülle aus chinesischer Seide schon beim Start verletzt. Am Ballon waren mehrere Schleppleinen befestigt, die während des Fluges am Boden schleifen sollten, um die Geschwindigkeit zu drosseln. Diese Seile waren eine Erfindung Andrées, der der irrigen Ansicht war, sein Luftfahrzeug so mit Segeln manovierfähig zu machen. Als der Ballon nach wenigen Minuten über das Meer flog, wurde er von den Seilen nach unten gezogen bis der Passagierkorb teilweise ins eisige Wasser tauchte. Durch eine Zugsicherung fielen nun fast alle Schleppleinen ab, gleichzeitig wurde unnötig viel Sandballast abgeworfen. Jetzt stieg der Ballon auf nie geplante 700 Meter und begann unnötig Wasserstoff zu verlieren. Andrée vermerkte in seinem Tagebuch: „Die Luftreise war sehr unausgeglichen und so segelte der Ballon zeitweilig viel zu hoch und verlor Wasserstoff schneller als es Nils Ekholm befürchet hatte, oder er befand sich zu wiederholtem Male nahe dem Eis und drohte aufzuschlagen.“

Der Ballon havariert, Fußmarsch durch die Eiswüste

Durch Regen wurde die Örnen obendrein bald nass und schwer. Daraufhin musste der ganze Sand und schließlich Ausrüstungsgegenstände abgeworfen werden, um in der Luft zubleiben. Es gelang 10 Stunden und 29 Minuten ohne Bodenkontakt zu bleiben, danach folgten zwei Tage mit ständigem Aufsetzen auf dem Eis. Andrée schrieb verzweifelt: „Unser Ballon dreht und wendet sich seit dreizehn Stunden unaufhörlich. Er möchte wieder frei schweben, aber es gelingt ihm nicht mehr.“ Am 14. Juli um 7:30 GMT, 65:40 Stunden nach dem Start, blieb der Ballon endgültig auf dem Eis stehen. Keiner der Expeditionsteilnehmer war seit dem Abflug zum Schlafen gekommen. Man befand sich auf 82°56′ nördlicher Breite, 480 Kilometer waren zurückgelegt, was einem Drittel der Distanz zum Pol entsprach. Die drei Männer verbrachten die nächsten Tage in einem Zelt beim havarierten Ballon und besprachen die Lage. Am 22 Juli begannen sie den Fußmarsch durch die Eiswüste. Ziel war zunächst eines der beiden angelegten Depots mit Lebensmitteln und Munition auf Cape Flora. Doch die Eisdrift war fast so schnell wie die Mannschaft vorwärtskam und so wurde am 4. August entschieden, die Marschrichtung auf das zweite Vorratslager auf den Seven Islands zu lenken.

Tod auf der Weißen Insel

Bei der Eisbärenjagd: Eventuell sind Andrée und seine Männer an Trichinen gestorben, die sie sich beim Verzehr von Eisbärfleisch geholt haben.

Bei der Eisbärenjagd: Eventuell sind Andrée und seine Männer an Trichinen gestorben, die sie sich beim Verzehr von Eisbärfleisch geholt haben.

Zunächst konnte man dem Depot nennenswert näher kommen, doch bald drehte der Wind und die Expedition trieb wieder zurück. Der Kampf gegen das Packeis war extrem kräftezehrend. Meterhohe Eiswälle und Wassertümpel erschwerten das Fortkommen, teilweise musste auf allen Vieren gekrochen werden. Andrée hatte sich nichts vom Wissen der Inuit angeeignet. Die Kleidung aus Wollmänteln und Hosen mit Regenschutz war durch die neblig-feuchte Arktisluft ständig klamm und die von Andrée selbst konstruierten Schlitten viel zu schwer. Am 12. September wurde angesichts der immer längeren Schatten klar, dass die Polarnacht auf dem Packeis überstanden werden musste. Auf einer großen Eisscholle wurde ein Schneehaus gebaut. Sie trieben nun rasch nach Süden. Am 2. Oktober wurde die Scholle gegen Kvitøya, die Weisse Insel, gepresst und zerbrach direkt unter dem Haus, weshalb man in den folgenden Tagen mit der gesamten Ausrüstung auf die Insel zwischen Spitzbergen und Franz-Josefs-Land umzog. Als letzte zusammenhängende Zeilen notierte Andrée in sein Tagebuch: „Niemand hat den Mut verloren. Mit solchen Kameraden kann man sich erheben aus allen möglichen Umständen.“ Die folgenden Aufzeichnungen sind wirr und die entsprechenden Seiten schwer beschädigt. Der letzte Eintrag am Morgen des 17. Oktober lautet: „Nach Hause 7.05 Uhr vormittags.“ Vermutlich sind die drei Polarforscher bereits wenige Tage nach dem Umzug auf die Weiße Insel gestorben.

Was die drei Ballonfahrer das Leben kostete, wird im Dunklen bleiben. Eine Untersuchung der Körper hätte dies höchstwahrscheinlich klären können. Doch die drei Leichen wurden direkt nach Stockholm überführt und dort sofort eingeäschert. Die verbreiteste Hypothese ist der Befall durch Trichinen aus Eisbärenfleisch. Tatsächlich wurden in den gesicherten Knochen der erlegten Tiere später Fadenwürmer gefunden und Andrée registrierte bei allen drei „Schnupfen“, den es in der keimfreien Arktis aber nicht gibt. Andere häufige Erklärungensversuche gehen u.a. von einer Bleivergiftung durch Konservendosen aus, von Skorbut oder Selbstmord mit Opium. Vielleicht war es auch nur allgemeine Erschöpfung und Apathie.

Opfer seiner eigenen PR-Kampagne

Einiges spricht dafür, dass Andrée ein Opfer seiner eigenen PR-Kampagne wurde. In Schweden blickte man neidvoll auf die Erfolge von Norwegen, vor allem durch Nansen, im Wettlauf um den Nordpol. Das Interesse an Andrées Plänen war deshalb in Schweden enorm, aber auch weltweit war die Aufmerksamkeit an der Eroberung des Nordpols gewaltig. Überdies war Andrée ein gefragter und mitreissender Vortragsredner. Als die Expeditionsteilnehmer 1896 zu ihrem ersten Startversuch aufbrachen, wurden sie von jubelnden Volksmassen verabschiedet. Die Medien und der Sponsoren verlangten Resultate und jede Verzögerung wurde mit Argusaugen registriert. Umso stärker war der Druck, als der erste Anlauf 1896 scheiterte.

Als Andrées Mysterium gelüftet wurde, lebte Alex Eckener seit 31 Jahren in Stuttgart.

Mit einem Zeppelin schrieb Hugo Eckener Geschichte.

Mit einem Zeppelin schrieb Hugo Eckener Geschichte.

1930, wie jeden Sommer, zog es meinen Großvater zurück nach Schleswig-Holstein, um die Stimmungen der Marschlandschaft mit ihrem weiten Himmel auf Leinwand und Kupferplatte zu bannen, ein Schwerpunkt seines Werkes. Vor allem in der Gegend um Husum gibt es kaum ein Haus oder einen Hof, in dem nicht seine Bilder hängen. Es könnte bei Freunden auf einem Hof gewesen sein, als er beim Frühstück die Zeitung in die Hand nahm und auf dem Titelblatt vom Fund auf der Weißen Insel las und sich an seine Reise mit der Lofoten 1897 erinnerte.

Alex streift die Geschichte, Hugo schreibt Geschichte im hohen Norden

Beiden Brüdern, Alex und Hugo, war es vergönnt, die Mitternachssonne zu erleben. Hoch oben im Norden hatte mein Großvater Alex Eckener die Geschichte gestreift, sein Bruder Hugo Eckener hat dort sogar Geschichte geschrieben.

Ein Jahr später, im Juli 1931 machte Hugo Eckener, der übrigens Roald Amundsen und Fridtjof Nansen persönlich kennengelernt hat, als Kapitän des Luftschiff LZ 129 mit seiner erfolgreichen Polarfahrt weltweit Schlagzeilen.

Erfassung der Tagebuchtexte als Basis für diesen Artikel: Gudrun Wolter

Raushier-Reisemagazin

Ein Gedanke zu „Frühe Arktis-Kreuzfahrt: Alex Eckeners Reise nach Spitzbergen

  1. ausgesprochen interessant zu lesen und es erfreut mich Heide,Tochter von Gudrun als nette Freundin hier in Mexiko,zu kennen.

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