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Mongolei: Das Land der Musik und der Stille

Die laute mongolische Musik betäubt gnadenlos meine Ohren während der junge Fahrer gleichzeitig schamlos singt, von Bayern München schwärmt und versucht, mir seine Lebensgeschichte zu erzählen. Nach einer zwanzig-stündigen Flugreise bin ich endlich auf dem Weg nach Ulan Bator.  Die fremde Stadt, die ich aus dem Fenster betrachte, erscheint mir trüb. Der sowjetische Fußabdruck prägt sich in der Architektur. Die faden, farblosen, gleichgebauten Gebäude sind über die ganze Stadt willkürlich verstreut, der stickige Staub und der wolkige Himmel hinterlassen einen eher schwermütigen Eindruck.

Das Interieur eines Gasthauszimmers in der Stadtmitte Ulan Bators.

Das Interieur eines Gasthauszimmers in der Stadtmitte Ulan Bators.

Im Gegensatz zu der eintönigen Stadt ist die Atmosphäre im Auto bunt und extravagant: das ständige Hupen meines Fahrers, seine unkontrollierte Fahrweise, ignorieren der roten Ampeln (und das alles ohne angeschnallt zu sein!), die flauschigen, beigefarbigen Sitze seines japanischen Autos. Ich versuche meine Ruhe zu bewahren, während er sich durch den Stau mogelt.

Eine mongolische Jurte bietet nicht nur viel Platz, sie ist dazu noch mit den lebhaften Mustern ihres Volkes bemalt.

Eine mongolische Jurte bietet nicht nur viel Platz, sie ist dazu noch mit den lebhaften Mustern ihres Volkes bemalt.

Nachdem ich meine Pflicht als Touristin erfülle und dem Fahrer wunschgemäß sein Trinkgeld überreiche, schleppe ich mein Koffer fünf dämmrige, verrostete Stockwerke bis zum Gästehaus hoch. Auf einmal herrscht Stille. Sogar das unermüdliche Hupen der Fahrzeuge auf der Straße verstummt. Als einziger Gast im Vierbettzimmer breite ich mich aus. Trotz großer Zimmerfläche muss ich mich jedoch in das kleine Bett quetschen, da es eher für asiatische Größen gebaut ist. Dennoch freue ich mich auf einen geruhsamen Schlaf nach der langen Reise.

Der Schmelztiegel Zentralasiens

Großmutter und Kind sitzen und warten im armen Viertel Ulan Bators.

Großmutter und Kind sitzen und warten im armen Viertel Ulan Bators.

Mongolei – das Land mit russischen, chinesischen und kasachischen Einflüssen, das von der westlichen Welt selten wahrgenommen wird, hat meine Neugier geweckt. Als wahrer kultureller Schmelztiegel, das vor etwa einem halben Jahrhundert gleichzeitig der sowjetischen Union und chinesischen Revolutionstruppen unterworfen war, widerspiegelt dieses Land durch seine ungewöhnliche Geschichte die Vielfältigkeit Zentralasiens. Mit meiner zweiwöchigen Reise hoffe ich, die Kultur, Landschaft und Geschichte besser kennenzulernen.

Ein bunter Pavilion bietet den perfekten Blick auf die Häuser von Gachuurt.

Ein bunter Pavilion bietet den perfekten Blick auf die Häuser von Gachuurt.

Der frühe Morgen fängt erneut mit einer holprigen Mini-Bus fahrt an. Am ersten Tag meiner Reise fahre ich zum nahgelegenen Dorf, Gachuurt. Das etwa 20 Kilometer östlich von der Hauptstadt gelegene Dorf hinterlässt erste Eindrücke über das Leben außerhalb von Ulan Bator.  Rustikale Häuser klammern sporadisch nebeneinander in der unendlichen Landschaft. Farbige Geschäfte mit Coca Cola-Schildern stehen unbesucht neben der Schuttstraße, während kleine Kinder draußen spielen und Straßenhunde ziellos durch die Gegend wandern. In der beruhigenden Stille, die mich im Dorf umgibt, betrachte ich ohne jegliche Ablenkung die Umgebung in ihrer wahren Gestalt.

Ein einsames Haus in der Stadtperipherie.

Ein einsames Haus in der Stadtperipherie.

Bis zum 12. Jahrhundert war das mongolische Volk überwiegend nomadisch. Heutzutage wohnen mehr als die Hälfte der Mongolen in Ulan Bator und der Stadtperipherie. Trotzdem bleibt die nomadische Lebensweise tief im kulturellen Geist des Volkes verwurzelt. So befindet sich neben jedem Haus in Gachuurt eine Jurte, die an die nomadische Lebensart der Mongolen erinnert. Zudem begegnet man in den Hochgebirgen nach wie vor einsame Reiter auf halbwilden Pferden, nomadische Adlerjäger und Hirtenvölker, die mit ihren Familien die Landschaft durchkreuzen.

Die kleine Stadt Gachuurt befindet sich zwanzig Kilometer von Ulan Bator entfernt.

Die kleine Stadt Gachuurt befindet sich zwanzig Kilometer von Ulan Bator entfernt.

Abgesehen von der nomadischen Lebensweise werden die kulturellen Werte der Mongolen durch Sport und Kunst hervorgehoben. Im Laufe des größten Nationalfestes „Naadam“ wird Mut, körperliche Ausdauer und Fähigkeit durch Sportarten, wie Bogenschießen, Ringen und Pferderennen beweisen. Außerdem wird in der mongolischen Musik häufig über Familienzusammenhalt, Gastfreundschaft, Heimat, Heroismus und Pferde gesungen.

Eine Frau in Gachuurt wartet an der Bushaltestelle.

Eine Frau in Gachuurt wartet an der Bushaltestelle.

Dabei dominiert der Kehlkopfgesang („Khöömei“) die mongolische Musik, während die Pferde-Geige („Moriin-Khuur“) häufig als Instrument eingesetzt wird um die Gangart eines Pferdes zu imitieren.

Pferde gelten in der Mongolei als heilige Tiere und sind ein integraler Bestandteil des alltäglichen Lebens. Laut eines mongolischen Sprichworts ist „ein Mongole ohne Pferd wie ein Vogel ohne Flügel“. Die Mongolen glauben, dass sich der Geist und die Stärke eines Hengstes in seiner Mähne befinden.

Somit wird die Mähne des Pferdes traditionell nie geschnitten. Im Gegensatz zur westlichen Welt werden Pferde in der Mongolei wenig gepflegt: im Sommer grasen sie frei auf der Steppe und im Winter graben sie durch den Schnee, um Futter zu finden.

Während meiner holprigen fahrt nach Gachuurt habe ich das Glück, aus dem Mini-Bus freie Herden auf dem Grasland beobachten zu können.

Eine Nacht in der Jurte

Eine Jurte bei Nacht.

Eine Jurte bei Nacht.

Den folgenden Abend meiner Reise verbringe ich in einer Jurte – dem traditionellen Zelt der Nomaden. Mongolische Jurten bestehen aus einem Holzrahmen, dass mit einem Baumwolltuch, mehreren dicken Wollfilz Lagen und einem imprägniertem Segeltuch bedeckt ist. Der Bau der Jurte dient zur Isolation von der äußeren Kälte, sodass sie bei extremen klimatischen Bedingungen gleichzeitig zum Schlafen, Kochen, Wohnen und Arbeiten benutzt werden kann. Trotzdem frieren während der Nacht im Schlafsack meine Füße. Dass die mongolischen Temperaturen im Winter extrem sind wusste ich schon. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass der Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht im Sommer auch so drastisch sein kann.

Coca Cola auf Mongolisch: ein leeres Geschäft in der Stadtperipherie von Ulan Bator.

Coca Cola auf Mongolisch: ein leeres Geschäft in der Stadtperipherie von Ulan Bator.

Das raue, kontinentale Klima der Mongolei und die extremen Temperaturschwankungen zwischen 40°C im Sommer und -50°C im Winter wirken sich zusätzlich stark auf die Ernährungsweise der Mongolen aus. Da der Ackerbau im Gebirge fast unmöglich ist, sind Obst und Gemüse nur in Großstädten erhältlich.

Das Parlament in Ulan Bator befindet sich im Stadtzentrum am Sükhbaatar Platz.

Das Parlament in Ulan Bator befindet sich im Stadtzentrum am Sükhbaatar Platz.

In kleineren Städten können nur verpackte Industrieprodukte erworben werden. Aus diesem Grund basiert die mongolische Ernährung auf Fleisch, Milchprodukten und Kohlenhydraten. Dabei werden am Häufigsten Nudeln, Reis, fleischgefüllte Teigtaschen („buuds“), gesalzener Tee („süütei tsai“), fermentierte Milch und gekochtes Schaf- und Lammfleisch verzehrt. Großer Wert wird insbesondere auf Spezialitäten wie Stutenmilch gesetzt, welches zu diversen Zeremonien und Gebeten getrunken wird (und sehr gewöhnungsbedürftig ist!).

Historisches Erbe in Ulan Bator

Das Blue Sky Hotel im Stadtzentrum bietet die teuerste Übernachtungsmöglichkeit in Ulan Bator.

Das Blue Sky Hotel im Stadtzentrum bietet die teuerste Übernachtungsmöglichkeit in Ulan Bator.

Im Laufe der nächsten Tage meines Aufenthalts im Stadtzentrum besuche ich verschiedene Stadtmerkmale in Ulan Bator, darunter auch das Blue Sky Hotel, den Narantuul Markt und den Freizeitpark. Einen besonderen Eindruck hinterlässt der historisch geprägte Sükhbaatar Platz (heute auch Chingis-Khaan-Platz genannt), der sich im Herzen der Stadt befindet.

Eine mongolische Honda Werbung im Stadtzentrum.

Eine mongolische Honda Werbung im Stadtzentrum.

Mit einer Geschichte von Demonstrationen, Hungerstreiks, politischen Unruhen, Feiern und Protesten verbirgt dieser Ort wichtige Ereignisse der mongolischen Vergangenheit. Mit zwei großen Denkmalen werden hier die wesentlichen Helden des mongolischen Volkes gefeiert: der Eroberer Dschingis Khan und der Revolutionsführer Damdin Sükhbaatar, der die Mongolei 1921 von China unabhängig machte. Heutzutage finden am Platz immer noch staatliche Anlässe, Kulturveranstaltungen und Ausstellungen vor dem Parlamentsgebäude statt.

Der Gesang der Mönche

Nach dem Gebet versammeln sich buddhistische Mönche vor dem Pethub Kloster.

Nach dem Gebet versammeln sich buddhistische Mönche vor dem Pethub Kloster.

Während des letzten Ausflugs meiner Reise entschließe ich mich, die mongolische Religion durch einen Besuch zu den buddhistischen Klöstern Pethub und Gandan besser kennenzulernen. Als Religion der meisten Mongolen ist der Buddhismus stark von tibetischen Heilungsritualen und Volkszeremonien geprägt. Darin ist das Ziel, sich von jeglichen Leiden zu erlösen und Nirvana (oder unendliches Glück) zu erreichen.

Ein junger Mönch läuft enthusiastisch aus dem Pethub Kloster nach dem morgendlichen Gebet.

Ein junger Mönch läuft enthusiastisch aus dem Pethub Kloster nach dem morgendlichen Gebet.

Im Gegensatz zum tibetischen Buddhismus basiert der mongolische Buddhismus außerdem auf geheime Meditationstechniken und Ritualen der tantrischen Schule.  Als ich am Pethub Kloster ankomme, höre ich den Gesang der Mönche.

Junge Mönche warten vor dem Pethub Kloster.

Junge Mönche warten vor dem Pethub Kloster.

Ihr rhythmisches Singen  ist hypnotisierend. Die Trommel, die ihre tiefen Stimmen begleiten, erfüllen den Raum. Obwohl ich das Kloster nicht betreten darf, höre ich von außen, wie die Stimmen der Mönche im Gebet mit den Wänden des Klosters verschmelzen. Der Klang, der meine Ohren erfüllt, lässt meine Gedanken in eine tiefe Stille versenken.

Der bunte Eingang zum Pethub Kloster.

Der bunte Eingang zum Pethub Kloster.

Ich erinnere mich an die Stille der Landschaft und den Chaos der Stadt. Ich verinnerliche die Vielfältigkeit der mongolischen Kultur, ihre Geschichte und die ungewöhnlichen Traditionen ihres Volkes. Das Trommeln und Singen verstummen im Hintergrund, während ich an die magischen Momente der letzten zwei Wochen denke, und die neuen Perspektiven, die ich durch meine Reise gewonnen habe, zu schätzen lerne.

Fotos: Lana Tannir

Raushier-Reisemagazin

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