zurück



Zwischen Himmel und Erde. Notizen aus Südafrika

„Shosholoza, shosholoza / Ku lezontaba / Stimela siphum’ eSouth Africa“, sangen unüberhörbar etwa dreißig farbige Mädchen und Jungen am Flughafen Johannesburg und tanzten dazu ausgelassen. Sie zogen die Aufmerksamkeit aller weißen Mitflieger auf sich, die dem lebhaften Schauspiel wohlwollend zusahen. Das ist Südafrika, Lebensfreude und Aufgeschlossenheit , urteilten wir als Neuankömmlinge spontan. Südafrika, ein Land, in dem es möglich ist, fröhlich und hoffnungsvoll zu leben und auch Eigenheiten zu bewahren. Ein Land, in dem alle, ob schwarz oder weiß, gerne und friedlich miteinander zusammen leben.

Kurz darauf wurden wir mit der Kehrseite konfrontiert. Als wir uns nach der Übernahme eines Mietwagens an den Linksverkehr und an das Schalten auf der ‚falschen‘ Seite gewöhnt hatten und zum Addo Nationalpark fuhren, bemerkten wir abseits des Zentrums von Port Elisabeth Unmengen von Plastikflaschen, Tüten und Papier, kurz den Müll unserer Zivilisation, links und rechts der Straße. Dann ein hoher Eisenzaun und dahinter, völlig ungeordnet, Kästen aus Wellblech oder Holz, Planen oder Pappe oder einem Mix aus diversen Materialien. Nicht einmal das Wort Hütte trifft auf diese Behausungen zu. Kreuz und quer dazwischen schlammige Wege, auf denen neben Kühen, Ziegen und Schafen schwarze Männer, Frauen und Kindern liefen. Chaos und Elend neben einer bestens ausgebauten Straße. Von Lebensfreude keine Spur. Stattdessen viele Schwarze, die am Straßenrand standen und mit Geldscheinen winkten, als wollten sie mit einem Obolus der Misere entkommen. Nach diesem Anblick korrigierten wir unser Vorstellungen von Südafrika, das von wilden Tieren in unberührter Natur und von stattlichen Weingütern, von Nelson Mandela und vom friedlichen Zusammenleben der Menschen unterschiedlichster Hautfarbe geprägt war.

Abgrenzung versus Weite und Offenheit

Weniger dem Schutz vor Tieren, sondern mehr der Abwehr unerwünschter Zweibeiner dienen die hohen Zäune und dicken Mauern, die um einzelne Wohnviertel oder Häuser überall errichtet sind. Die Townships, die Elendsquartiere der Schwarzen, sind damit doppelt und dreifach umgeben und die Weißen sichern ihre Häuser noch zusätzlich mit einem Elektrozaun. Die Einfahrt zu den Hotels und Guest Houses erlaubt ein schweres eisernes Tor erst nach genauer Identifikation durch die Gegensprechanlage mit Kamera. Dieser Abgrenzung steht die Weite und Offenheit der Landschaft gegenüber. Unberührte Savanne, Berge und Schluchten, schier endlose Weiden und Felder wechseln einander ab und vermitteln das Bild einer intakten Natur.

Die Elefanten scharen sich um eine Wasserstelle im Addo Elephant National Park. Sie trinken und besprühen ihren Körper mit dem kühlen Nass, während die Zebras gebührenden Abstand zu den Dickhäutern halten.

Die Elefanten scharen sich um eine Wasserstelle im Addo Elephant National Park. Sie trinken und besprühen ihren Körper mit dem kühlen Nass, während die Zebras gebührenden Abstand zu den Dickhäutern halten.

Im Addo Elephant National Park erlebt man sie, die scheinbar unberührte Fauna und Flora. Tiere, die man aus dem Zoo kennt, sahen wir von der mit allen Annehmlichkeiten ausgestatteten Unterkunft, mitten im Park gelegen. Einen massiven Zaun gab es auch hier. Der soll Elefanten abhalten, durch das Camp zu stampfen. Von der Veranda beobachten wir Kudus mit ihren spiralförmig geschwungenen Hörnern, Springböcke und Warzenschweine, die mit zierlich aufgerichteten Schwänzen und mächtigen Hauern ins Auge fallen. Anderntags verpassten wir wegen einer längeren Ruhepause die geführte Safari, sodass wir auf eigene Faust im Mietwagen auf den gekennzeichneten Pisten das Gelände erkundeten. Durch den Staub der Piste erspähten wir Erdmännchen, die uns, hoch aufgerichtet, in ihrem Reich begrüßten. Unversehens stand die größte Antilope, ein Eland, auf dem Weg und bewegte sich nur behäbig fort.

Bis zu 1,5 m Länge haben die spiralförmig geschwungenen Hörner des Großen Kudu. Dieses prachtvolle männliche Tier ist im Gegensatz zu seinen Artgenossen als Einzelgänger unterwegs.

Bis zu 1,5 m Länge haben die spiralförmig geschwungenen Hörner des Großen Kudu. Dieses prachtvolle männliche Tier ist im Gegensatz zu seinen Artgenossen als Einzelgänger unterwegs.

An einer Wasserstelle fanden wir sie endlich: Elefanten. Nur wenige Meter entfernt sprühten sie mit dem Rüssel kühlendes Wasser über Kopf und Rücken. In natura wirken die Elefanten noch größer, als man sie sich vorstellt. Nach einiger Zeit gesellte sich ein Büffel mit seinen mächtigen Hörner zu ihnen, während die Zebras Abstand hielten und sich nicht ans Wasser trauten. Als wir die Stelle verlassen wollten, trat aus den Büschen ein dritter Elefant. Danach ein Vierter und ein Fünfter; zuletzt waren es über dreißig Elefanten. Dabei ganz Kleine, die noch säugten und putzig zwischen den Beinen der Mutter liefen. Faszinierend war der Umgang der Dickhäuter untereinander. Ihr Verhalten und Charakter weist viele Parallelen zu den unseren auf.

Begegnung mit einem Elefanten

Später erfasste uns Bangigkeit bei einer Begegnung mit einem Elefanten. Ein mächtiger Bulle stürmte mit gespreizten Ohren auf uns zu und verharrte unmittelbar vor dem Wagen. Unser letztes Stündlein? Nach schier unendlicher Zeit wandte er sich ab, touchierte den Rückspiegel und verschwand in den Büschen.

Der Leuchtturm von St. Francis und daneben die Pinguin-Station, die sich um verletzte und kranke Pinguine kümmert.

Der Leuchtturm von St. Francis und daneben die Pinguin-Station, die sich um verletzte und kranke Pinguine kümmert.

Löwen erspähten wir im Addo Park nicht. Nur abgenagte Knochen, die sie oder die afrikanischen Wildhunde, die wild dogs, zurückgelassen hatten. Raubtiere, Giraffen und Flusspferde begegneten wir auf einer geführten Safari in einem Park bei Plettenberg. Bis auf Nashörner hatten wir die auf dem Land lebenden „Big Five“ gesehen; am Indischen Ozean hofften wir auf die Big Five des Meeres.

An der Strandpromenade von Hermanus kennen die Touristen nur eine Blickrichtung: Hinauf aufs Meer. Ab August bringen in der geschützten Bucht die Südkaper, eine Walart, dort ihre Jungen zur Welt und sind gut zu beobachten. Hermanus ist die Wal-Metropole Südafrikas.

An der Strandpromenade von Hermanus kennen die Touristen nur eine Blickrichtung: Hinauf aufs Meer. Ab August bringen in der geschützten Bucht die Südkaper, eine Walart, dort ihre Jungen zur Welt und sind gut zu beobachten. Hermanus ist die Wal-Metropole Südafrikas.

Hermanus, wo sich die Wale im September tummeln sollen, beschäftigt einen Wal-Ausrufer, der das Ufer abgeht und die Stellen ausruft , an denen Wale gesichtet werden. Überall entlang von Hermanus‘ Küste starrten Menschen stundenlang mit einem Fernglas vor der Nase und Kameras mit riesigen Objektiven aufs Meer. Oder sie fuhren mit einem Kutter hinaus und ganz Mutige ruderten mit Kajaks auf die bewegte See, um den Walen ganz nahe zu sein. Ohne Ankündigung des Wal-Ausrufers erblickten wir einen Wal aus dem Wasser springen und mehrmals seine Schwanzflosse. Andere Bewohner des Meeres, etwa Pinguine, sah man in St. Francis, wo sich eine Station um verletzten Tiere kümmert, oder am Stony Point, zu dem eine in den Felsen gebaute Straße mit herrlichen Ausblicken führt.

Unbekümmerte, mutige und übermütige Südafrikaner

Sage und schreibe achtzehn Mädchen und Jungen entsteigen dem Kombi und stürzen sich sogleich in die Fluten des Indischen Ozeans, der im September noch recht kalt ist.

Sage und schreibe achtzehn Mädchen und Jungen entsteigen dem Kombi und stürzen sich sogleich in die Fluten des Indischen Ozeans, der im September noch recht kalt ist.

Neben den Tieren begegneten wir unbekümmerte, mutige und übermütige Südafrikaner. Aus einem VW-Kombi kletterten eins, zwei, sechzehn – unglaublich – siebzehn, achtzehn Jungen und Mädchen und warfen sich in die Fluten des Indischen Ozeans. Welche Unbekümmertheit und Begeisterung! Dazu passte, dass ein Fahrer des Wagens nicht zu sehen war. Sollte einer der älteren Jungen oder eines der größeren Mädchen unerlaubterweise gefahren sein? Mutige Erwachsene stürzten sich von der über 200 Meter hohen Bloukrans-Brücke in die Tiefe, um durch ein elastisches Seil vor dem Tod gerettet zu werden. Erstaunlich, wie viele Wagemutige rund 300,00 Euro bezahlen, um sich diesem Kick auszusetzen. Völlig ohne Sicherung und Seil balancierten und posierten Übermütige auf den äußersten Spitzen des Tafelberges. Hier kommt es zu einem Todesfall pro Monat.

Vom Tafelberg zu sehen ist Robben Island. Das dortige Hochsicherheitsgefängnis war zwanzig Jahre lang „Heimat“ für Nelson Mandela und Mittelpunkt des Protestes gegen das Apartheidsregime.

Vom Tafelberg zu sehen ist Robben Island. Das dortige Hochsicherheitsgefängnis war zwanzig Jahre lang „Heimat“ für Nelson Mandela und Mittelpunkt des Protestes gegen das Apartheidsregime.

Der Kapstädter Hausberg verfügt scheinbar über eine magische Anziehung. Beim Frühstück wird man bereits informiert, ob die Bergbahn fährt. Wenn ja, lässt man die zweite Tasse Kaffee stehen und macht sich möglichst schnell zur Seilbahn-Station auf, bevor der Andrang zu groß wird. Denn jeder Besucher Kapstadts möchte auf den Berg, um die Aussicht zu genießen und um an der Südspitze Afrikas zu stehen.

Mit uns warteten zahlreiche Jugendliche, auf deren schmucken Schuluniformen die Vornamen standen. So ließen sich die farbigen Mädchen fragen, wer ihre kunstvollen Frisuren geschaffen hatte. Denn damit unterschieden sie sich deutlich von ihren weißen Mitschülerinnen und zeigten so vielleicht ein gestiegenes Selbstbewusstsein. Anders kreativ waren die Farbigen, die Autofahrer in einen Parkplatz einweisen, das Fahrzeug bewachen und es gegen einige Münzen waschen. Diesen Service erlebten wir bei unseren Unterkünften jeden Morgen. Wie von Geisterhand picobello gereinigt stand unser PKW bereit, mit dem wir wie die weißen Südafrikaner fast jeden Weg zurücklegten. Ob aus Bequemlichkeit oder Unsicherheit war uns bis zuletzt nicht bewusst.

Wunderbarer Kontrast

Nicht nur die zahlreichen Geschäfte im V&A Viertel sind verlockend, sondern auch die vielen Musiker und Straßenkünstler machen es zu einem Anziehungspunkt.

Nicht nur die zahlreichen Geschäfte im V&A Viertel sind verlockend, sondern auch die vielen Musiker und Straßenkünstler machen es zu einem Anziehungspunkt.

In Swellendam, Stellenbosch und Franschhoek fühlt man sich in die Zeit der ersten Siedler zurück versetzt. Vor allem wegen der Häuser im kapholländischen Stil, der gekennzeichnet ist durch den an der Längsseite eingelassenen, oft geschwungenen Giebel und einem Reetdach. Die blendend weiß getünchten Bauten bilden einen wunderbaren Kontrast zur grünen Umgebung. Mehrere Gebäude dienen in Swellendam als Museum, das auch ein hervorragendes Restaurant beherbergt. Wenn man nach Schließung des Museums ins Restaurant wechselt, bekommt man unter Umständen ohne Reservierung – ohne die in Südafrika nichts läuft – einen Platz und kann Speisen nach überlieferten Rezepten genießen. Fleisch vom Kudu schmeckte wie zartestes Rindfleisch und mundete köstlich.

Ein Blick von der Seilbahn-Station auf dem Tafelberg hinunter nach Cape Town. Am oberen Bildrand ist das Stadion der Fußballweltmeisterschaft zu erkennen und dahinter liegt die Victoria & Alfred Waterfront.

Ein Blick von der Seilbahn-Station auf dem Tafelberg hinunter nach Cape Town. Am oberen Bildrand ist das Stadion der Fußballweltmeisterschaft zu erkennen und dahinter liegt die Victoria & Alfred Waterfront.

Neben dem Tafelberg bietet Cape Town sehr viele Sehenswürdigkeiten, die in zwei Tagen bestens zu sehen sind vom Hop on-Hop off-Bus, den man beliebig oft verlassen und wieder besteigen kann. An den Victoria und Alfred Waterfront verweilten wir etwas länger, weil in den Geschäften viele schöne Sachen angeboten werden, in einer ehemaligen Lagerhalle ausschließlich südafrikanische Produkte, und weil die zahlreichen Musiker und Straßenkünstler gute Unterhaltung bieten.

Zeit sollte man sich nehmen für den Kirstenbosch National Botanical Gardens, der mit seinen 22.000 einheimischen Pflanzenarten von der Unesco zu einen „der überwältigendsten Naturschätze des Planeten“ gezählt wird. Der Garten am Fuß des Tafelberges geht nahtlos über in die ‚wilde‘ Flora, die den Osthanges des Berges bedeckt. Hier ist der Artenreichtum doppelt so hoch wie in andere Gegenden der Welt. Mit seinen Bäumen, Sträuchern und Blumen ist der Garten traumhaft schön und bildet einen gelungenen Abschluss jeder Südafrika-Reise. Die hatte begonnen mit der Tier- und endete mit der Pflanzenwelt. Nur unsere Koffer wollten sich nicht einfügen in den perfekten Abschluss. Mit reichlich Verspätung sind sie doch noch mit unseren materiellen Erinnerungsstücken an Südafrika eingetroffen.

Fotos: Gisela Marzin

Raushier-Reisemagazin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert