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Salento: Der Zauber des Stiefelabsatzes

Die Landschaft im Südosten Italiens bietet puren mediterranen Flair, kristallenes Meer, von Fisch geprägte Küche und eine reiche, herrlich duftende Flora.  Hier vereinen sich Kultur, Architektur und Tradition mit atemberaubender Naturschönheit und herzlicher Gastfreundschaft .

Sie hatten mich gewarnt. Eine Radtour mit Mario? „Vorsicht, der ist eine Lokomotive, ein Ferrari. Da wirst Du ganz schön schnaufen“, hatte mich zuletzt Luca bedauert, Herr über die Wassersportanlage im Robinson Club Apulia. Doch das Angebot von Mario Mauro, dem Clubchef, war zu verlockend. „Wenn Du meine Heimat wirklich kennenlernen willst, dann am Besten bei einer Radfahrt die Küste entlang.“ Und so schwinge ich mich am nächsten Morgen um halb sieben zusammen mit vier anderen Club-Gästen aufs Trekkingrad. Vom Club-Gelände in Marina di Ugento folgen wir fortan Mario auf seinem roten Rennrad auf dem Weg nach Santa Maria di Leuca, der südlichsten Ortschaft Italiens.

Es duftet nach Meer, nach Lavendel, nach unendlicher Freiheit und Urlaubsfreude. Entlang der Küste bieten sich herrliche Ausblicke auf die Strände, Dünen und Felsen auf der einen und die Olivenhaine, Oleander- und Schilf-gesäumten Felder auf der anderen Seite der Straße. Und wenn wir durch die verschlafenen Dörfer wie Torre Mozza, Torre Pali und Torre Vado düsen, dringt verlockend der Duft von frischen Croissants und Capuccino in unsere Nasen. Doch wir müssen weiter. Pause macht Mario, der vorne das Tempo vorgibt, erst am Ziel. Luca hatte recht. Das mit der Lokomotive stimmt. Wir müssen ordentlich in die Pedale treten, um nicht zurückzufallen.

Doch auch Mario hatte recht. Der Ausflug lohnt sich. Wir Radler bekommen einen bleibenden Eindruck von unserer Urlaubsgegend rund um den Robinson Club. Und es ist bestimmt nicht der letzte Ausflug, den wir machen,  zu viel  gilt es noch zu entdecken. Denn hier unten, da wo Italien zu Ende ist, liegt ein zauberhafter Landstrich – das Salento, eine 100 km lange und 40 km breite Halbinsel im äußersten Südosten Italiens. Manchen ist er auch bekannt als „Absatz“ des italienischen „Stiefels“. Zwischen zwei Meeren, dem Ionischen im Westen und der Adria im Osten, gelegen,  ist die Küste 250 km lang. Dramatisch steile und bizarre Felsküsten wechseln sich immer wieder ab mit kilometerlangen, weißen Sandstränden und verleihen der Landschaft einen berückenden Zauber.

Die Region hat sich ihre bäuerliche Ursprünglichkeit erhalten

Weit entfernt von den touristisch überlaufenen und mondänen Badeorten an Adria und Riviera, hat sich die Gegend im äußersten Süden der Region Apulien noch eine sehr bäuerlich geprägte Ursprünglichkeit erhalten. Wer pures italienisches Flair, kristallklares, karibisch blaues Meer, von frischem Fisch und Oliven geprägte Küche und eine reiche, immer duftende Flora sucht, der ist hier richtig.  Ein Fleck Erde, in dem sich Kulturdenkmäler, Architektur und eine Geschichte voller Traditionen mit atemberaubender Naturschönheit und einer herzlichen Gastfreundschaft vereinen. Entlang der Küsten des Salento stehen auf Landzungen und Felsvorsprüngen rund 60 Türme.

Einige sind sehr gut erhalten und bewahren ihren trutzigen Charakter aus der Zeit, in der sie als Aussichtsposten zur Verteidigung gegen Piraten dienten. Heute sind sie Anhaltspunkte für Seeleute und geben der Küstenlandschaft ihre Persönlichkeit und mittelalterlich-mediterrane Atmosphäre.

Einen besonderen Charme verleihen der Gegend die Wurzeln aus der griechischer Kultur, denn schon der Name hat einen griechischen Ursprung. „Salento, das heißt: die Leute vom Meer“, weiß Salvatore, der einheimische Someliere des Robinson Club Apulia. „Die Kreter kamen vor rund 3000 Jahren hierher. Noch heute gibt es neun Dörfer, in denen man Griechisch spricht. Auch wenn meine Mutter meine Tante trifft, dann sprechen sie Griechisch“, erzählt Salvatore, der mit Familienname Crisostomo heißt und selber Alt- und Neugriechisch sowie „Griko“ spricht, eine  Sprache, die altgriechische, byzantinisch-griechische und italienische Elemente vereint.

Griechische Wurzeln und maurische Paläste

Auch in der Architektur unterscheidet sich Salento vom restlichen Apulien. Die traditionellen Wohnhäuser sind nach griechischer Art gebaut, sie sind weiß gekalkt und haben ein Flachdach. Auch einige historische Häuser lassen sich noch besichtigen – nach traditioneller griechischer Art hatte so ein Bauernhof vier oder fünf Kammern: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Pferdestall, Getreidekammer und Scheune. Die historischen Stadtzentren dagegen sind hauptsächlich im Lecceser Barock (genannt nach der Landeshauptstadt Lecce) erbaut, mit typisch salentinischen Details wie der überbordenden Fassadenbemalung von Palazzi und Kirchen.

Und weil es im 19. Jahrhundert Mode war, arabisch zu bauen, finden sich entlang der salentinischen Küste – vor allem zwischen Marina de Leuca und Otranto – zahlreiche Häuser und Paläste im maurischen Stil. „Nicht verpassen sollten Urlauber Gallipoli, (griechisch für ‚Schöne Stadt‘) – eine echte Perle des Ionischen Meeres. Die Altstadt liegt auf einer Kalkinsel, die mit dem Festland nur durch eine gemauerte Brückenkonstruktion verbunden ist“, empfiehlt Mario. Gallipolli war Fischerhafen und Festung im Kampf gegen die Türken, ein Ort voll orientalischen Charmes. Sie ist mit ihren Sträßchen, den historischen Monumenten und den Düften einer exquisiten lokalen Küche umgeben von traumhaften Stränden.

Aber auch andere Ausflüge lohnen sich, so der Clubchef: In der Festungsstadt Otranto findet sich das größte Mosaik Europas, in Galatina die erste Sixtinische Kapelle, in Alberobello die Trulli-Dörfer mit den typischen Zipfelmützendächern.

Grotten und Höhlen sind Zeitzeugen der Geschichte

Und in den zahlreichen Grotten und Höhlen lässt es sich nicht nur wunderbar Schnorcheln und Staunen. Hier weht auch noch der Atem der Geschichte. Die Höhlen der Gegend beherbergen eine außergewöhnliche Vielfalt an Fossilien und Spuren der Besiedelung. Lohnenswert ist besonders der Besuch der Grotta della Poesia, bei Roca Vecchia, die in einem Naturparadies liegt und  bedeutende archäologische Reste bewahrt. Weiter im Süden folgt bei Porto Badisco die Grotta dei Cervi, die ‚Hirschgrotte‘ aus dem Neolithikum. Die mehr als 3000 Zeichnungen in ihrem Innern machen sie zu einer der interessantesten Stätten der Höhlenmalerei in Europa. Mit Ocker und Fledermauskot wurden Jagd- und Tanzszenen, geometrische Figuren und Symbole gemalt.

Die Grotta Zinzulusa bei Santa Cesarea verdankt ihren Namen den unzähligenTropfsteingebilden, die wie Wäschestücke oder Lumpen (‚cenci‘ , im Dialekt der Gegend ‚zinzuli ‚) von der Decke hängen. Man kann sie vom Meer aus oder über einen Zugang an einem Hang betreten. Die ‚Blaue Grotte‘, Grotta Azzurra, befindet sich nicht weit von der vorigen und ist nur vom Meer her zugänglich.

Die unterschiedlichen Farben von Grün bis Kobaltblau entstehen dank der Brechung des Lichtes im Wasser. Weiter Richtung Süden am Kap von Leuca trifft man auf die Grotta Tre Porte, die ‚Höhle der drei Tore‘ – so genannt wegen ihrer drei eindrucksvollen Bogen, die vom Meer her sichtbar sind.

In den Dörfern lassen sich viele kleine Winzer entdecken

Die 97 Gemeinden und 39 kleinen Dörfer des Salento liegen eingebettet in das Grün der jahrhundertealten Olivenhaine, der Tabakpflanzungen und Weinberge. Enge, kurvige Straßen verbinden die Ortschaften. In denen lassen sich viele kleine, private Winzer aufspüren, die kräftige, süffige Rotweine anbauen, wie den „Salice Salentino“ eine Cuvée aus Negro Amaro/Malvasier vom Winzer Candido oder den „Mjero“,  ein rubinroter Negro Amaro mit kräftigem Geschmack nach Waldfrüchten von Caro e Figli.

Typisch für das Salento sind die zahlreichen Einsiedeleien (‚Masserie‘)  Die Gehöfte wurden im Mittelalter von Siedlern errichtet, die das Land bebauten, das ihnen nicht selbst gehörte, sondern Großgrundbesitzern, die ein Anrecht auf einen Teil der Ernte hatten. Was übrig blieb, diente den Siedlern zum Leben und zum Bau von festen Häusern für die Familien. In den vergangenen zehn Jahren wurden viele Gehöfte restauriert. Einige sind zu Wohnhäusern oder zu ländlichen Pensionen und Hotels umgebaut. Dadurch blieb dem Landstrich der Reiz der antiken Strukturen bewahrt, in einem ständig wechselnden, aber immer suggestiven Landschaftsbild.

Tanzen, wie von der Tarantel gestochen

Eine emotionale ansteckende Eigenheit des Salento ist der berühmte Tanz „Tarantella“. Mit dem Begriff ist eine Reihe von traditionellen Tänzen gemeint, deren Musik sich durch einen schnellen Rhythmus im 3/6- oder 6/8-Takt und durch die Begleitung von Tamburins auszeichnet. Der Name „Tarantella“ wurde wahrscheinlich von der Stadt Taranto in Apulien abgeleitet. „Im Volksmund heißt es aber, dass der Name von „ta­ran­ta“ stamme, einem Dialektwort für die „Lycosa Tarentula“, eine in Italien und im Mittelmeerraum anzutreffende giftige Spinne“,  erzählt Salvatore. Demnach bedeutete „Tarantella“ „kleine Tarantel“. Nach dem Aberglauben der alten Apulier konnte ein Biss der „Taranta“ böse Folgen haben, von denen hauptsächlich Frauen betroffen waren. Der Überlieferung nach hatte das Gift dieser Spinne verschiedene Wirkungen, wie übermäßige Erregung, Krämpfe, physischen Schmerz aber auch Schwermut und psychisches Leid, bis hin zu hysterischen Anfällen, die nur durch einen reinigenden Tanz, die „Taranta“, auch „Pizzica Taranta“ genannt, geheilt werden konnten.

Der wilde Tanz galt als Therapie: Während die Musiker im Haus der „Tarantata“ oder auf den Marktplatz spielten, tanzte die Gebissene bis zur völligen Erschöpfung, um das Gift aus dem Körper zu treiben. Dabei wurde die „Tarantata“ von den Anwesenden mit bestimmten Gegenständen konfrontiert wie Schwertern, farbigen Bändern oder Spiegeln, die irgendwie an Eigenschaften der Taran­tel erinnerten. Dieses Tarantismus genannte Phänomen existierte bis in die 1960er Jahre.

Tanz der Tarantella

Die betroffenen Frauen glaubten zweifelsohne daran, dass ihre Symptome durch den Biss der Tarantel ausgelöst wurden. Wissenschaftler vermuten hingegen, dass die Frauen unbewusst ihre unterdrückten Gefühle auslebten. Das ist glaubwürdig, wenn man weiß, dass die Frauen Süditaliens damals kaum das Recht hatten, ihr Haus zu verlassen, und Ehen von den Familien ausgehandelt und nicht selten ohne Liebe geschlossen wurden.

Höhepunkt im Spätsommer: La notte della Taranta

In den 1970er Jahren wurde die Musik und der Tanz der Pizzica wiederentdeckt. Den gesamten Monat August durch werden zahlreiche Notte della Taranta (Nacht der Taranta) in den Orten Carpignano, Zollino, Calimera, Sternatia, Soleto, Castrignano dei Greci, Coriglianno d’Otranto, Cutrofiano, Martano veranstaltet. „Den Höhepunkt bildet die Schlussveranstaltung in meiner Heimatstadt Melpignano am 27. und 28. August“, so Salvatore, der griechische Italiener.

Clubchef Mario, der selber aus der Stadt Otranto an der Adriaküste stammt, hat vermutlich einen der schönsten Arbeitsplätze. Der Robinson Club Apulia liegt nicht nur mitten im Nationalpark Parco Litorale di Ugento sondern auch in einer wunderschönen, von großen Tourismussünden verschonten Landschaft. Als wir nach zwei Stunden und 50 Kilometern erschöpft von den Rädern steigen, grinst er keck: „War doch gut die Tour – oder habe ich zuviel  versprochen?“ Nein, hat er nicht. Aber vor der nächsten Ausfahrt mit Mario werde ich vorsorglich auf dem Spinning-Rad im Club trainieren. Damit ich die Fahrt noch ein wenig mehr genießen kann.

Traumhafte Stimmung am Ionischen Strand, Foto: Heiner Sieger

Traumhafte Stimmung am Ionischen Strand, Foto: Heiner Sieger

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