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Von Märchen und Menschen des Chiemgaus

Lauschige Buchten, verträumte Inseln – und am Horizont erheben sich die herrschaftlichen Gipfel der Alpen, so beginnen oft die Lobpreisungen des Chiemsees. Dann folgt als Empfehlung ein Sprung in einen der saubersten Seen Deutschlands oder ein Ausflug mit einem historischen Raddampfer zur Benediktinerabtei Frauenwörth. Unerwähnt bleiben die Scharen von Besuchern, die alle diesen schönen Ort aufsuchen und zum Beispiel den gepflegten Chiemsee-Radrundweg zu einer Kopie der verstopften Autobahn München – Salzburg machen.  Macht aber nichts, denn der Chiemgau kann mit Alternativen aufwarten.

Ein Kunstwerk, das sich nahtlos in die Landschaft des Chiemsees bei Prien einfügt.

Ein Kunstwerk, das sich nahtlos in die Landschaft des Chiemsees bei Prien einfügt.

Buchten, eine Insel, den Blick auf die Alpen und gefühlt viel weniger Touris finden sich, besucht man ein kleineres Gewässer im Norden des bayerischen Meeres: Den Klostersee, der ebenso sauber ist wie sein großes Pendant und doch groß genug für den geübten Schwimmer. Hier macht das Bad am Morgen fit für die kommenden Stunden und im Mondenschein passieren noch einmal alle Eindrücke des Tages Revue, etwa die Spuren von Papst Benedikt, Otfried Preußler oder Thomas Bernhard.

Kloster Seeon

Seeon, die Insel mit Kirche und Kloster, braucht keinen Vergleich mit anderen Orten zu fürchten. Vor allem nicht seit der Bezirk Oberbayern das Anwesen erworben und prächtig renoviert hat. Im Kloster können nun auch Nicht-Christen angenehm übernachten und tagen oder im Garten die Kunstwerke betrachten. Hier entsteigt imponierend Herakles mit Löwenfell dem See, so als wolle er dieses Kleinod beschützen.

Die japanische Kaiserin (links auf dem Bild an der Wand) spricht mit dem Kinderbuchautor Otfried Preußler (1923-2013), dem eine Ausstellung im Kloster Seeon gewidmet ist und in der Figuren und Orte aus Preußlers populären Büchern nachgestellt sind. Rechts das Haus von Kasperls Großmutter aus dem „Räuber Hotzenplotz“.

Die japanische Kaiserin (links auf dem Bild an der Wand) spricht mit dem Kinderbuchautor Otfried Preußler (1923-2013), dem eine Ausstellung im Kloster Seeon gewidmet ist und in der Figuren und Orte aus Preußlers populären Büchern nachgestellt sind. Rechts das Haus von Kasperls Großmutter aus dem „Räuber Hotzenplotz“.

Außer dem antiken Helden bahnt sich noch jemand seinen Weg durch das Schilf ans Ufer, wo er „zum ersten Mal eine Wiese, zum ersten Mal Blumen und zum ersten Mal einen Baum“ sieht: „Der kleine Wassermann“. Neben ihm bevölkern noch weitere Figuren, etwa der Räuber Hotzenplotz, das kleine Gespenst mit der Eule Schuhu und die Hexe mit ihrem sprechenden Raben Abraxas, das Kloster.

Eine der vielen Original-Zeichnungen zu Otfried Preußlers Kinderbüchern, die in der Ausstellung zusehen sind.

Eine der vielen Original-Zeichnungen zu Otfried Preußlers Kinderbüchern, die in der Ausstellung zusehen sind.

Sie alle illustrieren in einer sehenswerten Ausstellung die Schaffenskraft und Phantasie des Schriftstellers Otfried Preußler, der im nahen Stephanskirchen gelebt und sicher einige Figuren seiner zweiten Heimat Oberbayern entnommen hat. Der kleine Wassermann kann eigentlich nur den Seen des Chiemgaus entsprungen sein. Nach so viel Interessantem ist eine Erfrischung im Biergarten unumgänglich.

Bier aus Truchtlaching

Drei von sehr vielen verschiedenen Biersorten von Camba Bavaria mit jeweils einem anderen Stück Lindt-Schokolade, das den Geschmack des Bieres verfeinert.

Drei von sehr vielen verschiedenen Biersorten von Camba Bavaria mit jeweils einem anderen Stück Lindt-Schokolade, das den Geschmack des Bieres verfeinert.

Kloster und Bier wie bei Andechs oder Rietberg denken vornehmlich Männer zusammen. Aber Seeon besitzt keine Brauerei, dafür das nahe gelegene Truchtlaching. Dort werden von Camba Bavaria, hoch gelobt und vielfach ausgezeichnet, über zweihundert Biere gebraut und alle lassen sich in der Brauereigaststätte probieren. Etwa das Imperial Stout-Cognac oder das Milk Stout-Bourbon; sie schmecken schön cremigweich und munden mit Lindt Schokolade noch markanter. Bei einem Alkoholgehalt von rund zehn Prozent wird viel zu schnell der Grad von Fahruntüchtigkeit erreicht, so dass selbst das Rad stehen bleiben muss. Alternativ lässt sich eine Radtour von Seeon an den Chiemsee oder Traunstein immer über Truchtlaching führen, um dort zu rasten, Brotzeit zu machen und erneut eines der vielen Biere zu genießen – dasselbe natürlich für die Rückfahrt. Auch sonst sind die Biere von Camba Bavaria einen Umweg wert.

Der Papst und Thomas Bernhard

Mitten in der Altstadt Traunsteins ein leer stehendes, heruntergekommenes Haus, in dem der Schriftsteller Thomas Bernhard seine Kindheit verlebt hat.

Mitten in der Altstadt Traunsteins ein leer stehendes, heruntergekommenes Haus, in dem der Schriftsteller Thomas Bernhard seine Kindheit verlebt hat.

Der gut ausgebaute und beschilderte Benediktweg von Seeon nach Traunstein erfordert gleich mehrere Pausen, auch um sich auf die zwei bekanntesten Bewohner einzustimmen und über die Absonderlichkeit des Lebens zu grübeln. Der eine, Thomas Bernhard (1931-1989), der als Kind davon träumte den Eisenbahnviadukt in die Luft zu jagen und später Weltliteratur schrieb, und der andere, Joseph Ratzinger (*1927), der Papst Benedikt XVI. wurde, lebten zeitweise nur 150 Meter auseinander. Was wäre wohl geschehen, wenn sich die beiden so unterschiedlichen Buben getroffen hätten?

Ob außen oder innen im Kloster Seeon, überall begleiten den Besucher die Figuren aus Preußlers Kinderbüchern. Hier beobachtet der kleine Wassermann, wer aus der Toilette kommt.

Ob außen oder innen im Kloster Seeon, überall begleiten den Besucher die Figuren aus Preußlers Kinderbüchern. Hier beobachtet der kleine Wassermann, wer aus der Toilette kommt.

In Traunstein fuhren wir, wie es Thomas Bernhard in seinem Buch „Ein Kind“ lebendig beschreibt, unter seiner „Wohnung (…) in der Menschenleere eines selbstbewußten Provinzmittags (…) aus dem Taubenmarkt hinaus durch die Schaumburgerstraße auf den Stadtplatz“, umrunden die Pfarrkirche und endeten wieder vor Bernhards ehemaligen, nun herunter gekommenen Wohnhaus, das wie die Schule für ihn die „Hölle“ war. Seine Mutter schlug ihn mit dem Ochsenziemer und schrie ihn an: „Du bist so ein Nichtsnutz (…)! Du Unruhestifter!“ Sie hängte sein vom Bettnässen feuchtes Leinentuch abwechselnd in der Schaumburgerstraße und auf dem Taubenmarkt aus dem Fenster, „zur Abschreckung, damit alle sehen, was du bist!“

Erinnerung an den österreichischen Autor.

Erinnerung an den österreichischen Autor.

Ganz im Gegensatz zu Bernhards Erinnerungen stehen die von Joseph Ratzinger, an dem im „Herz des Chiemgaus“ herzlich gedacht wird. Er denke „gern an seine Jahre im Traunsteiner Gymnasium“, verdanke dem Studienseminar St. Michael die Führung zu Gott und wohl deshalb feierte er in der Pfarrkirche St. Oswald sein silbernes und goldenes Priesterjubiläum.

Mit dem Löwenfell um die Schultern entsteigt Herakles dem Klostersee, weil er sich zwischen Tugend und Verweichlichung, die in der Sage durch zwei Frauengestalten verkörpert werden, entscheiden muss. Am Ufer wählt er bedenkenlos die Tugend, was natürlich das Kloster aufwertet und glorifiziert.

Mit dem Löwenfell um die Schultern entsteigt Herakles dem Klostersee, weil er sich zwischen Tugend und Verweichlichung, die in der Sage durch zwei Frauengestalten verkörpert werden, entscheiden muss. Am Ufer wählt er bedenkenlos die Tugend, was natürlich das Kloster aufwertet und glorifiziert.

Folgt man den Spuren von Papst em. Benedikt XVI. auf dem 248 Kilometer langen Benediktweg, findet man weitere Stationen von ihm – von seinem Geburtshaus Marktl am Inn bis zu seinen Wohnorten Tittmoning, Aschau am Inn und Traunstein.

Gestärkt zurück nach Seeon

Die Gegensätze zwischen Bernhard und Ratzinger belasten Hirn und Magen, der folglich nach einem Ausgleich ruft. Gut, dass am Taubenmarkt gleich mehrere Gaststätten um die Gunst des Hungrigen buhlen. Doch keine ist so originell und ausgefallen wie Pasta Arte. In einem unverputzten, schmalen Gewölbekeller werden aufmerksam und liebenswürdig italienische Gerichte serviert, die mit einem oder mehreren Gläsern Wein vorzüglich schmecken. Die wahre Stärkung vor der Rückkehr nach Seeon mit dem Horizont der herrschaftlichen Alpengipfel.

Raushier-Reisemagazin

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