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Warschau: Reise durch 1000 Jahre polnisch-jüdische Geschichte

Museen können lügen, sie können langweilen, sie können aber auch unterhalten, bilden. Gute Museen konnten immer bewahren, sie waren museal und ihre Exponate gesammelte Relikte. Besonders gute waren sogar wissenschaftliche Institute. Moderne Museen können viel mehr. Sie können den Besucher an die Hand nehmen, ihn mitführen in ihre Welt. Interaktiv nennt man so etwas, aber bei dieser Beschreibung werden die Emotionen nicht genügend gewürdigt, die ausgelöst werden sollen. Moderne Museen erreichen Herz und Verstand, wie das. Vor wenigen Tagen wurde ein solches modernes Museum eröffnet, in Warschau, es wird die Seele des Museums der Geschichte der polnischen Juden sein.

Das einzigartige Gebäude steht an einem symbolischen Ort, dem Ghetto, wo einst das Herz des jüdischen Warschaus pulsierte. - Foto: Museum der Geschichte der Polnischen Juden

Das einzigartige Gebäude steht an einem symbolischen Ort, dem Ghetto, wo einst das Herz des jüdischen Warschaus pulsierte. – Foto: Museum der Geschichte der Polnischen Juden

Das Museum in der an Museen überreichen Stadt gibt es schon seit 2013, aber jetzt wurde die Hauptausstellung eröffnet. Die ersten Besucher waren natürlich neugierig und von einer seltsamen Beklommenheit betroffen. Denn dieses Thema ließ – jedenfalls die deutschen Gäste – nicht unberührt. Doch der Besuch war weniger beklemmend als befürchtet, es war kein Herabstieg in ein Vernichtungslager, es war eine fast heitere Zeitreise.

Die Museumsbesucher werden eingeladen, an einer Reise durch 1000 Jahre polnisch-jüdische Geschichte teilzunehmen. Acht Galerien auf mehr als 4000 Quadratmeter Fläche stellen das jüdische Lebens in Polen vor. Die Ausstellung wird die Welt der polnischen Juden, einst weltweit die größte jüdische Gemeinde und ein Zentrum der jüdischen Welt, lebendig machen.

Das war kein leichtes Unterfangen, denn nicht immer wohnten Polen und Juden wie Freunde im gleichen Haus. Und ein Museum, das nicht lügt, darf auch das nicht verschweigen. Das Museum der Geschichte der polnischen Juden, das am 19. April 2013, zu Ehren der Gedenkfeier am 70. Jahrestag des Ausbruchs des Aufstands im Warschauer Ghetto, seine Tore für Besucher öffnete, hat seitdem viele Gäste und auch gute Kritiken gesehen. Unzufriedene gibt es immer. Aber die Reaktionen der mehr als 200 000 Geschichtsinteressierten waren durchweg positiv. Die Reaktionen auf die Hauptausstellung werden dies noch übertreffen. Denn das Museum der Geschichte der polnischen Juden ist kein Mausoleum eines Volkes, jedenfalls nicht nur und nicht einmal in erster Linie. Es ist ein Museum des Lebens, das über die reiche Kultur und Geschichte der polnischen Juden erzählt.

Der architektonische Entwurf für das Gebäude wurde im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs gewählt. - Foto: Museum der Geschichte der Polnischen Juden

Der architektonische Entwurf für das Gebäude wurde im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs gewählt. – Foto: Museum der Geschichte der Polnischen Juden

Das Museum, zugleich ein Kultur- und Bildungszentrum, bietet einen breiten Fächer an öffentlichen Veranstaltungen: Dazu gehören Zeitausstellungen, Konzerte, Theater, Filme, Workshops, Vorträge, Podiumsdiskussionen, Führungen; sogar Ausflüge mit dem Fahrrad gehören dazu. Das Museum öffnet sich für Besucher aller Altersstufen, aller sozialen Schichten, aus allen Ländern der Welt; denjenigen, die an jüdischer Kultur und Geschichte interessiert sind, aber auch den Experten auf diesem Gebiet. Denn es ist zugleich auch eine wissenschaftliche Einrichtung, in dem über die verschiedensten Facetten der jüdischen Kultur, der Historie und das Alltagsleben geforscht wird.

An einem symbolischen Ort

Das einzigartige Gebäude des Museums, von Rainer Mahlamäki entworfen, steht an einem symbolischen Ort, dem Ghetto, wo einst das Herz des jüdischen Warschaus pulsierte. Man hätte erwartet können, gebaute Anklage vorzufinden, aber nein; stattdessen trifft man auf Schlichtheit und Kühle. Natürlich, das in Kupfer und Glas gekleidete Äußere des Gebäudes ist von einem Riss geteilt, der den traumatischen Bruch in der tausendjährigen Geschichte der polnischen Juden, den Holocaust, symbolisiert. Es ist ein Bruch, aber kein Ende. In der Eingangshalle beginnt und beendet der Besucher seine Reise. Eine Brücke verbindet die beiden Teile des Baus, als würde sie die Vergangenheit mit der Zukunft verbinden, diesen Riss überwinden. Genau an dieser Stelle im Warschauer Stadtteil Muranów war der Sitz des „Judenrats“, der von den deutschen Besatzungsbehörden für das Ghetto ernannte Zwangskörperschaft. Nach der Niederschlagung des Aufstands im Ghetto errichteten die Nazis hier das Konzentrationslager „Gęsiówka”. Im Jahr 1970 machte Willy Brandt, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, vor dem direkt gegenüber liegenden Ehrenmal den historischen Kniefall von Warschau.

Auch eine rekonstruierte Holzsynagoge gibt es zu sehen. - Foto: Museum der Geschichte der Polnischen Juden

Auch eine rekonstruierte Holzsynagoge gibt es zu sehen. – Foto: Museum der Geschichte der Polnischen Juden

Der architektonische Entwurf für das Gebäude wurde im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs gewählt. Der Sieger war ein finnisches Architektenteam mit einem Gebäudeprojekt, das viele symbolische Inhalte in sich birgt. Die einheitliche Fassade wird durch den Riss unterbrochen, der einerseits den Holocaust symbolisieren, andererseits den biblischen Weg der Juden durch das Rote Meer verbildlichen soll. Hebräische und lateinische Buchstaben auf den Glasscheiben an der Fassade bilden das Wort „Polin”. Auf Hebräisch bedeutet dieses Wort Polen, es kann aber auch als „hier ruhst du” verstanden werden. Viele Historiker glauben, dass dies von den im von religiösen Konflikten gebeutelten mittelalterlichen Europa umher irrenden Juden als ein gutes Omen betrachtet wurde und sie deswegen begannen, sich auf polnischem Boden niederzulassen.

Öffnungszeiten: Montag-Sonntag, außer Dienstag, von 10-18 Uhr; Reservierungen: rezerwacje@jewishmuseum.org.pl, Tel.: +48 22 471 03 01.

Information: Museum der Geschichte der Polnischen Juden, Anielewicz-Str. 6, Warschau; www.jewishmuseum.org.pl.

 

Raushier-Reisemagazin

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