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Notizen aus Bangladesch – Teil 8

Es gibt noch mehr über die Menschen in Bangladesch zu erzählen: Zuerst möchte ich über eine sehr außergewöhnliche Gruppe von Menschen sprechen – die Hijras. Diese bilden eine Parallelgesellschaft, die abseits von der Mehrheit der Bevölkerung lebt. Hijras gibt es auch in Indien und anderen Teilen Südasiens. Sie sind „das dritte Geschlecht“ und sehen sich weder als Mann noch als Frau.

Feier zum 20. Hochzeitstag in Bangladesch - pompös.

Feier zum 20. Hochzeitstag in Bangladesch – pompös.

Hijras sind genetisch meistens männlich, manchmal auch intersexuell, kleiden sich aber wie Frauen. Da sie aufgrund von Diskriminierung nur sehr geringe Chancen auf einen regulären Arbeitsplatz haben, verdienen sie sich ihren Lebensunterhalt durch Tanzen und Segnungen auf Hochzeiten, bei Hauseinweihungen und nach Kindsgeburten. Sie tauchen auf solchen Feiern einfach überraschend auf und hoffen dann auf Spenden. Dabei hilft der verbreitete Aberglaube, dass man Pech über die Ehe, das Haus oder das Kind bringt, wenn man ihnen kein Geld gibt. Zahlt man hingegen, bringt das Glück. Viele Hijras arbeiten auch als Prostituierte.

Hochzeiten sind das Thema

Hochzeiten sind in Bangladesch ein Riesenthema, wenn nicht „das Thema“. Sie werden äußerst kostspielig und pompös aufgezogen. Mehr geht fast nicht. Sogar ein 20. Hochzeitstag wird sehr aufwändig gefeiert, wie auf dem Foto zu sehen ist.

Islam in Bangladesch

Gläubiger Moslem.

Gläubiger Moslem.

Nun zur Religion. Die meisten Bangladescherinnen und Bangladescher sind Muslime und als solche, entgegen so manchem in Deutschland weit verbreiteten Vorurteil, sehr angenehm und tolerant. Besonders fromme muslimische Männer färben ihren Bart oft mit Henna. Sie eifern damit dem Propheten Mohammed nach, von dem berichtet wird, dass auch er seinen Bart mit Henna gefärbt hat. Mohammed ist der Religionsstifter des Islam und hat um das Jahr 600 nach Christus auf der Arabischen Halbinsel gelebt.

Solze Töchter beim Fest.

Solze Töchter beim Fest.

Es gibt einige Hinweise darauf, dass der Islam schon im 7. Jahrhundert im heutigen Staatsgebiet von Bangladesch angekommen ist, eine treibende Kraft wurde er aber wahrscheinlich erst um das Jahr 1200. Inzwischen hat sich der ursprüngliche, arabisch geprägte Islam mit der bengalischen Kultur vermischt und es ist ein sehr lokal geprägter Islam entstanden, den man so nirgendwo anders findet. Besonders fromme Muslime erkennt man auch an einem braunen Hornhautfleck an der Stirn! Auf Nachfrage wurde mir erklärt, dass der Fleck eine Folge von vielem Beten ist. Beim Beten knien Muslime auf dem Gebetsteppich und berühren ihn dabei immer wieder mit der Stirn. Je mehr und je intensiver man also betet, umso ausgeprägter ist der Hornhautfleck. Auf einem Foto ist ein sehr frommer muslimischer Mann zu sehen.

Vor der Moschee.

Vor der Moschee.

Frauen sieht man in Bangladesch übrigens nur selten beten, da sie im Gegensatz zu Männern hauptsächlich zu Hause und nicht in der Moschee oder anderswo in der Öffentlichkeit beten.

Sehr gewöhnungsbedürftig war für mich der Adhān, der islamische Gebetsruf. Dieser schallt fünfmal am Tag über die ganze Stadt. Das erste Mal morgens zwischen 3.45 Uhr und 5.24 Uhr, je nach Jahreszeit. In jedem Kaufhaus … überall … nirgends kann man ihm entgehen. Immer derselbe Wortlaut. Außer morgens, da kommt der Zusatz, „Beten ist besser als schlafen“. Und das alles in so einer Lautstärke, dass ich jeden Morgen mit dem ersten Gebetsruf hellwach war. Die fünf Hauptpflichten des Islam, bekannt als die fünf Säulen des Islam, sind: 1. Das Glaubensbekenntnis (welches im Gegensatz zu dem der Katholiken sehr kurz ist); 2. Das Gebet, das fünfmal am Tag verrichtet werden soll; 3. Der Haddsch, die Pilgerfahrt nach Mekka; 4. Die Almosenabgabe (es soll jedes Jahr ein bestimmter Anteil des eigenen Besitzes an Hilfsbedürftige abgegeben werden); 5. Das Fasten im Monat Ramadan.

Stolzer Großvater.

Stolzer Großvater.

Töchter sind in Bangladesch im Allgemeinen unerwünscht, da sie nur wenig zur Alterssicherung der Eltern beitragen können. Frauen müssen „an den Mann“ gebracht werden und gehen nach der Heirat in der Regel keiner bezahlten Arbeit nach. In der bangladeschischen Gesellschaft werden Ehefrauen primär als Teil der Familie ihres Mannes angesehen und es wird deshalb von ihnen erwartet, dass sie sich um dessen Eltern kümmern und nicht um die eigenen. Übrigens haben bangladeschische Familien im Durchschnitt nur noch ein oder zwei Kinder. Familienplanung scheint also gut zu funktionieren. Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht den Anschein hat, entwickelt sich das Land in einer beeindruckenden Geschwindigkeit. In Bezug auf viele Entwicklungsindikatoren ist Bangladesch sogar Indien weit voraus.

Demokratie und Korruption

Söhne erwünscht.

Söhne erwünscht.

Nun zu traurigeren Themen. Bangladesch ist eines der wenigen Länder mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung, die eine ausgeprägte und lebendige Demokratie haben. Ein großes Problem ist leider die Korruption, welche viele positive Projekte im Ansatz erstickt. Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Bangladesch belegt seit Jahren einen Spitzenplatz auf der weltweiten Korruptionsrangliste.

Egal welche der beiden großen Parteien gerade regiert, Andersdenkende werden immer wieder willkürlich inhaftiert, vor allem Oppositionspolitiker. Es kommt zu Folterungen und es gibt noch immer die Todesstrafe (die es allerdings auch noch in angeblich entwickelten Ländern wie den Vereinigten Staaten gibt). Frauen, besonders die, die als Haushaltshilfen arbeiten, sind häufig häuslicher Gewalt ausgeliefert. Die Täter bleiben oft unbestraft. Von Polizei und Justiz wird man oft nur dann fair behandelt, wenn man genug Geld hat.

Man kann jedoch jeden verstehen, der nebenbei etwas extra „verdienen“ will, weil viele Menschen von ihren Gehältern nicht leben können, egal ob Polizisten oder Lehrer. Schulen in Bangladesch sind übrigens im Allgemeinen sehr gut! Die Lehrer sind aus der Not heraus oft auch korrupt. Sie vermitteln z.B. einen Teil des Schulstoffs nur per Nachhilfeunterricht, welchen sie sich gut bezahlen lassen.

Schicksalsergeben

Es braut sich was zusammen - Unruhen können in Bangladesch von jetzt auf gleich losbrechen.

Es braut sich was zusammen – Unruhen können in Bangladesch von jetzt auf gleich losbrechen.

Seltsamerweise begegnen die Menschen in Bangladesch Problemen wie Korruption und Desinteresse der Regierung meist mit Gelassenheit. Sie erkennen die Grenzen an, wie sie sind. Auch wenn jemand stirbt, wird das als natürliches Ereignis wahrgenommen, als Teil des Lebens. Wir in Europa könnten von dieser Akzeptanz des Schicksals und der Dankbarkeit, die man in Bangladesch immer wieder spürt, ein Stück abschneiden.

Wir haben während unseres Aufenthalts in Bangladesch auch Unruhen und Demonstrationen erlebt. Wenn man das hautnah miterlebt, ist das schon etwas anderes als im Fernsehen. Da wird einem etwas mulmig. Es haben in diesen Tagen viele Busse und Autos gebrannt und es sind auch mehrere Menschen ums Leben gekommen. Die Polizei war an jeder Ecke präsent. Deshalb konnten wir uns zeitweise nicht allzuweit fort wagen und mussten auch eine zweitägige Schifffahrt absagen, obwohl alles schon bezahlt war.

Unruhen und Politik

Ruhe vor dem Sturm.

Ruhe vor dem Sturm.

Grund der Unruhen war der erste Jahrestag der Parlamentswahl, die am 5. Januar 2014 stattfand. Bei früheren Parlamentswahlen wurde immer eine unabhängige Übergangsregierung eingesetzt, um Fairness zu garantieren. Diese Regel hatte Premierministerin Sheikh Hasina aber vor der Wahl einfach abgeschafft, woraufhin die größte Oppositionspartei die Wahl boykottiert hat. Anstatt zu verhandeln, zog Sheikh Hasina die Wahl stur durch. In den meisten Wahlkreisen hatten die Kandidatinnen und Kandidaten der Regierungspartei keine Gegenkandidaten und Sheikh Hasina wurde bei sehr geringer Wahlbeteiligung und inmitten massiver Ausschreitungen wieder Premierministerin. Auf diese Art kann man auch gewinnen.

Die Opposition ruft seit der Wahl im Jahr 2014 immer wieder zu Generalstreiks auf, sogenannten Hartals. Der Verkehr auf Straße, Schiene und Wasser kommt praktisch zum Stillstand, Lebensmittel verrotten im Hafen und Streikbrecher werden mit Knüppeln, Steinen und manchmal sogar mit Brandbomben zur Räson gebracht. Ähnlich hart reagiert dann die Regierung. Einzelne Demonstranten können sich innerhalb weniger Sekunden zu einer wütenden Menge formieren. Wir haben das selbst erlebt. Wir waren gerade auf einem Art Marktplatz mit vielen Läden. Plötzlich ging es los. Da kam eine Lawine von ziemlich zornigen Menschen angerollt und es wimmelte von einem Augenblick auf den nächsten nur so von Polizisten. Da haben wir uns dann ziemlich flott vom Platz des Geschehens entfernt, während andere Unbeteiligte in einigem Abstand stehen geblieben sind, um sich das Spektakel anzusehen.

Fotos: Margit Ebert

Hier geht’s zu Folge 7

Weiter geht’s mit Folge 9

Raushier-Reisemagazin

Ein Gedanke zu „Notizen aus Bangladesch – Teil 8

  1. danke für Deinen wieder interessanten Bericht.
    Mir wird wieder einmal klar wie wenig ich über anderer
    Länder Sitten weiss.

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