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Oberammergau: Hinter den Kulissen der Passionsspiele 2020

Es sind zwar noch eineinhalb Jahre hin, ehe sich der erste Vorhang hebt, doch die Nervosität steigt, und überall ist – obwohl unhörbar – ein leichtes Knistern zu spüren. Seit Mitte Oktober wissen in der Gemeinde alle, wer welche Rolle einnimmt beim erfolgreichsten Laienspiel der Welt, und das hat natürlich zur Folge, dass wieder einmal Aufbruchstimmung herrscht – wie all die Jahrzehnte und Jahrhunderte davor, als die Passion Christi zum ersten Mal in Oberammergau Einzug hielt.

Im Jahr 1980 wurden die Hauptrollen erstmals mit zwei gleichberechtigten Darstellern besetzt. Frederik Mayet (links) spielte 2010 den Jesus schon einmal, und gibt ihn im Jahr 2020 erneut, während Rochus Rückel zum ersten Mal als Jesus auf der Bühne steht. – Foto: Gabriela Neeb

Im Jahr 1980 wurden die Hauptrollen erstmals mit zwei gleichberechtigten Darstellern besetzt. Frederik Mayet (links) spielte 2010 den Jesus schon einmal, und gibt ihn im Jahr 2020 erneut, während Rochus Rückel zum ersten Mal als Jesus auf der Bühne steht. – Foto: Gabriela Neeb

Für die 42. Passionsspiele vom 16. Mai bis 4. Oktober 2020 haben sich 1830 erwachsene Einheimische – mitwirken darf nur, wer in Oberammergau geboren und aufgewachsen ist, oder seit mindestens 20 Jahren im Dorf wohnt – und über 500 Buben und Mädchen (für sie gilt ein gesondertes Spielrecht) gemeldet, vom Kleinkind bis zu einer Darstellerin, die mit 96 Jahren die älteste Spielerin auf der Bühne sein wird.

In diesen Gemäuern finden die Oberammergauer Passionsspiele statt, im Jahr 2020 zum 42. Mal. Die Premiere ist am 16. Mai; es folgen bis zum 4. Oktober 103 Aufführungen. – Foto: Dieter Warnick

In diesen Gemäuern finden die Oberammergauer Passionsspiele statt, im Jahr 2020 zum 42. Mal. Die Premiere ist am 16. Mai; es folgen bis zum 4. Oktober 103 Aufführungen. – Foto: Dieter Warnick

Wer das Büro von Carsten Lück, dem Technischen Leiter der Passionsspiele, betritt, bekommt sofort einen Eindruck, dass die Vorbereitungen angelaufen sind. Komfort sieht allerdings anders aus. Das Zimmer könnte auch leicht als Werkstattraum dienen. „Das bleibt nicht so,“ sagt Lück, den das Provisorium nicht weiter zu stören scheint, „das sieht jetzt nur so ungemütlich aus“. Lück spielt heuer neben Anton Preisinger den Pilatus. Dazu sollte man wissen, dass erst seit 1980 die Hauptrollen von zwei gleichberechtigen Darstellern besetzt sind.

Der 49-Jährige ist dafür verantwortlich, „das Haus spielfähig zu machen“, wie er es ausdrückt, „von der Beleuchtung bis hin zu den Sanitäranlagen“. Auf den neuesten Stand gebracht werden sollen die Licht- und Tontechnik. Die Investitionen am und im Theater reißen nie ab.

Dornenkrönung: Darin heißt es: „Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. Und die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und legten ihm ein Purpurgewand an und traten zu ihm und sprachen: Sei gegrüßt, König der Juden, und schlugen ihm ins Gesicht. – Foto: Passionsspiele Oberammergau 2020

Dornenkrönung: Darin heißt es: „Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. Und die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und legten ihm ein Purpurgewand an und traten zu ihm und sprachen: Sei gegrüßt, König der Juden, und schlugen ihm ins Gesicht. – Foto: Passionsspiele Oberammergau 2020

Wichtigste Aufgabe für Lück wird sein, das Bühnenbild von Stefan Hageneier in die Realität umzusetzen. „Wir bekommen Bühnenbildmodelle, insgesamt sind das 25 verschiedene, und die müssen wir mit Leben füllen“. Dabei wird unterschieden zwischen ‚Spielszenen‘ (z.B. Einzug nach Jerusalem, Abendmahl, Kreuzigung), die auf der Freiluftbühne spielen, und ‚lebenden Bildern‘ (Volk, Chor), die im Bühnenhaus, der Mittelbühne, Aufstellung nehmen.

Dieser Brunnen vor dem Passionsspielhaus zeigt Christus beim Einzug in Jerusalem. – Foto: Dieter Warnick

Dieser Brunnen vor dem Passionsspielhaus zeigt Christus beim Einzug in Jerusalem. – Foto: Dieter Warnick

An jedem Tag, der gespielt wird (montags und mittwochs ist  vorstellungsfrei), herrscht für alle Beteiligten höchste Konzentration. Natürlich auch für die zirka 40 Bühnenmitarbeiter, die die Abläufe so verinnerlicht haben müssen, dass jede Kulisse, jeder Gegenstand, genau dort hinzukommen hat, wo er hinkommen muss. Nicht zu vergessen die Aufgaben der Beleuchter und der Toningenieure, der Garderobenfrauen und all derjenigen, die Tätigkeiten übernehmen, von denen der Zuschauer nicht die leiseste Ahnung haben kann. Jedes Rädchen muss in das andere greifen.

Blick von der Bühne in den leeren Zuschauerraum. – Foto: Dieter Warnick

Blick von der Bühne in den leeren Zuschauerraum. – Foto: Dieter Warnick

Zwischen zwei Passionsspielen liegen zehn Jahre, eine lange Zeit. Da ist im Vorfeld einer neuen Passion so gut wie alles wieder auf Null gestellt. Nicht nur die technischen Abläufe müssen neu erfasst und  aufgenommen werden, auch auf die zirka 20 Schneiderinnen kommt jede Menge Arbeit zu, schließlich muss ein Großteil der etwa 2000 Kostüme nach den vorgegebenen Entwürfen neu angefertigt werden.

Im Jahr 1900 wurde die Zuschauerhalle mit 4200 Sitzplätzen gebaut, eine Eisengerüstkonstruktion mit sechs hohen Bögen, die nach vorne zur Freilichtbühne geöffnet ist. Ähnlichkeiten mit dem Eiffelturm in Paris sind nicht von der Hand zu weisen. – Foto: Dieter Warnick

Im Jahr 1900 wurde die Zuschauerhalle mit 4200 Sitzplätzen gebaut, eine Eisengerüstkonstruktion mit sechs hohen Bögen, die nach vorne zur Freilichtbühne geöffnet ist. Ähnlichkeiten mit dem Eiffelturm in Paris sind nicht von der Hand zu weisen. – Foto: Dieter Warnick

Die Zeit, in der es bei den 42 Hauptdarstellern (Jesus, Petrus, Johannes, Judas, Maria, Magdalena, Kaiphas, Annas, Josef von Arimathäa, Nikodemus, Simon von Bethanien, Pilatus, Hauptmann, Herodes, Nathanael, Archelaus, Gamaliel, Ezechiel, Josaphat, Veronika, Engel) richtig zu kribbeln beginnt, ist Aschermittwoch, der 6. März des kommenden Jahres. Von da an lassen sich alle Mitwirkenden, einer alten Tradition folgend, die Haare, die Männer auch die Bärte wachsen. Aber richtig ernst für die Schauspieler wird es dann erst Ende November 2019. Dann beginnen die Proben für das 42. Passionsspiel – ein hartes Stück Arbeit liegt vor allen Beteiligten. Zuvor reist das Ensemble (die 42 Hauptdarsteller), die Spielleitung und die örtliche Geistlichkeit am 1. September nach Israel, um sich im Heiligen Land auf 2020 einzustimmen. Jeder darf zu Wort kommen, der von allen Seiten gewünschte Gedankenaustausch untereinander soll ausschließlich zum Wohl und Wehe der Passionsspiele dienen.

In den Werkstätten lagern zahlreiche Bühnenbilder, Kulissen und Gegenstände vergangener Passionsspiele. – Foto: Dieter Warnick

In den Werkstätten lagern zahlreiche Bühnenbilder, Kulissen und Gegenstände vergangener Passionsspiele. – Foto: Dieter Warnick

Bis dahin hat dann auch Christian Stückl mit seinem Team ganze Arbeit geleistet. Denn der 57-Jährige hat sich, seit er im Jahr 1990 zum ersten Mal in Oberammergau die Spielleitung übernahm, zum Ziel gesetzt, das Passionsspiel peu à peu  zu reformieren. Will heißen: das Manuskript von Pfarrer Joseph Alois Daisenberger (1799-1883) aus dem Jahr 1860 alle zehn Jahre zu überarbeiten und damit moderner zu interpretieren. Neue theologische und historische Erkenntnisse in die Bearbeitung des Textes einfließen zu lassen, die Darstellung des Stückes dem veränderten Zeitgeist anzupassen. Carsten Lück: „Wir haben hier in Oberammergau den Anspruch, mit der Zeit zu gehen. Das ist ein immer fortwährender Prozess“.

Für die 2500 Mitwirkenden, vom Kleinkind bis zum Greis, müssen die passenden Kostüme bereit stehen. Viele werden neu geschneidert, ältere Gewänder „entstaubt und gereinigt“ und wieder hergenommen. – Foto: Dieter Warnick

Für die 2500 Mitwirkenden, vom Kleinkind bis zum Greis, müssen die passenden Kostüme bereit stehen. Viele werden neu geschneidert, ältere Gewänder „entstaubt und gereinigt“ und wieder hergenommen. – Foto: Dieter Warnick

Rückblick: 1990 wird mit dem damals erst 27-jährigen Stückl am Regiepult ein Generationswechsel eingeleitet. Im Jahr 2000 kommt es zur bislang größten Textreform; weitere zehn Jahre später erfolgt eine noch grundlegendere Reform.

Hinter den Kulissen wird schon jetzt, fast eineinhalb Jahre vor der Premiere, fleißig gewerkelt. – Foto: Dieter Warnick

Hinter den Kulissen wird schon jetzt, fast eineinhalb Jahre vor der Premiere, fleißig gewerkelt. – Foto: Dieter Warnick

Auch das Bühnenbild, für das Stefan Hageneier (wie auch für die Kostüme) verantwortlich zeichnet, erhält eine klarere Bildsprache. Die Musik wird vom musikalischen Leiter Markus Zwink, der auch als Dirigent fungiert, erweitert, und nimmt im Gegensatz zu früheren Aufführungen eine größere Rolle ein. Die Besucher der Passion 2020 dürfen also gespannt sein, was sich Stückl, der 2. Spielleiter Abdullah Kenan Karaca und all die anderen Verantwortlichen dieses Mal an Neuerungen haben einfallen lassen. Die meisten der Schauspieler sind schon jetzt in froher Erwartung, wie stark Regisseur Stückl vom Wortlaut der vergangenen beiden Passionsspiele abweicht.

Gebet am Ölbaum: Jesus verließ die Stadt und ging, wie er es gewohnt war, zum Ölberg; seine Jünger folgten ihm. Als er dort war, sagte er zu ihnen: "Betet darum, dass ihr nicht in Versuchung geratet". – Foto: Passionsspiele Oberammergau 2020

Gebet am Ölbaum: Jesus verließ die Stadt und ging, wie er es gewohnt war, zum Ölberg; seine Jünger folgten ihm. Als er dort war, sagte er zu ihnen: „Betet darum, dass ihr nicht in Versuchung geratet“. – Foto: Passionsspiele Oberammergau 2020

Eine Rolle, die sehr textlastig ist, ist ohne Frage die des Jesus. Einer der beiden Darsteller ist Frederik Mayet. Der 38-Jährige durfte schon vor zehn Jahren den Titelpart übernehmen, und ist stolz, dass ihn Christian Stückl wieder dazu auserkoren hat. „Das schönste an der Jesus-Rolle ist die Tatsache, dass man sich sehr viel mit dem Glauben auseinanderzusetzen hat,“ sagt Mayet. Dieses Verständnis hilft ihm auch, den nicht unbeträchtlichen Text besser zu verstehen und dadurch leichter zu lernen. „Auch die körperliche Anstrengung ist enorm. Das Kreuz, das ich hinter mir herschleppen muss, wiegt schließlich 90 Kilogramm“. Und die 25 Minuten am Kreuz sind auch kein Zuckerschlecken, vor allem der Todeskampf nicht, der immerhin zwölf Minuten dauert. „Niesen sollte man besser nicht müssen“.

Die Kreuzigung. Jesus hängt dabei 25 Minuten am Kreuz. „Eine starke physische Leistung“, wie Frederik Mayet betont. – Foto: Passionsspiele Oberammergau 2020

Die Kreuzigung. Jesus hängt dabei 25 Minuten am Kreuz. „Eine starke physische Leistung“, wie Frederik Mayet betont. – Foto: Passionsspiele Oberammergau 2020

Völlig furcht- und arglos an die „Mission Jesus“ herangehen kann Rochus Rückel, der zweite Christus-Darsteller. Kleinere Rollen hat der 22-jährige Student der Luft- und Raumfahrttechnik zwar schon gespielt, und war im Sommer als Wilhelm Tell in einer Eigenproduktion zu sehen, aber jetzt den Jesus im Passionsspiel zu geben, „das hat mich doch sehr überrascht.“ Noch ist von Nervosität nichts zu spüren, „aber die wird schon noch kommen.“ Frederik Mayet spricht dem jungen Kollegen Mut zu: „Christian Stückl hat ein Gespür für Rollen wie kein anderer. Wenn er dem Rochus diese Rolle nicht zutrauen würde, hätte er sie ihm auch nicht gegeben.“

4200 Besucher verfolgen die Passionsspiele. Montag und Mittwoch ist vorstellungsfrei. – Foto: Kienberger

4200 Besucher verfolgen die Passionsspiele. Montag und Mittwoch ist vorstellungsfrei. – Foto: Kienberger

„Altbewährte Hasen“ dagegen sind Helga Stuckenberger und Andrea Hecht. Beide gelernte Holzbildhauerinnen, beide seit Jahrzehnten feste Größen des Passionsspiels. Andrea Hecht fing 1970 als eine Frau im Volk an, war 1977, ’80 und ’84 Chorsängerin; 1990 trat sie als Magdalena auf und spielt in eineinhalb Jahren zum dritten Mal in Folge die Gottesmutter, also neben der Maria Magdalena (Barbara und Sophie Schuster) den weiblichen Hauptpart. Die „andere Maria“ spielt Eva Reiser. „Die Erwartungen der Zuschauer an Maria sind hoch. Die Rolle ist psychisch sehr anstrengend und belastend, weil die Leidensgeschichte der Mutter nur mit Abschiednehmen zu tun hat“, erklärt Hecht. Dennoch freut sich die 57-Jährige auf die kommenden beiden Jahre, „weil es auch die Bestätigung ist, eine gute schauspielerische Leistung hingelegt zu haben, und es eine Ehre ist, wieder die Maria verkörpern zu dürfen“. Nachdem sie sich „nur“ als Chorsängerin beworben hatte, war Andrea Hecht um so erstaunter, als sie erfuhr, dass sie für Spielleiter Stückl erneut erste Wahl ist.

Nicht mehr in allererster Reihe stehen wird Helga Stuckenberger. Drei Mal hat sie die Maria Magdalena gespielt, also die Begleiterin Jesu und Zeugin der Auferstehung (ihr Beiname verweist auf den Ort Magdala am See Genezareth). Eine von sieben weinenden Frauen wird sie diesmal spielen, auch eine durchaus ergreifende Rolle.

Zitate 

An diesem Kreuz, das in einem Raum hinter der Bühne aufbewahrt wird, wird Jesus Christus qualvoll sterben. – Foto: Dieter Warnick

An diesem Kreuz, das in einem Raum hinter der Bühne aufbewahrt wird, wird Jesus Christus qualvoll sterben. – Foto: Dieter Warnick

„Maria Magdalena ist eine so wichtige Person in dieser Heilsgeschichte, dass, wenn man nach der Vorstellung nach Hause kommt, man nie ganz von ihr wegkommt.“Helga Stuckenberger, die schon drei Mal die Maria Magdalena gegeben hat

Holzbildhauerin Helga Stuckenberger verkörpert eine der weinenden Frauen. – Foto: Marlis Heinz | Ammergauer Alpen GmbH

Holzbildhauerin Helga Stuckenberger verkörpert eine der weinenden Frauen. – Foto: Marlis Heinz | Ammergauer Alpen GmbH

„Wir spielen die Passion von der Wiege bis zur Bahre, es gibt kein Rentenalter.“ Helga Stuckenberger, die 2020 eine der weinenden Frauen spielt

„Wir machen hier etwas Großes. Der Zuschauer muss sehen, dass wir uns alle zehn Jahre mit dem Passionsspiel auseinandersetzen.“ Carsten Lück, Technischer Leiter

Jesus versammelt seine Jünger zum Abendmahl. – Foto: Passionsspiele Oberammergau 2020

Jesus versammelt seine Jünger zum Abendmahl. – Foto: Passionsspiele Oberammergau 2020

„Oberammergau ohne Passionsspiele ist undenkbar. Die Bevölkerung ist mit dem Spiel schon von Kindesbeinen an verbunden.“ Frederik Mayet, Jesus-Darsteller 2010 und 2020

„Die Rolle ist psychisch sehr anstrengend und belastend, weil die Leidensgeschichte der Mutter nur mit Abschiednehmen zu tun hat.“ Andrea Hecht, Maria-Darstellerin 2000, 2010 und 2020

„Wir arbeiten vermehrt daran, den Markt in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu bewerben.“ Walter Rutz, Managing Director der Passionsspiele und Werkleiter der Eigenbetriebe Kultur, die durch die Gemeinde Oberammergau gegründet wurde

Raushier-Reisemagazin

Ein Gedanke zu „Oberammergau: Hinter den Kulissen der Passionsspiele 2020

  1. Das hast du wirklich gut geschrieben. Wir waren ja schon 2x da, es ist wirklich beeindruckend!

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