Wer in das Allgäu kommt, um auszuspannen, ist dort goldrichtig aufgehoben und macht nichts verkehrt. Termindruck und den stressigen Alltag hinter sich lassen, in sich gehen, die Batterien aufladen – als Kraftquelle dient der südlichste Teil des bayerischen Regierungsbezirks Schwaben perfekt. In den Listen der Orte mit den meisten Sonnenstunden in Deutschland taucht Scheidegg regelmäßig auf. Und mit den Scheidegger Wasserfällen und dem Baumwipfelpfad „skywalk allgäu“ hat die Marktgemeinde zwei Hotspots, die es in sich haben (ausführlicher Bericht über beide Erlebnisdestinationen folgt).
Kneipp- und Luftkurort
Im Westallgäu, das zu weiten Teilen zum Landkreis Lindau gehört, nimmt die Marktgemeinde Scheidegg eine dominierende Rolle ein. Als staatlich anerkannter Kneipp- und heilklimatischer Luftkurort kommen nicht nur Urlauber hierher, sondern auch viele Menschen, die ein gesundheitliches Problem mit sich herumschleppen. Sechs Kur- und Rehakliniken haben sich nach dem ersten Ersten Weltkrieg angesiedelt. Die Tradition als Kur- und Erholungsort reicht in die Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert zurück. Mit dem Bau der Eisenbahnlinie im Jahr 1901 kamen die ersten Sommerfrischler nach Scheidegg – der Tourismus hielt Einzug.
Damals standen vorwiegend mehr oder weniger private Einrichtungen für Kneipp-Anwendungen im Interesse (1964 entstand der erste „anerkannte Kneippkurbetrieb“, das Prädikat eines Kneippkurortes bekam Scheidegg im Jahr 1973), ehe die Auszeichnung zum Heilkurort acht Jahre später verliehen wurde. Als Höhenluftkurort war Scheidegg seit 1936 anerkannt. Die sechs Kliniken stellen den größten Arbeitgeber der Marktgemeinde dar.
Anno dazumal, also zur Jahrhundertwende, war Scheidegg seiner Zeit voraus, zumindest fast. Denn das kleine Dorf hatte den Sprung ins Elektrizitätszeitalter parallel mit dem großen München eingeläutet. „Am 25. August 1893“, so berichtet Christian Reichart, der Vorsitzende des Kur- und Verkehrsvereins und gleichzeitig Wanderführer, „hatten wir hier sieben Straßenlaternen mit zehn Lampen, während es in München zwei Straßen mit Laternen gab, in der Nähe des Bahnhofes.“
Behandlungen von A (ADHS) bis Z (Zöliakie)
Behandelt werden in erster Linie Depressionen, Angststörungen, sogenannte funktionelle Störungen, chronische Schmerzerkrankungen, Persönlichkeitsstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, sekundäre psychische Störungen, Essstörungen, Therapien nach Krebs-Operationen, ADHS und Zöliakie. Auch chronisch kranke Kinder und Jugendliche sind bei Mutter-Kind-Kuren in Scheidegg in besten Händen. Ebenso finden erschöpfte Mütter hier viel Aufmerksamkeit.
Aussichtsreiches Premiumwandern
Wanderfreunde haben die Qual der Wahl, vom aussichtsreichen Premiumwandern über die Wandertrilogie Allgäu bis hin zu mehr oder weniger leichten Spaziergängen, oder, den zahlreichen Kirchlein folgend, auf dem Kleinen und Großen Kapellenweg. Sogar der Jakobssweg führt hier vorbei.
Alle Premium-Wanderwege und Premium-Spazierwege im Westallgäu bieten landschaftlich alles – gesunde Wälder, grüne Weiden, blühende Wiesen, sanfte Hügel, wilde Schluchten, tosende Wasserfälle, unverfälschte Moorlandschaften – sowie jederzeit herrliche Aussichten bis hin zum Bodensee und der schroffen Bergwelt.
Wandertrilogie Allgäu
Wer die Wandertrilogie Allgäu, ein Fernwandernetz mit fast 900 Kilometern, in Angriff nimmt (die meisten wohl nur auf Teilstrecken), der wird mit den verschiedenen Landschaftsformen des Allgäus konfrontiert. Die Übergänge zwischen den Routen sind fließend.
Traditionelle Schindelbauweise
Das Gemeindegebiet von Scheidegg (4300 Einwohner) befindet sich in einem Höhenbereich von 600 bis 1000 Metern, mit einem herrlichen Blick über nahegelegene Bergwiesen und Viehweiden bis hin zur nicht allzu fernen Nagelfluhkette (Fluh = Felswand, Felsband) mit dem Hochgrat (1834 Meter) als höchstem Gipfel und den steilen Erhebungen der Bregenzer und Vorarlberger Felsformationen.
Der Ort selbst wird geprägt von stattlichen, bunten und fotogenen Häusern in traditioneller Schindelbauweise zur Fassadenverkleidung (Schindeln sind kleine, dünne Platten zum Verkleiden von Mauern oder Dächern). Diese Schindeln sind vorwiegend von der Weißtanne, deren Holz langlebiger und robuster ist als das anderer Nadelbäume. Bei genauem Hinschauen sieht man eine konkave Ausrundung der jeweiligen Schindelkante, die sogenannte Hohlkehle.
Großer und kleiner Kapellenweg
13 Kapellen findet der Wanderer, wenn er sich auf den „Großen Kapellenweg“ (21,7 Kilometer) begibt; der „Kleine Kapellenweg“ führt auf 2,7 Kilometern durch und um den Ort. Jedes dieser kleinen Gotteshäuser ist ein besonderes Kleinod.
Von St. Gallus und St. Magnus
Einige Beispiele: Die Annakapelle ist die größte und älteste Kapelle in Scheidegg. Anna, die „Begnadete“, ist die Patronin der Mütter, der glücklichen Heirat, des Kindersegens und der glücklichen Geburt. Die einzige ökumenische Kapelle ist die St.-Hubertus-Kapelle im Gemeindeteil Forst.
Die Galluskapelle (die katholische Pfarrkirche St. Gallus thront in der Ortsmitte) ist am Höhenweg zu finden. Der Heilige St. Gallus (* um 550, † 620) war Wandermönch und Missionar und der Heilige St. Magnus (* um 700, † um 760), ebenfalls Missionar und dem Volksmund nach „Apostel des Allgäus, sollen sich der Legende nach an diesem Ort getrennt haben. Das ist jedoch unmöglich, weil sich beide, wie es die Jahreszahlen zum Ausdruck bringen, nie getroffen haben können. Diese Trennung („Scheidung“) soll Scheidegg den Namen gegeben haben.
Ein Heiliger mit zwölf Fingern
Ganz besondere Schätze sind in der Kapelle St. Martina im Ortsteil Schalkenried zu finden. 14 Heiligenfiguren sind zu sehen, darunter eine mit sechs Fingern an jeder Hand. Sein Name ist unbekannt. Sicher ist nur, dass alle Figuren zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert entstanden sind. Auf jeden Fall einen kurzen Abstecher nach Österreich wert ist die Ulrichskapelle. Sie ist ein kleines, unter Denkmalschutz stehendes Kirchengebäude in der Leiblachtaler Gemeinde Möggers im Bezirk Bregenz und gilt als eines der ältesten Sakralbauwerke in Vorarlberg (erbaut um 1000). Die Kirche steht mitten im Wald auf einer Lichtung.
Fünfländerblick
Beim Restaurant „Fünfländerblick Am Blasenberg“ genießt der Ausflügler das Panorama in fünf Länder: Deutschland (Bayern, Baden-Württemberg), Liechtenstein, Österreich (Bregenzer Wald), Schweiz (linke Bodenseeseite) und Frankreich (Vogesen). Letzteres ist aber nur sehr, sehr selten der Fall, da muss „wettertechnisch“ alles stimmen.
Informationen: Scheidegg-Tourismus, Rathausplatz 8, D-88175 Scheidegg, Tel.: (08381) 8 94 22 33; Internet: www.scheidegg.de; E-Mail: info@scheidegg.de
Gastrotipps
* ZUM HIRSCHEN, hotel & gasthaus beim stöckeler, Kirchstraße 1, 88175 Scheidegg, Tel.: (08381) 2119; Internet: : www.zumhirschenscheidegg.de; E-Mail: info@zumhirschenscheidegg.de
* Hotel Edita, Am Hammerweiher 3, 88175 Scheidegg, Tel.: (08381) 91 23 20; Internet: www.hotel-edita.com; E-Mail: info@hotel-edita.com
Einkehrtipp
* Forster Einkehr, Forst 39, 88175 Scheidegg, Tel.: (08381) 92 84 45