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Berglertafel in Tiers: Der vierte Vajolet-Turm

Den Blick auf den Rosengarten gerichtet, das Reich von König Laurin. Wohl dem Ort, der wie Tiers eine Tafel decken kann für 160 Menschen. Aber eine einzigartige Aussicht und das Lebendigwerden lassen von Sagen und Mythen genügen nicht, um den Erhalt der Natur mit modernem Tourismus zu vereinbaren.

Dazu braucht es junge Menschen mit Ideen und Durchsetzungsvermögen, und das sind die Organisatoren der Berglertafel um die Hotelierstochter Katharina Pichler, die so gut aussieht, das Zwergenkönig Laurin bestimmt sie statt Similde gewählt und entführt hätte.

Schmausen vor prächtiger Kulisse

Die Berglertafel ist so lang, so dass 160 Leckermäuler Platz finden. - Foto: Alex Franchi

Die Berglertafel ist so lang, so dass 160 Leckermäuler Platz finden. – Foto: Alex Franchi

Die Berglertafel ist eine lange Tafel, mit weißem Leinentuch und ebenso weißem Porzellan gedeckt. Kristallgläser stehen bereit. Die Tafel befindet sich auf einer Alm hoch über Tiers, einem kleinen Dorf in Südtirol, aber mit einer großen Kulisse, einem einzigartigen Panorama, das zur Linken vom Rosengarten und zur Rechten vom Latemar geprägt wird, gigantische Bergformationen innerhalb der Dolomiten, die von der UNESCO mit dem Titel Weltkulturerbe geadelt wurden.

Das Essen hat Tradition, wie viele andere Veranstaltungen Südtirols im Sommer auch, die für die Einheimischen gedacht sind, zu denen aber auch Gäste Zutritt haben, solche, denen man die entsprechende Information gesteckt hat, weil man zu ihnen Zutrauen hat und sie nicht als Gefährder von Natur und Kultur ansieht. Selbstverständlich ist das nicht, wenn man nur an die Motorradfahrer denkt, die mit ungedrosselter Lärmabgabe über die Pässe und durch Wälder und Dörfer rasen.

Einen Tierscher zur Begrüßung

Der Rosengarten “blüht”, und das erste Feuer ist entfacht. - Foto: Tourismusverein Tiers

Der Rosengarten “glüht”, und das erste Feuer ist entfacht. – Foto: Tourismusverein Tiers

Zur Begrüßung gibt es Tierscher. Das ist ein Aperitif, dem auch eine Sage zugrunde liegt. Um in den Sagen um König Laurin nicht irre zu werden, sei rasch die mit Similde zuende erzählt. Dietrich von Bern beendete Laurins Glück mit ihr, weil er trotz dessen Maske, die ihn unsichtbar werden ließ, an den Bewegungen der Rosen merkte, wo sich der Zwergenkönig herumtrieb. Laurin ward darob so zornig, dass er die Rosen verfluchte, sie dürften weder des Tages noch des Nachts zu sehen sein. Den Abend hatte er vergessen, und so genießen auch die Teilnehmer der Berglertafel dieses Schauspiel der Enrosadira, wenn sie nur etwas Glück haben.

Es ist angerichtet. - Foto: Hans-Herbert Holzamer

Es ist angerichtet. – Foto: Hans-Herbert Holzamer

Katharina nun spielte als Kind auf dem Grundstück ihrer Eltern, dem heutigen Ansitz Velseck. Sie suchte das goldene Kegelspiel, das oben geblieben sein soll, als das Schloss, das vor Jahrhunderten einmal dort den Zugang vom Tal nach Tiers beherrschte, den steilen Abhang in die Tiefe rutschte. Den goldenen Kegel fand sie nicht, aber eine gläserne Phiole. Darin entdeckten herbei gerufene Wissenschaftler Mossbeersirup, zerdrückte Wacholderbeeren, Minzblätter, Reste einer Zitronenscheibe und von Prosecco. Das ist der Tierscher, der auf der Berglertafel ausgeschenkt wird und geschmacklich alles andere zwischen Aperol, Veneziano und Hugo in den Schatten stellt. So oder so ähnlich geht die Geschichte.

Mit allerlei leckeren Häppchen startet die Berglertafel. - Foto: Alex Franchi

Mit allerlei leckeren Häppchen startet die Berglertafel. – Foto: Alex Franchi

Eine andere hat Katharina als Theaterstück „Tiers 2050“ aufführen lassen. Die geht so: Im Jahre 2050 urlauben 1000 Japaner auf der Haniker Schwaige unterhalb der Vajolet-Türme, dieser weithin sichtbaren Felsgruppe an der Westseite des Rosengartens in einem neuen Luxushotel.

Um die Attraktivität zu erhöhen, wird ein vierter Vajolet-Turm gebaut, in den sich bequeme Touristen hinauf schleudern lassen können.

Es geht vor allem um die Tradition

Festlich gedeckt ist die Tafel, die immer jeden dritten Donnerstag im Juli stattfindet. - Foto: Hans-Herbert Holzamer

Festlich gedeckt ist die Tafel, die immer jeden dritten Donnerstag im Juli stattfindet. – Foto: Hans-Herbert Holzamer

„Die Einheimischen waren zuerst geschockt, dann haben sie verstanden, was ich mit diesem Theaterstück wollte. Sie aufwecken, um das zu entdecken, was wir haben, und nicht die Massen mit Attraktionen anzulocken.“ Es gehe um Traditionen und lokale, oft schon vergessene Gerichte. Daher die Berglertafel, und im September wird es eine Rosenwanderung geben. Deswegen der Tierscher und deswegen kämpft sie um die Wiederentdeckung des Buchweizens. „Dazu brauche ich die Frauen, denn die Männer sind zufrieden, wenn sie mit ihrem 250.000-Euro-Traktor in den Wald fahren können.“

Drei Mitstreiterinnen hat sie schon, und Buchweizengerichte, vor allem als Kuchen und Knödel, finden sich schon auf den Speisekarten. Und da Buchweizen glutenfrei ist, bietet ihre Mutter Edeltraud in ihrem Hotel Paradies schon eine Diät für Zöliakie-Kranke.

Mit-Organisatorin und Hotelierstochter Katharina Pichler hat gut lachen. - Foto: Hans-Herbert Holzamer

Mit-Organisatorin und Hotelierstochter Katharina Pichler hat gut lachen. – Foto: Hans-Herbert Holzamer

Da fügt es sich gut, dass Katharinas Freund Ben Schneider, wenn auch nicht Dietrich von Bern, so doch Ernährungsberater und Koch ist. Und einen Tierser Bergsteigertee haben die pfiffigen Frauen des Dorfes auch schon in die Läden und in die Gastronomie gebracht, bestehend aus Orangenminze, Rotklee, Minze, Zitronengras, Zimtbasilikum, Buchweizenblüten, Nachtkerze und Kornblume. Ein Glas davon, und Laurins Zorn würde vergehen, sein Rosengarten neu erblühen.

„Die Auswahl ist riesengroß“

Sieben Gasthöfe beteiligen sich an der kulinarischen Gestaltung der Berglertafel, jeder mit einem Gericht. „Die Auswahl ist riesengroß“, sagt Katharina, „es muss nur heimische Kost sein.“ Einer alten Tradition folgend kamen die Bergsteiger nach Tiers, um von dort frühmorgens hinauf in die Welt des Rosengartens, etwa zu den Vajolet-Türmen, hinaufzusteigen. Und abends hatten sie, nach dem Abstieg nach Tiers, wieder Hunger.

Es nimmt einfach kein Ende – die Nachspeisen müssen ja auch noch zubereitet werden. - Foto: Alex Franchi

Es nimmt einfach kein Ende – die Nachspeisen müssen ja auch noch zubereitet werden. – Foto: Alex Franchi

„Viele Touristen wissen nicht, dass hinter Völs am Schlern die Welt noch nicht zu Ende ist“, sagt sie. „Wenn wir uns nicht bewegen, können wir die Almen- und Kulturlandschaft nicht erhalten.“ Dass hat viel damit zu tun, dass Tiers erst spät mit einer belastbaren Straße erschlossen wurde, und viele selbst in Bozen das Dorf zu Laurins Füßen nicht kannten. Das jedenfalls gehört der Vergangenheit an.

Die einheimischen Köche geben alles

Inzwischen hat man die Gastronomie zu solchen Spitzenleistungen getrieben, dass Häuser wie das Paradies, aber auch das Wanderhotel Cyprianerhof, das Hotel Vajolet oder das Hotel Dosses es mit jedem Gabel- oder Sterne-bekröntem Gourmettempel im Land aufnehmen könnten. Selbst auf den Schutzhütten, wie der Tschafonhütte, die bequem zu erwandern ist, gibt es Gerichte zum Niederknien, wie die Graupensuppe oder den Buchweizenkuchen. Und auf dem Velseck, dem Ansitz, an dem früher das Schloss mit dem Kegelspiel stand, kochen Lukas Herrmann, der in Hamburg im Hotel Vierjahreszeiten gelernt hat, und Katharinas Bruder Peter so gekonnt und delikat, dass Laurin, wenn er käme, sich vermutlich für den Rehrücken entscheiden würde.

Information: Tourismusverein Tiers am Rosengarten, St.- Georg-Str. 79, I-39050 Tiers, Tel.: (00390471) 64 21 27

Raushier-Reisemagazin