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Department Allier: „Süßes“ Leben im Herzen Frankreichs

Rémi Harrel und sein Sohn Valerian begrüßen uns wie Freunde in ihrem eigenen Haus, genannt „Les Templiers“, deren fünf  Zimmer sie auch Gästen zur Verfügung stellen und deren Restaurant „A l’envie“ in Charroux und darüber hinaus in ganzen Department Allier und vermutlich auch in der Region Auvergne ein Magnet ist. Rémi Harrel war ein internationaler Schiedsrichter Frankreichs, der die Holländer 1988 bei der Europameisterschaft zum 2:0-Finalsieg über die UdSSR pfiff und auch beim Sieg des FC Bayern gegen die Raith Rovers 1996 den Ton angab. Sein Sohn war Innenarchitekt in Paris, beide kommen ursprünglich aus dem Süden des Landes. Doch sie flohen vor „der Hektik der Hauptstadt und vor der Verfälschung und Vermassung an der Côte d´Azur“ in die Ruhe und Ursprünglichkeit Frankreichs, die sie im „Herzen“, in Charroux in Allier, fanden.

In Charroux scheint die Zeit still zu stehen.

In Charroux scheint die Zeit still zu stehen.

Dort kauften sie sich ein Haus aus dem 19. Jahrhundert und richteten ein „Maison d’hôtes“ mit vier Zimmern ein, die in hellem Holz gehalten modern und einladend wirken. Sie nannten es „Les Templiers“, weil sich in einem mittelalterlichen Raum des Anwesens Spuren dieses alten Ordens finden. Die Zimmer kosten „ohne saisonales Auf und Ab“, wie Valerian Harrel betont, zwischen 80 und 110 Euro.

Charroux ist das „schönste Dorf

Charroux ist berühmt als „schönstes Dorf“ Frankreichs und „Les Templiers“ haben den regionalen Preis des „Gîte“ des Jahres errungen. „Gîtes de France“ ist ein Qualitätslabel, das mit mehreren Kategorien und Standard-Anforderungen (1 bis 5 épis = Ähren) dem Gast recht präzise Informationen gibt und so ein zusätzliches Angebot zu den Hotels darstellt.

In Charroux gibt es mit dem „La Grange du Belvédére“ ein zweites Gîte, das vier Ähren mitbringt.

Die Ruhe in dem mittelalterlichen Dorf, das aufgrund der grassierenden Landflucht schon dem Verfall preisgegeben war und nur aufgrund der Initiative von Leuten wie Harrel gerettet wurde, ist indes nur ein Aspekt, der ins französische Herz lockt. Die Gastronomie mit Mitarbeitern und Lieferanten, die maximal 5000 Meter vom „A l’envie“ wohnen, Zutaten, die wenn nicht im Haus, dann von Produzenten im Dorf hergestellt werden, wie das Brot, der Aufschnitt, der Käse, die Säfte, das Obst, die Weine und der Senf. Vor allem aber „les fameuses crêpes de Rémi“. Die Crêpes gibt es als Hauptgericht und als Nachspeise, mit den entsprechenden Füllungen und Zutaten. Beneidenswert sind das „A l´envie“ und der Gast, der dort bewirtet wird, allemal.

In der Mitte des Landes

In der Stadt Moulins trifft man zuweilen fechtende Frösche an.

In der Stadt Moulins trifft man zuweilen fechtende Frösche an.

Doch wo liegen diese Orte? Auvergne, Allier, Charroux? Wo und wie finde ich das Herz von Frankreich? Es ist immer eine Frage des Horizonts, des eigenen, was man als innerhalb der eigenen Peripherie liegend akzeptieren will und was fremd bleiben soll. Fliegt man mit der Hilfe von Google Earth nach Charroux, erkennt man, dass es fast der Mittelpunkt Frankreichs ist, etwa auf der Höhe von Genf gelegen. Fährt man von Deutschland aus, durchquert man das Elsass, die Franche-Comté und Burgund. Das ist, je nach dem eigenen Bewusstsein so, wie man selbstverständlich weiß, dass man auf dem Weg von München nach Bonn Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen durchquert.

Auch historisch gesehen ist vieles eigene Geschichte. Rom, die Bourbonen, die Französische Revolution; alles betrifft uns direkt. Von Vichy, das keine 30 Kilometer von Charroux entfernt ist, ganz zu schweigen.

Die Anreise ist nicht ganz einfach, wenn man nicht mit Bus, Auto oder Motorrad anreist. Denn Frankreich ist nach Paris ausgerichtet. Und wir flogen München – Charles de Gaulle, kämpften uns mit RER und Metro zur Station von Bercy. Vom Bahnhof Bercy ging es dann mit dem Zug weiter. Und wer mit der Bahn fährt, kommt im Gare de l´Est an und muss vom Gare de Lyon weiterfahren.  Kürzer und angenehmer ist die Fahrt über Zürich und Dijon, je nach dem, wo man in Deutschland startet.

Es wartet reicher Lohn

Bequem ist etwas anderes. Aber es wartet reicher Lohn. Alle vier Departments der Auvergne, dieses „süßen“ Frankreichs sind reich an Zielen, darunter 574 Schlösser, noch mehr Kirchen und Kapellen, Wälder, Heckenlandschaften, Täler und Schluchten, Flüsse und Seen und eben viele Dörfer und Städte. Für Vanessa Michy, Pressechefin der Auvergne, die uns auf dieser Tour begleitete, war es vermutlich fast schmerzhaft, uns nicht mehr zeigen zu können. Aber ihr Verdienst ist, dass wir einer Gastfreundschaft begegneten, die nicht kommerzialisiert, sondern echt und spontan ist, nicht nur im „Les Templiers“ oder in Charroux.

Bevorzugtes Fortbewegungsmittel in der Region sind Motorrad und Fahrrad. Wir haben mit dem Velo den Wald von Tronçais erforscht, der auch ein gut ausgeschildertes Wanderziel ist.

Einer der größten Eichenwälder Europas

Einladend: die Auberge de la Quécoule.

Einladend: die Auberge de la Quécoule.

Er liegt etwa 70 Kilometer nördlich von Charroux und ist einer der größten Eichenwälder Europas. Die Einheimischen, die wir in der Auberge de la Quecoule trafen, erzählten uns von Mythen, von Nymphen und Feen und vom Font de Viljot, einem Brunnen, der die Zukunft voraussagen kann. Unsere „Accompagnatrice en montagne“ Christine Deffner berichtete von Jean-Baptiste Colbert, der den Wald, der im Besitz der Herzöge von Bourbon war, nach seiner Konfiszierung durch den Staat rettete und einer geregelten Bewirtschaftung zuführte. Nicht zu Unrecht nennt man den Wirtschaftsminister Ludwig XIV. den Erfinder des Merkantilismus. Niemand außer dem König durfte dort Bäume fällen lassen. Und zur besseren Übersicht legte er Rondelle im Wald an, die er sternenförmig verband. Damals, etwa 1670, wurde das Holz überwiegend zum Bau von Schiffen verwendet, heute noch zur Herstellung von Weinfässern für die Weine der Bourgogne – und für chinesische Käufer.

Einige der Eichen-Riesen konnten wir bestaunen, die Zwillinge Chênes le Jumeaux oder den ältesten Baum, die Chêne la Sentinelle aus dem Jahre 1580.

In der Ferme Auberge La Quécoule verwöhnte uns die Chefin Viviane in dem Gastraum, der früher ein Stall war, mit einer Pâté aux pommes de terre, die dazu führte, dass ich meine Abneigung gegen Kartoffeln überwand. Die Einrichtung ist rustikal, charmant und eben nicht touristisch. Die Produkte sind alle in der Ferme entstanden, bis zu dem Fondant au chocolat.

Ein wahres Natur-Paradies

Der Wald von Tronçais ist einer der größten Eichenwälder Europas.

Der Wald von Tronçais ist einer der größten Eichenwälder Europas.

Natürlich ist das Department Allier ein Natur-Paradies aufgrund seiner Wälder, Flüsse und seiner geringen Bevölkerungszahl. Aber es ist auch ein kulturelles und historisches Schatzkästchen, in dem jeder nach seinem Geschmack wühlen kann. Uns interessierte Hérisson, wo die Ruine eines Fürstenschlosses der Bourbonen zu besuchen ist, das Mupop, das Musée des musiques populaires de Montluçon, und die Stadt Moulins mit dem Maison Martin.

Das Mupop ist ein geradezu genial zu nennendes, interaktives Museum, weil man über eine kleine Box die Musik, die man über Kopfhörer erleben will, direkt ansteuern kann. Und populäre Musik meint nicht nur Pop-Musik, sondern auch die Musik, die unsere Vorfahren auf den Höfen und Plätzen trällerten, spielten und nach denen sie tanzten.

Ein Schlafzimmer ganz in Rot

Das Maison Martin führte uns in die Zeit des späten 19. Jahrhunderts und in die Welt eines Textil-Erben, des Louis Martin, der sich als „Bourgeois“ dem Nichtstun und einer schönen verheirateten Frau widmete, der er ein Schlafzimmer ganz in Rot einrichtete. Er sammelte auf seinen Reisen, was immer ihm gefiel. Skurrile Dinge sind darunter, etwa fechtende Frösche. Die Stadt Moulins hat dieses Haus als Museum liebevoll und aufwendig wieder hergestellt. Es ist Teil der alten Festung der Bourbonen, zu der auch die Kathedrale gehört. Während der deutschen Besatzung verlief die Grenze zwischen dem besetzten Frankreich und dem Vichy-Frankreich mitten durch Moulins. Aber das weiß nicht einmal mehr der Chef des vorzüglichen Hotel de Paris, in dem wir logierten.

Wozu auch, die Bourbonnais, die Auvergner und vermutlich die Franzosen in ihrer Mehrzahl haben kein Problem mehr mit den Deutschen. Die Probleme sind heute andere, vor allem der Wegzug der Jungen in die Zentren des Landes, wo die Arbeit ist. Und nicht überall finden sich Leute wie die Harrels, die ihre Dörfer wieder auf  Vordermann und neues Leben in alte Mauern bringen.

Information: www.auvergne-tourismus.de und www.urlaub-ist-frankreich.de

Fotos: Hans Herbert Holzamer

Raushier-Reisemagazin

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