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Wildschönau: Als sich die komplette Landesregierung den Allerwertesten abfror

Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren, das ist ja hinlänglich bekannt, vom Bemühen geprägt, die verloren gegangene Ordnung wiederherzustellen. Ferner die am Boden liegende Wirtschaft in Gang zu bringen und die Schäden an der Infrastruktur zu beheben. Das war in den vielerorts zerbombten Städten so, auf dem flachen Land ebenso und natürlich auch in den Bergen. Ab1947 begann der Nachkriegsboom, auch Wirtschaftswunder genannt.

Im Winter blieben die Einheimischen unter sich

Die Wildschönau bildet zusammen mit dem Alpachtal das Skigebiet „Ski Juwel“ mit über 100 Pistenkilometern. – Foto: Dieter Warnick

In den meisten Talschaften der Bergregionen, ob in Bayern, Österreich oder Italien (Südtirol), hielt ganz allmählich der Tourismus Einzug. Der Sommer und der Herbst waren zum Wandern da, aber in den Wintermonaten blieben die Einheimischen fast unter sich. Doch das sollte sich bald ändern, denn überall gab es findige Menschen, die „ihre“ Berge auch in den kalten Monaten für Fremde erschließen wollten. Getreu dem Motto: Wenn schon nicht der Berg zu dir kommt, so muss dafür gesorgt werden, dass der Gast den Berg für sich entdeckt. Das alpine Skifahren war zwar längst erfunden, aber die Möglichkeit, Touristen bequem nach oben zu befördern, bedurfte oft jahrelanger zäher Bemühungen.

Von Tüftlern und findigen Ingenieuren

Vorweihnachtliches Skivergnügen garantiert das "Ski Juwel" Alpbachtal-Wildschönau. - Foto: Dieter Warnick

Vorweihnachtliches Skivergnügen garantiert das „Ski Juwel“ Alpbachtal-Wildschönau. – Foto: Dieter Warnick

Geduldige Technik-Freaks und Tüftler schossen regelrecht aus dem Boden. Auch findige Ingenieure, die ihrer Zeit voraus waren, krochen förmlich aus ihren Löchern. Finanzkräftige Menschen, die deren Ideen unterstützten, wo immer es ging, wurden händeringend gesucht, und oft auch gefunden. Überredungskünstler waren gefragt, die die neuen Projekte den oft sturen Bauern schmackhaft machen sollten – schließlich mussten ja die Lifte irgendwo, meistens auf Privatgrund, gebaut werden. Und schließlich bedurfte es fleißiger Gemeindeangestellter, aufgeschlossener Verwaltungsbeamter und nicht zuletzt gewiefter Politiker – nicht zu vergessen die strenge Geistlichkeit –, die allesamt überzeugt werden mussten, dass es so kam, wie es kommen musste. Es waren schwere Geburten, das Für und Wider wurde oftmals jahrelang erörtert und diskutiert. Viele Pfarrer warnten in ihren Predigten zum Beispiel davor, dass viele Fremde in die Täler kämen.

Alle profitieren vom Aufschwung

Doch allen Warnungen zum Trotz: Dem Wintertourismus einmal auf die Beine geholfen, profitierten davon fast alle Bevölkerungsschichten. Es sollte ein Erfolgsmodell werden, bei dem so gut wie niemand auf der Strecke blieb. Und das ist noch heute so.

In der Wildschönau war das nicht anders, nur mit dem Unterschied, dass bereits zwei Jahre nach Kriegsende, also 1947, die erste Aufstiegshilfe, ein einfacher und primitiver Einersessellift, in Betrieb genommen werden konnte. Und man höre und staune: es war der erste Sessellift in Tirol – eine unglaubliche Errungenschaft! Die Menschen in dem armen Tiroler Bergbauerntal unweit von Wörgl im Bezirk Kufstein lechzten fortan nach Neuerungen.

Sepp Hochmuth, der Wintersportpionier

Das Dorfbild von Oberau in der Wildschönau wird geprägt von der 250 Jahre alten, barocken Pfarrkirche, die wegen ihrer Größe auch der Dom des Tiroler Unterlandes genannt wird. - Foto: Wildschönau Tourismus

Das Dorfbild von Oberau in der Wildschönau wird geprägt von der 250 Jahre alten, barocken Pfarrkirche, die wegen ihrer Größe auch der Dom des Tiroler Unterlandes genannt wird. – Foto: Wildschönau Tourismus

Derjenige, der genau wusste, was kurz nach Kriegsende zu tun war, war der Wörgler Ingenieur und Schlosser Sepp Hochmuth (1916 – 1973). Ein Wintersportpionier, wie er im Buche stand. Ihm haben die Wildschönauer eine ganze Menge zu verdanken, weil sich Hochmuth nicht von seinem Weg abbringen ließ und sich konsequent gegen den Willen vieler Skeptiker durchsetzte. So kam der alpine Skisport in die Abgeschiedenheit der Wildschönauer Berge. Hochmuth war später Firmeninhaber, Geschäftsführer und Betriebsleiter der Wildschönauer Bergliftgesellschaft, Träger des Ehrenrings der Gemeinde und Vizebürgermeister. Auf einen Nenner gebracht: Ein angesehener Mann!

Stefan Margreiter, Jahrgang 1935, war damals noch ein kleiner Bub. In der Wildschönau nennen ihn seit Jahrzehnten alle nur den „Steff“, ein „bunter Hund“, wie man so gerne sagt. Er war Skischulleiter, Skirennläufer, Skiverleiher und Taxiunternehmer – und er kann Geschichten erzählen, bei denen kein Auge trocken bleibt. Eine hat sich vor 70 Jahren in etwa so abgespielt:

Es war an einem bitterkalten Tag im Januar

Mit Schwung Richtung Tal – Schnappschuss am Wiedersberger Horn. - Foto: Wildschönau Tourismus

Mit Schwung Richtung Tal – Schnappschuss am Wiedersberger Horn. – Foto: Wildschönau Tourismus

„Es war am 14. Januar 1947“, erinnert sich Margreiter noch genau, als der nigelnagelneue Einersessellift, der von Niederau zum Markbachjoch führt, hochfeierlich eingeweiht wurde, „und es war bitterkalt an diesem Dienstag, sicherlich 30 Grad minus.“ Niederau war damals ein verträumtes, kleines und unbekanntes Nest; für Gäste standen zwölf Fremdenbetten zur Verfügung. Nichtsdestotrotz hatte sich fast die komplette Tiroler Landesregierung von Innsbruck aus auf den Weg gemacht, galt es doch, bei diesem historischen Ereignis dabei zu sein. Bei strahlend blauem Himmel nahmen die Honoratioren, warm eingepackt und voller Vorfreude, jeder für sich, und nach und nach, auf einem jener unbequemen Holzsitze Platz und harrten der Dinge. Zwei Kilometer bergan sollte es gehen, 120 Personen in der Stunde konnten bei Vollauslastung nach oben gebracht werden.

„Und plötzlich ging nix mehr“

„Dann ist das eingetreten, was man heutzutage einen Alptraum nennt,“ schmunzelt Margreiter, „der Lift ist plötzlich stehengeblieben. Da ging nix mehr!“ Die Ursache war bald gefunden, das Beheben des Schadens jedoch dauerte und dauerte und dauerte. Schuld am Stillstand war ein versulzter Dieselmotor – bei diesen Temperaturen kein Wunder, dass er streikte. Hektisch und betriebsam wurde so lang herumgewerkelt, bis der Motor von neuem ansprang und die umfunktionierten Antriebsräder, die Hochmuth aus ausgemusterten Panzern, die er im Pinzgau ausfindig gemacht hatte, nach gut einer Stunde wieder liefen. „Steff“ Margreiter schmunzelt: „Zum Schluss waren alle Probleme gelöst und alle heilfroh, wieder Boden unter den Füßen zu haben, wenn alle auch ziemlich durchgefroren waren.

Nicht überliefert ist, ob der eine oder andere fröstelnde „Passagier“ einen Flachmann zum Wärmen der inneren Organe in der Tasche gehabt hat. Gewundert hätte es niemanden.

Heute ist so etwas undenkbar

Familien mit Kindern haben im "Ski Juwel" ideale Voraussetzungen für unbeschwerte Urlaubstage. - Wildschönau Tourismus

Familien mit Kindern haben im „Ski Juwel“ ideale Voraussetzungen für unbeschwerte Urlaubstage. – Wildschönau Tourismus

Heutzutage bleibt wegen eines versulzten Dieselmotors natürlich kein Lift mehr stehen. Der Komfort, den der Gast in Anspruch nehmen kann, nimmt von Jahr zu Jahr zu. Die Wunderwelt der Technik hat den Berg für sich vereinnahmt. Jährliche Millioneninvestitionen gehören zur Tagesordnung.

In der Wildschönau ist in diesem Sommer zum Beispiel die Vierergondel auf den Schatzberg (von der Ortschaft Auffach aus) durch eine komfortable Achtergondel ersetzt worden. 17,5 Millionen Euro hat die Bahn gekostet. Eine Kapitalanlage, die sich auf jeden Fall rechnet, können doch doppelt soviele Menschen (2650 pro Stunde) ins Skigebiet transportiert werden wie vorher, und auch noch um einiges schneller.

Dank Verbindungsgondel zum „Ski Juwel“

Familien mit Kindern haben im "Ski Juwel" ideale Voraussetzungen für unbeschwerte Urlaubstage. - Wildschönau Tourismus

Familien mit Kindern haben im „Ski Juwel“ ideale Voraussetzungen für unbeschwerte Urlaubstage. – Wildschönau Tourismus

Ein großer Erfolg, das lässt sich jetzt schon sagen, ist die Verbindungsgondel (Dauer fünf Minuten), die das Skigebiet Wildschönau an das im Alpachtal anschließt und es zum „Ski Juwel“ macht. Nomen est Omen. Am 19. Januar 2013 fand die offizielle Eröffnung statt. Die Kosten lagen bei 13,5 Millionen Euro. 109 Pistenkilometer (47 Lifte) stehen den Gästen zur Verfügung. „Alle, die mit dem Fremdenverkehr zu tun haben, wir hier in der Wildschönau und die Menschen drüben im Alpachtal, sind froh, dass es diese Verbindung gibt,“ sagt Christine Silberberger vom Wildschönau Tourismus, „wir profitieren voneinander ungemein.“

Das größte Pfund, mit dem das „Ski Juwel“ allerdings wuchert, ist die Urtümlichkeit und die Kinderfreundlichkeit. „Wir haben hier ein kleines, knackiges Skigebiet,“ berichtet die Tourismusfrau, „unser Schwerpunkt liegt auf den Familien, der Gemütlichkeit und der Entschleunigung. Wer schnell abschalten will, der ist bei uns gerade richtig.“ Das Natürliche pflegen und die Tradition bewahren, das steht bei uns an Nummer eins.“ Rummel ist ein Fremdwort, Eventhütten oder Schneebars gibt es nicht. „AprèsSki findet mehr im Wirtshaus statt als auf der Piste,“ verspricht Christine Silberberger.

Vielfältiges Pistenangebot

Das Pistenangebot ist sowohl in der Wildschönau als auch im Alpachtal vielfältig. Skilehrer Herbert Naschberger verdeutlicht: „In der Wildschönau sind die Pisten breiter, während es in Alpach etwas steiler ist. Freerider finden hier herrliche Hänge vor. Die schönste Piste für mich ist die Gernalm-Abfahrt am Schatzberg, weil man von jedem Punkt aus einen tollen Blick auf die komplette Wildschönau hat. Wenn dir da das Herz nicht aufgeht, dann weiß ich nicht…“ Gern fährt der Skiguide auch die Wurmegg-Abfahrt: „Für eine rote Abfahrt hat sie einiges zu bieten. Sie ist wunderschön zu fahren.“

Breit öffnet sich dem Betrachter das beschauliche  Alpachtal. - Foto: Wildschönau Tourismus

Breit öffnet sich dem Betrachter das beschauliche Alpachtal. – Foto: Wildschönau Tourismus

Sportliche Amateure und schnelle Pistenprofis fühlen sich im Skigebiet Niederau besonders wohl. Hier locken Fun Slopes, eine Riesenslalomabfahrt und eine Slalomstrecke. Wer mit der Bahn auf das 1500 Meter hohe Markbachjoch gondelt, findet mit der Gipfel-Hochbergabfahrt seine persönliche Herausforderung: sie ist drei Kilometer lang und tiefschwarz.

Und noch ein besonderer Tipp: Vom Schatzberg führt eine fünf Kilometer lange Abfahrt hinunter nach Thierbach. Nach einer Stärkung, beispielsweise im Traditionsgasthof Sollererwirt (siehe Gastrotipp weiter unten), kann man sich mit der Bummelbahn nach Auffach zurückbringen lassen.

Vom Stall auf die Piste

Im Januar 1947 wurde der erste Sessellift in der Wildschönau eröffnet. Er führte von Niederau auf das Markbachjoch. - Foto: Gemeindearchiv Wildschönau

Im Januar 1947 wurde der erste Sessellift in der Wildschönau eröffnet. Er führte von Niederau auf das Markbachjoch. – Foto: Gemeindearchiv Wildschönau

Die Wildschönau ist nach wie vor stark bäuerlich geprägt – kein Wunder bei 260 bewirtschafteten Bauernhöfen. Die meisten der Bauern und Senner arbeiten im Winter untertags als Pisten- oder Liftarbeiter, als Skilehrer oder Skiguide. Ehe die Lifte öffnen, muss die Stallarbeit verrichtet werden, und wenn die Lifte geschlossen sind, folgt das selbe Prozedere erneut, nur einige Stunden später. Ein Zuckerschlecken ist das wahrlich nicht. Im Sommer geht es dann halt statt auf den Berg aufs Feld. Eine Ausnahme bildet Herbert Naschberger: Er kümmert sich um das Wohlsein seiner Gäste in der Tennisanlage in Oberau.

Ein Schnaps als Alleinstellungsmerkmal

Eine ganz besondere Wildschönauer Spezialität ist der „Krautinger“. Der Geist vergangener Tage wohnt diesem Schnaps inne, der ausschließlich nur in dem Tiroler Bergbauerntal gebrannt wird. Sein eigenwilliger Geschmack ist gewöhnungsbedürftig, doch die Einheimischen schwören auf seine medizinische Wirkung, angeblich ein Wundermittel für den Magen. Kaiserin Maria Theresia verlieh im 18. Jahrhundert den Wildschönauern das exklusive Brennrecht an diesem „Hochprozentigen“, der aus der weißen Stoppelrübe gebrannt wird.

Das ist die Wildschönau

Wenn man in der Wildschönau vom „Steff“ spricht, dann weiß jeder wer damit gemeint ist: Stefan Margreiter. - Foto: Dieter Warnick

Wenn man in der Wildschönau vom „Steff“ spricht, dann weiß jeder wer damit gemeint ist: Stefan Margreiter. – Foto: Dieter Warnick

Die Wildschönau, in der 4200 Menschen leben, ist ein 24 Kilometer langes, romantisches, malerisches Hochtal zwischen den Kitzbüheler und den Zillertaler Alpen. Die Gemeinde besteht aus den vier Ortschaften Niederau, Oberau, Thierbach und Auffach, die sich zwischen 828 und1150 Metern befinden. Jedes Dorf hat eine Kirche, eine Volksschule, eine Bundesmusikkapelle, eine Feuerwehr und eine Schützenkompanie. Das beschauliche Thierbach ist mit 160 Einwohnern der mit Abstand kleinste Ort, verfügt aber immerhin auch über eine eigene Schule, in der derzeit 18 Schüler von der ersten bis zur vierten Klasse unterrichtet werden.

Beschneiungsanlagen gab es in den 1950er Jahren noch nicht, es hatte genügend Naturschnee. In unbequemen Einzelsesselliften ging es hinauf auf die Wildschönauer Berge. - Foto: Gemeindearchiv Wildschönau

Beschneiungsanlagen gab es in den 1950er Jahren noch nicht, es hatte genügend Naturschnee. In unbequemen Einzelsesselliften ging es hinauf auf die Wildschönauer Berge. – Foto: Gemeindearchiv Wildschönau

Gastrotipp: Traditionsgasthof Sollererwirt, Familie Moser, Thierbach, Dorf 19, A-6311 Wildschönau, Tel.: 0043 5339 8913; E-Mail: moser@sollererwirt.at; Internet: www.sollererwirt.at: Der Gasthof hat eine 350-jährige Geschichte. Denn in der original erhaltenen Speckbacherstube rief im Jahr 1809 ein Getreuer des Tiroler Freiheitskämpfers Andreas Hofer (1767-1810), nämlich Major Josef Speckbacher (1767-1820), zum letzten Widerstand gegen Napoleon und die Bayern auf. Und formierte so die wehrhafte Truppe der „Sturmlöder“, die mit Mistgabeln, Sensen oder Ähnlichem, braun-roter Kluft und Schlapphut ausrückten. Die „Speckbacherstube“ ist noch original erhalten und eine der ältesten Bauerngaststuben im ganzen Hochtal. Auf dem kleinen, grünen Klapptisch in der Stube schrieb er einen verzweifelten Aufruf an die Bauern für ihr Vaterland zu kämpfen.

Informationen: Wildschönau Tourismus, Hauserweg, Oberau 337, A-6311 Wildschönau, Tel.: 0043 5339 82 55, E-Mail: info@wildschoenau.com; Internet: www.wildschoenau.com

Raushier-Reisemagazin

2 Gedanken zu „Wildschönau: Als sich die komplette Landesregierung den Allerwertesten abfror

  1. Eure Informationen zur Wildschönau helfen mir unglaublich weiter. Ich kenne mich hier nicht wirklich aus. Jetzt habe ich dank Ihnen aber ein besseres Verständnis.

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