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Swinemünde: Das „polnische Rimini“ auf Usedom

Wenn man es mit eigenen Augen nicht gesehen hätte, man würde ungläubig den Kopf schütteln. Denn dieses Ambiente würde man nie und nimmer mit einem Seebad in Polen verbinden, schon eher mit der Adriaküste, Mallorca oder Gran Canaria. Ein Strand, so breit wie eine zehnspurige Autobahn und so lang wie eine Marathonstrecke (Auflösung weiter unten), ein Himmel so azur-blau wie das Trikot der italienischen Fußball-Nationalmannschaft, das Wasser so kühl wie ein Glas prickelnder Champagner und der Sand so hell und fein wie bestes Weizenmehl – Herz was willst du mehr. Swinemünde (Świnoujście) heißt dieser Flecken Erde, und er befindet sich auf der polnischen Seite der deutschen Ostsee-Insel Usedom.

Internationales Flair

Das polnische Seebad Swinemünde (Świnoujście) hat sich zum "Rimini von Usedom" gemausert. Die 41 000-Einwohner-Stadt boomt wie wohl keine andere Stadt vergleichbarer Größe in Polen. - Foto: Dieter Warnick

Das polnische Seebad Swinemünde (Świnoujście) hat sich zum „Rimini von Usedom“ gemausert. Die 41 000-Einwohner-Stadt boomt wie wohl keine andere Stadt vergleichbarer Größe in Polen. – Foto: Dieter Warnick

„Unser Städtchen“, so berichtet Piotr in fast akzentfreiem Deutsch, „hat sich in den letzten Jahren ganz toll entwickelt. Das hat sich wohl herumgesprochen, nicht nur bei unseren polnischen Landsleuten.“ Vor allem in der Vor- und Nebensaison fallen besonders deutsche Touristen auf, die zeigen, dass das „polnische Rimini auf Usedom“ internationales Flair hat.

Moderne Kunst auf der Kurpromenade: Swinemünde hat dort das besondere Flair. - Foto: Dieter Warnick

Moderne Kunst auf der Kurpromenade: Swinemünde hat dort das besondere Flair. – Foto: Dieter Warnick

Besonders an der Promenade, an der wir Piotr treffen, beeindruckt, wie sehr sich Swinemünde in den vergangenen Jahren herausgeputzt hat. „Sehen Sie sich nur die vielen alten Villen aus der Gründerzeit an, wie schön sie geworden sind.“

 

In der Tat ist das Städtchen mit seinen 41 000 Einwohnen zu einem Vorzeigeobjekt des polnischen Tourismus‘ geworden. Der Ort blüht, wächst und gedeiht – historische Bäderarchitektur trifft auf niveauvoll quirliges Promenadenleben, das sich unbegrenzt mit dem der drei deutschen Kaiserbäder Bansin, Ahlbeck und Heringsdorf vermischt.

Am Strand ist jede Menge los

Nur der Turm erinnert an die im März 1945 nach einem Bombenangriff nahezu völlig zerstörte Martin-Luther-Kirche. Im Inneren befindet sich das Café Wieza (Café Turm). Man kann den Turm auch besteigen. Von oben hat man einen schönen Blick über Swinemünde, aber auch über die Grenzen der Stadt hinaus. - Foto: Dieter Warnick

Nur der Turm erinnert an die im März 1945 nach einem Bombenangriff nahezu völlig zerstörte Martin-Luther-Kirche. Im Inneren befindet sich das Café Wieza (Café Turm). Man kann den Turm auch besteigen. Von oben hat man einen schönen Blick über Swinemünde, aber auch über die Grenzen der Stadt hinaus. – Foto: Dieter Warnick

Zur Mittagszeit an einem sonnendurchfluteten Juli-Mittwoch – bei Kaiserwetter eben – gibt es, so hat es den Anschein, kein einziges Plätzchen mehr am Strand. Viel von dem herrlich weichen Sand ist auf jeden Fall nicht zu sehen. Menschenmassen haben den Strandabschnitt zwischen der deutschen Grenze bei Ahlbeck und dem etwa drei Kilometer langen Landstreifen der Insel Usedom auf polnischer Seite regelrecht okkupiert. Hellhäutige liegen neben Braungebrannten, Korpulente jeden Alters, ob Männlein oder Weiblein, neben wahren „Standschönheiten“ oder unweit von muskelbepackten Tatoo-Leibern. Caps als Kopfschutz in allen Farben haben Hochkonjunktur, noch bunter sind die mitgebrachten Wind- und Sichtschutzutensilien. Dennoch: Der eine oder andere „begnadete“ Revuekörper glänzt in einem Rot, das an reife Erd- oder Himbeeren erinnert. Ein wahrlich farbenprächtiges Treiben. Was aber nicht zu sehen ist sind Strandkörbe – der Pole hat wohl kein Faible dafür…

Auch in der Ostsee tummeln sich Hartgesottene, vorwiegend Kinder und Jugendliche. Für diese Unerschrockenen sind die Wassertemperaturen um 17 Grad wohl gerade angenehm genug. Damit haben Wind- und Kitesurfer kein Problem; sie schützen sich mit Neoprenanzügen.

Der Hochadel fühlt sich wohl hier

Blick vom Hafengelände auf die Skyline mit der Christius-Kirche. - Foto: Dieter Warnick

Blick vom Hafengelände auf die Skyline mit der Christius-Kirche. – Foto: Dieter Warnick

Schon Anfang des 19. Jahrhunderts genoss Swinemünde den Status einer gern, vor allem vom Hochadel, besuchten Sommerdestination. Hauptsächlich der Leibarzt von Theodor Fontane, der von 1827 bis 1832 hier lebte, förderte das erste Ostseebad Preußens, das damals der zweitälteste Badeort an der Ostsee war.

Auch die Altstadt hat sich herausgeputzt. Herrlich renovierte Häuser sowie zahlreiche Gaststätten und Cafés bieten den einen oder anderen Augen- bzw. Gaumenschmaus. - Foto: Dieter Warnick

Auch die Altstadt hat sich herausgeputzt. Herrlich renovierte Häuser sowie zahlreiche Gaststätten und Cafés bieten den einen oder anderen Augen- bzw. Gaumenschmaus. – Foto: Dieter Warnick

Eigentlich ist Swinemünde das erste Kaiserbad (die Ortschaften Bansin, Ahlbeck und Heringsdorf nennen sich offiziell Kaiserbäder), denn hierher kam Kaiser Wilhelm II. auf seinen Nordlandfahrten, wenn er seine Flotte besuchte. Hundert Jahre später wurden die ersten Kureinrichtungen gebaut.

 

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in Swinemünde ohne Hoffnung, war doch ihre Stadt am 12. März 1945 durch einen alliierten Bombenangriff mit 671 Flugzeugen und 1600 Tonnen Bombenlast völlig zerstört worden.

Rund 4500 Menschen sterben. Die meisten Opfer werden auf den Golm, der höchsten Erhebung der Insel Usedom, mit Pferde- und Lastwagen gebracht, und in Massengräbern beigesetzt. Sechs Schiffe werden im Hafen versenkt. Anfang Mai marschieren russische Truppen in Swinemünde ein, und am 6. Oktober wird die Stadt unter polnische Verwaltung gestellt. Auf der Potsdamer Konferenz im selben Jahr wird die Westgrenze Polens festgelegt, die Ahlbeck von Swinemünde trennt. Aus Swinemünde wird Świnoujście!“

Die Sowjets verlassen die Stadt

Swinemünde ist eine moderne Stadt. Zahlreiche Brunnen prägen das Bild der Fußgängerzone. - Foto: Dieter Warnick

Swinemünde ist eine moderne Stadt. Zahlreiche Brunnen prägen das Bild der Fußgängerzone. – Foto: Dieter Warnick

Fünf Jahre nach Kriegsende leben schon 5000 Polen, aber nur noch 500 bis 600 Deutsche, in Swinemünde, und das Seebad war zur Domäne der Sowjets geworden. 1952 kommen wieder erste Urlauber, und zehn Jahre später werden Fährverbindungen nach Schweden, Dänemark und zur Insel Bornholm aufgenommen. An Heiligabend des Jahres 1992 verlassen die letzten sowjetischen Soldaten die Stadt.

Erst von einigen Wochen hat dieses Fünf-Sterne-Nobelhotel mit 800 Betten geöffnet. Es befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Strand. - Foto: Dieter Warnick

Erst von einigen Wochen hat dieses Fünf-Sterne-Nobelhotel mit 800 Betten geöffnet. Es befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Strand. – Foto: Dieter Warnick

Der Tourismus nimmt Fahrt auf. Vorhandene Hotelzimmer und Ferienwohnungen werden auf einen modernen Stand gebracht, viele neue Unterkünfte entstehen, die ersten (Nobel)-Hotels werben um die Gunst der Urlauber aus nah und fern. Swinemündes Wunden sind endgültig verheilt, die Stadt steigt neben Kolobrzeg (Kolberg) und Sopot (Zoppot) zu einem der bekanntsten Bäder Polens auf.

Aber erst im Dezember 2007 wird die Grenze zwischen Polen und Deutschland für den freien Verkehr geöffnet. 62 Jahre trennte ein Schlagbaum die beiden Nachbarländer. Wo früher Menschenmassen am Grenzübergang auf die Abfertigungsmodalitäten warten mussten, kann man heute ganz lässig zu Fuß am Strand oder per Rad auf der Uferpromenade „einreisen“. Das bequemste Reisemittel ist allerdings die Usedomer Bäderbahn (UBB), die im 42 Kilometer (also der Entfernung einer Marathonstrecke) entfernen Peenemünde startet und über Zinnowitz, Ückeritz und die Kaiserbäder (um nur einige Stationen zu nennen) bis zur Endstation Swinemünde fährt.

Der Fremdenverkehr boomt

Sandskulpturen an der Promenade lassen den Besucher nicht so einfach vorübergehen. - Foto: Dieter Warnick

Sandskulpturen an der Promenade lassen den Besucher nicht so einfach vorübergehen. – Foto: Dieter Warnick

Ein großer Teil der Swinemünder Bevölkerung lebt vom boomenden Fremdenverkehr – rund 1,5 Millionen Übernachtungen sprechen eine deutliche Sprache (natürlich spielt für manchen Gast auch der günstige Preis für eine Urlaubsreise eine große Rolle) – und, wie eh und je, von der Hafenwirtschaft. Der Seehafen von Swinemünde ist einer der bedeutendsten Umschlagplätze in Polen und an der gesamten Ostseeküste.

Das Hafenviertel ist, wie auch der Kurpark, sehr gepflegt, viele Neubauten geben den Einwohnern dort ein äußerst passables Zuhause. Das Küstenviertel ist geprägt von Bürgerhäusern aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Die Fußgängerzone mit ihren einladenden Plätzen, Restaurants und Cafés ist großzügig gestaltet; in den Sommermonaten sorgen mehrere architektonisch auffallende Brunnen für die nötige Abkühlung. Das mit Abstand originellste Café ist das Café Wieza (Café Turm), das sich im Eingangsbereich der Martin-Luther-Kirche befindet, und von der nur noch der Turm erhalten ist. Auch das muss man mit den eigenen Augen gesehen haben…

Weitere Sehenswürdigkeiten

  • Eine Entenfamilie tummelt sich im Hafenbecken. Von dort aus kann man mit der Stadtfähre alle 20 Minuten auf die andere Seite der Stadt, nach Wollin, kommen. Im Hintergrund stattliche Wohnhäuser mit Blick aufs Wasser. - Foto: Dieter Warnick

    Eine Entenfamilie tummelt sich im Hafenbecken. Von dort aus kann man mit der Stadtfähre alle 20 Minuten auf die andere Seite der Stadt, nach Wollin, kommen. Im Hintergrund stattliche Wohnhäuser mit Blick aufs Wasser. – Foto: Dieter Warnick

    Christuskirche: 1788 bis 1792 als erste evangelische Pfarrkirche erbaut. 1881 vollständig neugotisch umgebaut. Im Zweiten Weltkrieg nur wenig beschädigt.

  • Fischereimuseum: Ehemaliges Rathaus, ältestes Bauwerk der Stadt, erbaut 1804 bis 1806. Heute Fischereimuseum. Gezeigt wird die Entwicklung der Hochseefischerei.
  • Hafenmolen: Erbaut Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Zentralmole reicht 1400 Meter weit hinaus ins Meer und ist damit die längste Steinmole Europas.
  • Leuchtturm: 1857 in Betrieb genommen, mit fast 65 Metern Höhe der höchste Leuchtturm an der Ostsee und damit einer der höchsten in ganz Europa. 308 Stufen bis zur Aussichtsplattform.
  • „Polenmarkt“: Er beginnt etwa 200 Meter hinter der „Grenze“ an der ehemaligen Ahlbecker Chaussee. Für viele Deutsche ist er schlechthin die Attraktion der Stadt. Und für die vielen polnischen Händler sind die deutschen Kunden sehr willkommen. Als sicher gilt: Die Stadt profitiert von ihrer Nähe zur Grenze außerordentlich.

 

Raushier-Reisemagazin

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