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Auf den Teide: Dem Himmel so nah

Talstation des Teleférico del Teide, Punkt neun Uhr: Die Sonne strahlt und der Himmel hat jenes Tiefblau, das man eigentlich so nur aus den Alpen im Winter kennt. Wir aber sind mehr als 3000 Kilometer Luftlinie südwestlich der Alpen, mitten im Frühling und mitten im Atlantik: auf Teneriffa – zum Bergsteigen, besser zum Berg besteigen. Es kribbelt im Bauch. In null Komma nix oder genauer gesagt in acht Minuten schwebt die Gondel hinauf zur Bergstation. Von der Talstation auf 2356 Metern bringt die Gondel 43 Bergfexe und mich rund 1200 Meter höher auf 3555 Meter. Ohne noch auf dem Gipfel des Wahrzeichens der Kanarischen Inseln zu sein sind das schon erstaunliche 593 Meter mehr als unsere Zugspitze misst!

Einzigartig: Blick vom Teide auf Las Canadas und La Gomera.

Einzigartig: Blick vom Teide auf Las Canadas und La Gomera.

Dort, auf der Zugspitze, hat alles angefangen. Die Mengen drängelten sich zwar auf dem Zugspitzplatt, trotzdem war die Aussicht herrlich. Aber: Wir waren nicht über der 3000-Meter-Grenze. Und ich stellte mir die Frage, ob es nicht noch so eine bequeme Möglichkeit gäbe, wie sie die Zugspitzbahn bietet, die mich dann allerdings sogar über die 3000er Grenze bringt. 3000, 4000, 5000, 6000 – solche Zahlen faszinieren mich einfach. Als der Kilimanjaro noch Kaiser-Wilhelm-Spitze hieß, wiesen die Bücher als Höhe 6011 Meter aus. Heute wird der Kili mit 5895 Metern angegeben. Der Berg wurde damals bewusst falsch vermessen, um der höchsten Erhebung im Deutschen Reich die Sechs vor der Tausend zu schenken …

Teide light in kurzen Hosen

Bizarr: die Felsformationen von Las Canadas.

Bizarr: die Felsformationen von Las Canadas.

Meine Recherche ergab, dass die höchste Bergstation Europas auf 3820 Meter Höhe liegt, die Besteigung der Spitze des Matterhorns für Nicht-Bergsteiger allerdings unmöglich ist. Gleiches galt für die Platzierten, Saas-Fee, Chamonix, Jungfraujoch. Und dann kam schon der Pico del Teide, weit weg von den Alpen, aber 3718 majestätische Meter hoch, die höchste Erhebung Spaniens, der dritthöchste Inselvulkan der Erde (nach dem Mauna Loa und dem Mauna Kea auf Hawaii), und 755 Meter höher als unsere Zugspitze! 1954 zum Nationalpark erklärt und 2007 in die Liste des Weltnaturerbes aufgenommen. Gesucht – gefunden. Gesagt – getan …

Über den Wolken: Blick vom Teide über den gleichnamigen Nationalpark.

Über den Wolken: Blick vom Teide über den gleichnamigen Nationalpark.

Vater Teide, wie die Tinerfeños respektvoll ihren Vulkan nennen, meint es gut mit uns: Es ist Kaiserwetter! An der Bergstation lese ich angenehme 18 Grad vom Thermometer ab. Im Sommer sind am Gipfel manchmal sogar mehr als 20 Grad möglich, aber im Winter kann es auch mal schneien. Ich will gleich ganz hoch, mache mich sofort auf in Richtung Wanderweg Nr. 10, der Gipfelpfad und gleichzeitig die Teide-light-Version. In kurzen Hosen, aber mit Bergschuhen und Stöcken …

„Hola! Su permiso, por favor!“ Der Mann am Gatter zum Weg 10 kontrolliert die Genehmigung, die man sich zuvor (kostenfrei) online einholen muss. Pro Tag werden nur 200 Permits ausgestellt und man sollte sich monatelang im voraus um eines kümmern. „Die letzten 163 Höhenmeter seien in gut 30 Minuten zu bewältigen“, sagt der Mann am Gatter. „Ab der Bergstation sind noch rund 700 Meter zu gehen“.

Krater statt Spitze

Wächst auf mehr als 2000 Metern Höhe: der Rote Natternkopf.

Wächst auf mehr als 2000 Metern Höhe: der Rote Natternkopf.

Schon nach wenigen Metern Aufstieg fällt auf: Meine Atmung geht schneller. Die Luft ist ab 3500 Meter spürbar dünner. Oder schlägt mein Herz auch deshalb schneller, weil es bald soweit ist: Der Pico ist ja schon in Sicht! Aber auch nur 163 Höhenmeter wollen erstmal bewältigt werden. Der Weg schlängelt sich steil nach oben. Links und rechts ist kein Bewuchs mehr. Die Höhe und der Schwefel-Geruch der Fumarolen erschweren Atmung und Aufstieg. Ich gönne mir eine kleine Pause, ehe ich mich auf der Südostflanke dem Gipfel nähere, der ja keine schroffe Alpen-Spitze ist, sondern sich oben öffnet: in einen ockerfarbigen Krater.

Der Rote Natternkopf.

Der Rote Natternkopf.

In der Entstehungsgeschichte der Erde entsprechen ein paar Jahrhunderte nur einem Wimpernschlag. Und so liegen die letzten großen Ausbrüche des Teide ­­nur nach menschlicher Zeitrechnung schon lange zurück: Ende des 15. Jahrhunderts und 1706, als die Ortschaft Garachico im Nordwesten, damals der wichtigste Hafen der Insel, komplett zerstört wurde, sowie 1798 und 1909. Bis heute gilt der Teide als nicht erloschen. Er grummelt manchmal. Aber er spuckt nicht … Der Druck reicht nicht aus, um Magma an die Erdoberfläche zu bringen. Denn der Teide ist eigentlich viel höher als der Teil, den man sehen kann. Vermessen wird er mit insgesamt 6718 Metern, was bedeutet, dass sein Sockel 3000 Meter unterhalb des Meeresspiegels liegt.

Humboldt brauchte fünf Tage

Da geht’s rauf: Autor Jochen Müssig hat den Teide im Blick.

Da geht’s rauf: Autor Jochen Müssig hat den Teide im Blick.

Dann ist es soweit: Ein paar Schritte noch, dann bin oben! Ganz oben! Auf 3718 Metern! Dem Himmel so nah! Geschafft! Ganz leise dringt der Wind in mein Ohr. Er pfeift nicht, er weht nur sanft. Aber wenn man dieses Lüftchen hören kann, wenn nur wenige Menschen zu sehen sind, wenn man die Erde riechen und den Boden trotz dicker Wanderschuhe fühlen kann und wenn dann auch noch die Brotzeit aus dem Rucksack besser schmeckt als jedes Sterne-Gericht, dann läuft was richtig. Jetzt verweilen. Jetzt genießen.

Vater Teide: mit 3718 Metern Höhe ...

Vater Teide: mit 3718 Metern Höhe …

Der Weltreisende und Wissenschaftler Alexander von Humboldt brauchte fünf Tage, um Vater Teide zu besteigen. Schritt für Schritt. Blick für Blick. Damals, 1799, fand Humboldt nicht einmal einen Führer, was ihn aber nicht sonderlich verwunderte: Schließlich kenne er Bewohner der Stadt Schaffhausen, die den Rheinfall auch noch nie aus der Nähe gesehen hätten. Soll er gesagt haben … Bis auf wenige moderne Errungenschaften, wie Straße, Seilbahn oder Parador, hat Humboldts Beschreibung des Teide und seiner Umgebung bis heute Bestand. Das alles geht mir durch den Kopf und immer wieder mein Schnippchen: Einen Fast-Viertausender besteigen ohne Bergsteiger zu sein? Wo gibt es das schon auf der Welt? Auch wenn die Seilbahn die Kernerarbeit gemacht hat – deshalb: Berg besteigen statt Bergsteigen … – ist das Gefühl grandios! Und die Aussicht erst recht: Der Blick auf die Mondlandschaft der Caldera von Las Cañadas ist sensationell. Bis zu 500 Meter tief fallen die Wände ab. Der Teide ist auf 17 Kilometern Länge komplett von der Caldera umschlossen. Bizarre Felsformationen und – abgesehen von den Roten Natternköpfen – ein äußerst spärlicher Bewuchs kennzeichnen diese mondähnliche Landschaft, die vor rund 500.000 Jahren entstanden ist. Der Montaña Blanca ist zu sehen, die merkwürdigen Gesteinsformationen und Felsnadeln von Los Roques und gleich daneben Los Azulejos mit grünlich gefärbtem Gestein.

Bequemer geht’s nicht

... Spaniens höchster Berg.

… Spaniens höchster Berg.

Auf Teneriffa ist der Teide fast von jedem Fleckchen Erde zu sehen. Und so sieht man von oben auf fast jedes Fleckchen Teneriffa. Mein Blick geht aber noch weiter: hinaus aufs endlos weite Meer und auf die Nachbarinseln. Im Westen mache ich die Schwesterinseln La Palma, El Hierro und La Gomera aus, im Osten Gran Canaria, Fuerteventura und Lanzarote. Unvergleichlich! Das kann kein Alpen-Gipfel bieten. Und nicht einmal ein Gleitschirmflug, denn der höchste Startplatz der Insel liegt auf 2300 Metern Höhe.

Aber die Alpen waren nötig, damit der Teleférico del Teide gebaut wurde. Ein gewisser Herr Andrés de Arroyo y González de Chávez war bei seinen Reisen nach Deutschland und in die Schweiz besonders von den Seilbahnen und den wunderbaren Ausblicken beeindruckt. Nach seiner Rückkehr setzte er sich nachdrücklich dafür ein, auch am Teide eine Seilbahn zu bauen, die allen Besuchern den Aufstieg möglich machen konnte. Das war 1929. Auch wenn die Jungfernfahrt nach achtjähriger Bauzeit letztlich erst am 18. Juli 1971 stattfand, gilt Andrés de Arroyo y González de Chávez als Vater der Teleférico del Teide. Und genau dieser Teleférico del Teide bringt mich am Nachmittag in acht Minuten wieder hinunter zu meinem Auto … Bequemer geht’s nicht.

Informationen

Anreise: Condor fliegt von mehreren deutschen Städten nonstop nach Teneriffa (www.condor.com). Über die Landstraße TF-21 kommt man zur Talstation (km 43); dort kostenfreie Parkplätze. Mit Buslinie 348 ab Playa de Las Américas oder Puerto de La Cruz, 9.15 hin und 15.30 bzw. 16 Uhr zurück (www.titsa.com). Seilbahn tgl. 9-17 Uhr (www.volcanoteide.com/de/teide_seilbahn/preise_und_oeffnungszeiten)

Reisezeit: Zum Wandern Ostern bis Oktober, wenig Regen, Temperaturen 5-20 Grad am Berg, Vorhersage und Webcam: www.volcanoteide.com/de/so-sieht-es-heute-auf-dem-teide-aus

Wandern: Mehrere Monate im voraus die Genehmigung für die Gipfeltour einholen: www.reservasparquesnacionales.es. Außerdem 12 markierte Wege, 3-15 km lang, die nicht verlassen werden dürfen (pico-del-teide.com/wandern-teide-nationalpark.html)

Übernachten: Refugio „Altavista“ auf 3270 m, 54 Schlafplätze, (teleferico@telefericoteide.com). „Parador de las Cañadas del Teide“, höchstgelegenes Hotel der Kanaren auf 2200 m in Seilbahnnähe, Pool, Restaurant, Spa, Gym (www.parador.es). An der Küste: „Ritz-Carlton Abama“, die Nr. 1 auf der Insel an der Westküste, zum Strand fährt eine Seilbahn … 10 Restaurants, 7 Pools, Top-Spa, Tennis- und Golfplatz (www.ritzcarlton.com).

Essen & Trinken: Die Speisen im „Parador“ (s. o.) sind durchschnittlich. Gute Landküche im nahen Vilaflor auf 1400 m gibt’s im „Fuente Hermano Pedro“ auf dem Dorfplatz (Piazza Obispo, Tel. 922/70 93 60).

Weitere Infos: Centro de Visitantes de El Portillo mit Museum und Nachbildung des Inneren eines Vulkantunnels, Carretera TF-21, km 32,1, tgl. 9-16 Uhr, Tel. 922/92 23 71, www.webtenerife.com und www.volcanoteide.com

Raushier-Reisemagazin

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