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Sagres: Erholung am Kap der 50 Küsten

Am äußersten Ende Europas, dort wo Westen und Süden aufeinanderstoßen, wartet die portugiesische Region Sagres darauf, entdeckt zu werden. Ihr gemächlicher, noch stark von der Natur bestimmter Rhythmus tut gut. Mit Sport, herrlicher Ruhe und mystischen Entdeckungen sind die Energiespeicher im Nu wieder aufgetankt.

Kapitän Vitor Miguel do Sacramento Lima von der Estrella do Rio, Foto: Heiner Sieger

Kapitän Vitor Miguel do Sacramento Lima von der Estrella do Rio, Foto: Heiner Sieger

Seit fast 40 Jahren fährt Kapitän Vitor Miguel do Sacramento Lima von der Estrella do Rio nun schon zur See. Zuerst diente er bei der portugiesischen Navy, dann schipperte er für BP Öltanker über die Weltmeere und war 1. Offizier auf Kreuzfahrtschiffen. „In diesem Jahr sollte ich wieder einen Öltanker nach Nigeria fahren“ erzählt der 54-Jährige. „Aber ich habe beschlossen, den Kopf frei zu bekommen und einmal etwas zu tun, was Geld bringt und auch noch Spaß macht.“  Jetzt fährt er mit einem knallgelben, zum Touristenboot – inklusive Bar und Sonnendeck – umgebauten Fischkutter, ein bis dreimal täglich Urlauber zu den schönsten Klippen, Höhlen und Buchten an der wildromantischen Küste.

Amado: Surferparadies an der Algarve, Foto: Heiner Sieger

Amado: Surferparadies an der Algarve, Foto: Heiner Sieger

Den Kopf frei bekommen, sich erholen, die Seele baumeln lassen, dafür ist die portugiesische Region Sagres so gut geeignet wie kaum eine andere – nicht nur für Einheimische. Hier unten, am südwestlichsten Ende Europas und der „Alten Welt“, ticken die Uhren noch ein wenig langsamer, ist der Lebensrhythmus noch gemächlicher, sind die Menschen gelassener. Viele Bewohner dieses Landstriches haben ihre Ursprünglichkeit bewahrt und widmen ihr Leben nach wie vor dem Meer und dem Land. Sie nutzen den ökologischen Reichtum der Region und produzieren als Fischer oder Bauern die Basis für die kulinarische Vielfalt der heimischen Gastronomie.

Der Naturpark Costa Vicentina – eine einzige betörende Zone

Blütenpracht im Naturpark Capo Vincente: Kräftige Farben, herrliche Düfte. Foto: Heiner Sieger

Blütenpracht im Naturpark Capo Vincente: Kräftige Farben, herrliche Düfte. Foto: Heiner Sieger

Vor allem deshalb zeigt sich die Natur in dieser kaum beachteten Ecke der Algarve in ihrer ganzen Pracht. Der Naturpark „Costa Vicentina“ beherbergt auf 76.000 Hektar mehr als 100, teils sehr seltene und nur noch hier anzutreffende Pflanzen, sowie eine bedeutende Zahl an Tierarten, darunter Luchse, Füchse und Wildkatzen. Die bunten Sträucher, Blumen und Blüten sind mit ihren Farben und ihrem Duft eine einzige betörende Zone. Gleichzeitig bietet der Naturpark Schutzraum für mehr als 300 Vogelarten und ist im Frühjahr und im Herbst Ruhe- und Rückzugsraum für Millionen von Zugvögeln auf ihrer Reise. Er ist weltweit der einzige Ort, wo der Weißstorch in den Felsen der Steilküste nistet. Löffelreiher, Bonelli-Adler, Rotschnabel-Krähen und Felstauben sind hier ebenfalls anzutreffen. Jedes Jahr im September findet im Park das „International Birdwatching Festival“ statt.

Das Meer ist nicht nur sauber und kristallklar. Sondern wegen seiner Nährstoffhaltigkeit auch enorm fischreich – ein Glücksfall für die heimische Küche, weiß Kapitän Vitor Miguel. Während der Küsten-Fahrt zeigt er auf einige klobige Boote: „Die kommen von den Austernreusen ein bisschen weiter draußen. Viele französische Austernzüchter setzen ihre jungen Austern hier aus und ziehen sie in dem planktonreichen Wasser auf. Dann bringen sie diese nach Frankreich, setzen sie dort noch einmal kurz im Wasser aus und verkaufen sie anschließend als hochwertige französische Austern.“ Wie die Austern gedeihen auch Miesmuscheln und Spirulina-Algen im frischen Atlantikwasser bestens.

Entdeckungstour zwischen Klippen und Stränden

Hierher finden nur Eingeweihte und Kenner der Region: Restaurant Al Sitio o Forno: Foto: Heiner Sieger

Hierher finden nur Eingeweihte und Kenner der Region: Restaurant Al Sitio o Forno: Foto: Heiner Sieger

Die Postkarten-Strände von Lagos, Portimao, Lago und Albufeira sind nur 30 bis 70 Kilometer entfernt. Doch Sagres kann mithalten: Mehr als 50 Küsten mit blauer Flagge liegen östlich und nördlich des 2500-Einwohner-Ortes. Welche davon die Schönste ist, lässt sich schwer sagen. „Am Besten, man findet es selber heraus“, empfiehlt Thomas Berendonk. Vor mehr als zehn Jahren hatte sich der IT-Experte aus Deutschland hierher zurückgezogen, um den Stress hinter sich zu lassen und den Kopf frei zu bekommen. Dabei hat er sich in das Fleckchen Erde verliebt und ist mitsamt Ehefrau einfach hier geblieben. Sein Tipp: „An den Küstenstraßen, die von Sagres wegführen, kann man jede Abzweigung Richtung Meer nehmen. Das ist richtig spannend. Denn etwas Schönes findet man immer. Versteckte, einsame Strände und Felsküsten; oder man kommt an einer hohen Klippe raus. Von überall hat man einen fantastischen Blick und mit ein wenig Glück findet sich auch ein tolles Restaurant.“

Anna Rodriguez kocht eine ganz spezielle Cataplana, Foto: Heiner Sieger

Anna Rodriguez kocht eine ganz spezielle Cataplana, Foto: Heiner Sieger

So wie das „Al Sitio o Forno“ beim Dörfchen Carrapateira an der Straße Richtung Aljezur. Ein paar Kurven entfernt vom Surfer-Paradies und Postkarten-Motiv Amado-Beach oben auf einem Felsvorsprung gelegen, kann man hier zu vergleichsweise kleinen Preisen großartige Fischspezialitäten bestellen. Dazu gehören mit Sicherheit die „Percebes“. Die Muscheln mit dem gewöhnungsbedürften Aussehen von urzeitlichen Entenfüßen sind eine heimische Delikatesse und gedeihen nur in den Klippen. Sie zu ernten bedarf äußerster Geschicklichkeit, da viele Stellen nur zwischen den Wellengängen erreichbar sind.

Unbedingt bestellen sollte man hier eine „Cataplana“ – ein portugiesisches Nationalgericht, für das jeder heimische Koch sein eigenes Rezept hat. Nach der Art von Mama Anna Rodriguez im Al Sitio o Forno ist sie mit Reis, Tomatensoße sowie viel frischen Muscheln und Fisch zubereitet. Zu den Spezialitäten der Region zählen auch Massa de Peixe – Nudeln mit Fisch sowie Moreia Frita – frittierte Moräne – wie aller Fisch hier, fangfrisch aus dem Atlantik. Fleischgerichte sind eher selten. Außer zur Jagdzeit von Oktober bis Dezember. Dann bereichern vielfältige Gerichte von Wildschwein, Truthahn, Wachteln, Hasen und Kaninchen die Speisekarte.

Resort Martinhal – Streicheleinheiten für die Seele

Das Resort Martinhal liegt in einer wunderschönen, fast karibisch anmutenden Bucht, Foto: Heiner Sieger

Das Resort Martinhal liegt in einer wunderschönen, fast karibisch anmutenden Bucht, Foto: Heiner Sieger

Die wenigen Touristen, die bislang nach Sagres finden, sind in der Regel Surfer und Kiter, die besonders die Melange aus Sonne, Wind, Wellen, Ursprünglichkeit und niedrigem Preisniveau schätzen. Doch das könnte sich bald ändern. Denn der Landstrich bietet vor allem der im Alltag vernachlässigten Seele zahlreiche Streicheleinheiten. Unterstützt wird das noch in der erst 2010 eröffneten Hotel & Resort-Anlage Martinhal, gelegen an der gleichnamigen, fast karibisch anmutenden Bucht direkt neben Sagres. Roman und Chitra Stern, selber Eltern von vier Kindern zwischen zwei und zehn Jahren, leben hier einen Traum. Und gehen dafür ein hohes Risiko ein. Mit einer Investition von rund 80 Millionen Euro haben die beiden früheren Unternehmensberater ein außergewöhnliches und zur Region passendes Ferien-Konzept entwickelt.

Britische Top-Architekten haben die Häuser im resort Martinhal entworfen: Foto:Heiner Sieger

Britische Top-Architekten haben die Häuser im Resort Martinhal entworfen, Foto: Heiner Sieger

Was der Naturpark für die Zugvögel ist, soll die Anlage für erholungssuchende Paare und Familien sein: Ein Rückzugsort, an dem sie in aller Ruhe frische Energie tanken können. Rund um das auf einer kleinen Anhöhe erbaute Boutique-Hotel gruppieren sich in der weitläufigen parkähnlichen Anlage wohnliche Ocean-, Bay- und Gardenhouses, luxuriöse Villen, drei Restaurants, fünf große Swimmingpools, Fitness-Club, Spa sowie Betreuungs- und Unterhaltungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche. Ein Fünf-Sterne- Familiendorf mit angeschlossenen Wellness- und Sporteinrichtungen sozusagen. „Wir wollten ein Refugium schaffen, an dem sich Paare und Familien zurückziehen und wertvolle Zeit miteinander verbringen können“, so der gebürtige Schweizer Roman Stern. Deshalb haben fast alle Wohnungen eine großzügige amerikanische Küche, ein geräumiges Wohnzimmer sowie Terrasse und Veranda, einige sogar auch eigene Pools.

Natur-Ausflüge statt Animation

Ocean-House in Martinhal: Wohnliche Einrichtung und Meerblick; Foto: Heiner Sieger

Ocean-House in Martinhal: Wohnliche Einrichtung und Meerblick; Foto: Heiner Sieger

Die Anlage wirkt wie ein Gegenentwurf zu den noblen All-Inclusive-Clubs à la  Aldiana oder Robinson. „Im Club wird alles daran gesetzt, die Gäste dort den ganzen Tag über zu unterhalten“, so Roman Stern. „Wir bieten die Basis, damit die Familie während ihres Urlaubs zusammen eine gute Zeit hat und von hier aus die wunderschöne Natur der Algarve erkunden kann“. Im kleinen Supermarkt am Dorfplatz gibt es alles für ein zünftiges Familienfrühstück oder ein leckeres Mittag- oder Abend-Menü. Frühstück, Halb- oder Vollpension können die Gäste aber wahlweise auch zur Wohnung hinzu buchen.

Eine allgegenwärtige Animation gibt es jedoch nicht. Stundenweise bietet die Anlage sowohl Kinderbetreuung als auch ein kleines Unterhaltungs- und Fitnessprogramm – deren Schwerpunkt ebenfalls auf der Familie liegt: Familien-Fußball, Familien-Padeltennis, Familien-Triathlon. Darüber hinaus können sportliche Zeitgenossen sich auf vielfältige Art austoben: Joggen am Strand und durch die Dünen und den Nationalpark, Wandern, Walken, Radfahren, Surfen, Body-Boarding, Kat-Segeln, Kajak fahren, Paragliden, Golfen, Schwimmen, Tauchen, Reiten, Tennisspielen, Klettern, Yoga. Damit auch die Großfamilie sich einen gemeinsamen Urlaub leisten kann, erhalten Großeltern einen Rabatt von 30 Prozent, Urgroßeltern sind sogar frei.

Magische Erlebnisse und mystische Orte

Frühaufstehern bietet die Anlage trotzdem eine kostenlose Show: den magischen Sonnenaufgang über dem Meer. Da die Region mit 350 Sonnentagen pro Jahr gesegnet ist, lässt sich das Schauspiel fast täglich bewundern. Wer es morgens nicht schafft, fährt am Abend zum Sonnenuntergang nur ein paar Kilometer weiter zum Kap São Vicente. Hier wirft nicht nur der 170 Jahre alte und wichtigste Leuchtturm Europas sein Licht über die Klippen hinaus, hier reflektiert sich die untergehende Sonne in der Weite des Meeres und wirft ein unvergleichlich goldenes Licht auf die Steilküste am Kap.

Aber auch sonst bietet die Region jede Menge mystische und geheimnisvolle, ergreifende und begeisternde Ausflüge, Plätze und Entdeckungen. Wer sich – etwa per Tret- oder Segelboot, der einzigen sichtbaren Insel in der Martinhal-Bucht nähert, wird überrascht bemerken, dass nicht nur eine, sondern vier hintereinander aufgereihte Inseln dem Atlantik trotzen. In Vollmondnächten scheint die Insel in einem quasi blühenden Licht zu stehen – eine magische Aura umgibt sie. Nur wenige Meilen von der Küste entfernt, lassen sich von einem Boot aus die spielenden Delfine von Sagres bewundern. Ein Erlebnis, dass nicht nur Kindern ans Herz geht.

Die Seefahrerschule – Startrampe für die Globalisierung

Am Kap San Vicent pfeift der Wind: Ältester Leuchtturm Portugals am äußersten Eck Europas, Foto: Heiner Sieger

Am Kap San Vicent pfeift der Wind: Ältester Leuchtturm Portugals am äußersten Eck Europas, Foto: Heiner Sieger

Im Dienst der englischen Königin Elizabeth I. führte im 16. Jahrhundert der Weg des berüchtigten Freibeuters Sir Francis Drake, genannt „El Drago“, oft an Sagres vorbei, so auch 1580 auf der Rückfahrt von seiner dreijährigen Weltumseglung. Spuren seiner geheimen Passagen, wohin er mit all den von anderen Schiffen erbeuteten Schätzen floh, lassen sich noch heute finden. Nicht von Drachen, aber von Dinosauriern aus der Zeit von vor rund 150 Millionen Jahren, sind die versteinerten Fußspuren, die sich in den Felsen am Strand von Salema, einem Nachbarort von Sagres entdecken lassen.

Mindestens so ergreifend ist der Anblick der gewaltigen Menhire, Obelix-Freunden auch als Hinkelsteine bekannte, drei bis fünf Meter hohe Kultsteine aus der Zeit um 3000 bis 5000 vor Christus. Die schönsten Exemplare sind auf dem Monte dos Amantes, dem Berg der Liebenden, zu finden. Auf der Autofahrt dorthin lohnt sich ein Zwischen-Stopp an der Eco-Karting-Anlage. Zu Zweit mit den Segel-Karts über die Sandpiste zu rauschen, angetrieben nur vom Wind des Atlantiks, ist ein seltenes sportliches Erlebnis.

Die geheimnisumwitterte Seefahrerschule von Heinrich dem Seefahrrer ist noch immer ein mystischer Ort, der viele Fragen offen lässt, Foto: Heiner Sieger

Die geheimnisumwitterte Seefahrerschule von Heinrich dem Seefahrrer ist noch immer ein mystischer Ort, der viele Fragen offen lässt, Foto: Heiner Sieger

Richtig ergreifend ist ein Besuch in der alten Festung von „Heinrich dem Seefahrer“. An diesem geschichtsträchtigen  Ort pfeift einem nicht nur der raue Atlantik-Wind kräftig um  die Nase. Sondern es fährt auch der Schauer der Geschichte über den Rücken. Mit keiner Person ist die Region so stark verbunden wie mit dem nautischen Vorfahren von Kapitän Vitor Miguel. Auf der weit in den Atlantik vorgeschobenen Seezunge liegt, umtost von wildem Wasser, das mehr als 500 Jahre alte Relikt aus einer Zeit des Aufbruchs und des Völkermords. Es umfasst die Festung, den Festungsturm – und die geheimnisvolle Windrose der wissenschaftlichen Einrichtung. Das ist ein in den Boden der Festung eingelassener enormer Kreis mit einem Durchmesser von 43 Metern und mit Sicherheit der rätselhafteste und esoterischste Mittelpunkt damaliger Intrigen und Kontroversen. Hier startete der Infante von Sagres im 15. Jahrhundert die bis heute andauernde Globalisierung unserer Gesellschaft mit der Erschließung der afrikanischen Küsten zwischen Marokko und Nigeria und begann den einträglichen Sklavenhandel. Prinz Heinrichs angebliche Schüler, Christopher Columbus, Ferdinand Magellan und Vasco da Gama, entdeckten nach ihm den Rest der Welt – und legten die Grundsteine für die heutige Weltordnung.

Raushier-Reisemagazin

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