Wenn der Leiter des Römermuseums von Obernburg am Main in die Rolle eines Schreibers des Benefiziariers schlüpft, dann ist der „Römer“ in seinem Element. Denn Eric Erfurth, so heißt die antike Bürokraft mit bürgerlichem Namen, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Besucher seiner Stadt die römische Kultur nahe zu bringen. Schließlich hat die Stadt mit ihren knapp 9000 Einwohnern eine Geschichte zu erzählen, die in die Jahre 107 bis 260/275 nach Christi zurückgeht. Benefiziarier waren in der Römerzeit oberste Verwaltungsbeamte des Statthalters des Kaisers.
Viele Spuren hinterlassen
Hier am Main, zwischen Odenwald und Spessart, versahen zirka 500 römische Soldaten in einem Kastell (Militär- und Truppenlager) ihren Dienst, siedelten Zivilisten mit ihren Familien rund um die „Wehranlage“.
Man kann sich das Leben dort wie in einem Dorf („vicus“) vorstellen mit Schänken, Gastwirtschaften, Handwerksbetrieben, Handel-Treibenden. Sogar Bordelle soll es gegeben haben.
Fundstücke von herausragender Bedeutung
Sie alle haben natürlich mannigfaltige Spuren hinterlassen. Mikrosubstanzen von Essensresten (u.a. Knochen) bis hin zu Urinspuren und Leichenbrand konnten im Boden nachgewiesen werden. Auch war es nicht verwunderlich, dass Fundstücke von herausragender Bedeutung freigelegt wurden, die über das Leben und die Infrastruktur der damaligen Zeit Zeugnis ablegen. Zahlreiche Denkmale prägen das Stadtbild.
Obernburg (Landkreis Miltenberg) war ein römischer Garnisonsort inmitten der heutigen mittelalterlichen Altstadt; das Kastell gehörte zur Mainlinie des Obergermanisch-Raetischen Limes, ist heute vollständig überbaut und zählt zum UNESCO-Welterbe. Ob die Römer allerdings ihre Speisen in Römertöpfen zubereitet haben und sich an Erdbeer-Limes labten, ist unerforscht.
Unter einer dicken Lehmschicht
Wurde Pompeji nach einem verheerenden Vulkanausbruch des Vesuvs im Jahr 79 nach Christi unter einer meterhohen Asche- und Bimsschicht begraben, so versank das antike Obernburg unter einer dicken Lehmschicht, die, ähnlich wie in Pompeji, dafür sorgte, dass das vergangene Leben nicht ganz ausgelöscht wurde und viele seltene Spuren erhalten und konserviert blieben.
Bis zum heutigen Tage, beginnend im Jahr 1884, als die ersten archäologischen Ausgrabungen getätigt wurden, erblicken immer wieder gut bis sehr gut erhaltene Römerschätze das Tageslicht – und erstaunen Fachwelt sowie in- und ausländische Besucher.
Einmalige Benefiziarierstation
Ganz besonders stolz sind die Obernburger auf eine Benefiziarierstation, die zwischen den Jahren 2000 und 2007 freigelegt wurde und eine Sensation ist. Diese Grabung gilt in ihren Ausmaßen von 26 x 47 Metern als einmalig im römischen Reich.
Für die Ansiedelung der Römer im heutigen Obernburg war der Main der ausschlaggebende Faktor, galten doch Flüsse in der Frühzeit als Autobahnen für schwere Lasten wie Baumstämme oder Steine, die in der Folge be- und verarbeitet wurden; in der Maingegend wurden vorwiegend die hier vorkommenden Ressourcen wie Holz und Buntsandstein transportiert.
Lucius Petronius Florentinus
In der Altstadt trifft man auf Schritt und Tritt auf sehr gut erhaltene Überreste der antiken römischen Zeitreise wie steinerne Monumente mit aussagekräftigen und aufschlussreichen Inschriften. Außergewöhnlich ist ein winkelförmiger Zinnenstein der Kastellmauer am Rosengarten bei der Kochsmühle. Überaus bedeutend ist ferner auch der Weihestein, der auf das Wirken des Präfekten (Befehlshaber des Kastells), Lucius Petronius Florentinus, ab dem Jahr 192 hinweist. Die Inschrift des Steines lautet: „Jupiter, dem besten und größten Gott. Lucius Petronius Florentinus, geboren in Saldae, Präfekt der berittenen IV. Aquitanischen Kohorte römischer Bürger, hat das Gelübde gerne und freudig erfüllt.“
Ein Weihestein ist ein Stein, in den eine Weih-Inschrift an Gottheiten, Könige oder hochrangige Persönlichkeiten eingemeißelt wurde.
Jupitergigantensäule
2015 wurde unter einer dicken Lehmschicht die erste komplett erhaltene Jupitergigantensäule in Bayern ausgegraben – ebenso eine einmalige Fundsache. Sie steht als Replik in der Römerstraße 3. Auch Grabsteine und tönerne Scherben nebst Asche der Bestatteten, Reste von Opferbeigaben und Inhaltsspuren aus den Opfergefäßen wurden gefunden.
Als im Jahr 1996 in einer Baugrube durchsichtige Glasscherben zu Tage traten, erwiesen sich diese als Teile einer kostbaren Glasschliffschale. Sie stellt auch wegen ihrer prächtigen Gravuren ein rares Stück römischen Kunsthandwerks dar und thematisiert Opfer und Erlösung durch Jesus Christus. Sie ist in der Archäologischen Staatssammlung München aufbewahrt, und wird nicht – zum Verdruss von Eric Erfurth, dem Leiter des Obernburger Römermuseums – vor Ort präsentiert, wo die Schale eigentlich hingehört.
Das Römermuseum
Im Römermuseum ausgestellt sind unter anderem Benefiziariersteine, Reliefs, Opfergefäße, Geschirr, Tischgedecke, Accessoires der Kleidung, Münzen, Schreibutensilien sowie ein Modell des Kastells und des Lagerdorfes.
Wenige Teilstücke der Altstadt bestehen aus antiken Römerstraßen, die freigelegt wurden. Interessant: die Hauptstraße Obernburgs, die Römerstraße, entspricht der Via Principalis, der Hauptstraße des Kastells und des zivilen Standortes.
Informationen
Tourist-Information, Römerstraße 62-64, 63785 Obernburg am Main, Tel.: (06022) 61 91 17; E-Mail: mail@obernburg.de
Römermuseum Obernburg, 63785 Obernburg am Main, Römerstraße 62-64, Tel.: (06022) 61 91 0; E-Mail: mail@obernburg.de