Meine Wohnsituation in Granada ist eine ganz besondere. Ich lebe inmitten der Altstadt El Albaicín, die unter Schutz der UNESCO steht. Weiße Häuschen drängen sich dicht aneinander, vor vergitterten Fenstern hängen Tontöpfe mit bunten Geranien. Das ein oder andere halboffene Tor erlaubt einen Blick auf die typischen, reich bepflanzten andalusischen Innenhöfe. Zwischen den Häusern winden sich Gassen den Hang hinauf; die zu Mustern gesetzten Steine glänzen in der Sonne, seit Jahrhunderten nutzen die Füße der Bewohner dieses Viertels die Oberfläche ab. Jasmin und Bougainvillen drängen sich über Geländer und Mauern, hier ticken die Uhren anders: El Albaicín, das ist das Dorf in der Stadt.
Nun gehöre ich zu den Leuten, die das Glück haben, über eine Dachterrasse zu verfügen. Von hier oben aus blicke ich geradewegs auf die Alhambra, das Wahrzeichen aus den arabischen Zeiten der Stadt. Zwischen der Alhambra und mir ragt ein Kirchturm auf, regelmäßig komme ich in den Genuss eines Glockenkonzerts. Und wenn die Glocken schweigen, höre ich die Vögel um mich herum zwitschern. Ab und zu rauscht ein Motorrad unten am Haus vorbei, doch das Geräusch lässt sich ausblenden.
Was die Situation des Hauses, in dem ich wohne, letztendlich jedoch erst ganz speziell macht, das ahnt man erst nach einiger Zeit hier oben, auf dieser Dachterrasse. Obwohl es einen ersten Hinweis schon in der Gasse gibt, auf dem Schild vor dem Haus, auf dem steht: >1,8m<. Die Einbahnstraße verengt sich direkt vor meiner Haustür und immer wieder werde ich Zeuge, wie Autofahrer hier verzweifeln. Gut, nicht alle. Die Taxifahrer passieren blind. Dann gibt es eine zweite Kategorie, die Bewohner des Viertels, die mit Vorsicht aber sicher durch das Nadelöhr kommen. Und dann gibt es diejenigen, die aus Versehen in das für den gewöhnlichen Straßenverkehr gesperrte Altstadtviertel gelangt sind oder jene, die nur ausnahmsweise mal durchfahren. Zu erkennen sind sie leicht, und dass, obwohl ich sie von meinem Posten auf der Dachterrasse nicht sehen kann, da ein Mauervorsprung einen direkten Blick auf das Geschehen verhindert: Bremsen. Rückwärtsgang. Gelegentlich werden Seitenspiegel eingeklappt.
Beifahrertür auf, Beifahrertür zu. „Ein Bisschen weiter nach rechts, ein Bisschen noch, ein Bisschen, stopp, stopp, STOPP!! Lenkrad grade!“. Die Stimme des Beifahrers wird mit jedem Wort eine Oktave höher. Manchmal gibt es ein fieses Kratzgeräusch und danach einen entsprechenden Fluch, der zu mir auf die Terrasse hochschwebt: und wieder einer, der sich wünscht, mit dem Auto nicht hier gelandet zu sein.
Ehrlich gesagt sitze ich auf meiner Terrasse und lächle in mich hinein, dasselbe Ritual wieder und wieder – aber muss das eigentlich sein? Müssen wir unsere immer größer werdenden Autos bis hinein in die kleinsten und ältesten Stadtteile zwängen? Wäre meine Gasse doch bloß stufig, wie so viele andere, oder einfach noch ein Bisschen schmaler… Es wäre allen geholfen: den Nerven der Autofahrer, dem Lack der teuren Fahrzeuge und nicht zuletzt dem Putz meiner Hausfassade.
Einer Sache hier können sich die Autofahrer, egal ob Urlauber von Außerhalb oder Spanier, allerdings sicher sein: es gibt immer jemanden, der gerade auf seiner Dachterrasse sitzt oder das Haus durchlüftet, der sich insgeheim ein Bisschen lustig macht – wieso nicht einfach mal zu Fuß versuchen?
In diesem Sinne herzliche Grüße von Balkonien.