Gigantische Wellen lockten nach Nazaré. Die mit etwa 30 Metern größte Welle der Welt wurde dort 2011 fotografiert und ins Guinness Book of World Records aufgenommen. Etwas kleiner sollten die Wellen schon sein. Denn unsere Surf-Fähigkeiten waren bescheiden und die Angst vor großen Wellen war beträchtlich. Als wir in Nazaré eintrafen, gab es allerdings nur eine einzige Welle, die kurz vor dem Strand umschlug. Dafür bestand der Strand aus allerfeinsten Sand, war kilometerlang und viele Meter breit. Damit der angespülte Sand nicht allzu sehr in die Höhe wuchs, schoben ihn zwei Planierraupen tagtäglich zurück ins Meer.
Das Geräusch der Raupen war nur in der Nähe zu hören, ansonsten war es in Nazaré eher ruhig in der Vorsaison. Es sei denn, Touristenbusse passierten die Strandpromenade, um Fahrgäste auszuladen in der Stadtmitte oder am Farol da Nazaré, der auf einer vorspringenden Klippe steht und einen herrlichen Blick erlaubt auf Nazaré und nach der vierzig Kilometer südlich gelegenen Stadt Peniche mit den vorgelagerten Inseln. Wahrscheinlich wurde vom Farol da Nazaré mit einem Teleobjektiv das legendäre Foto von der größten Welle geschossen. Wäre die Welle an dieser Stelle aufs Land getroffen, hätte sie den Fotografen fort gespült und mindestens das Steinkreuz weggerissen, das hier steht zur Erinnerung an Vasco da Gama (um 1469-1524), einen frühen Besucher Nazarés und den Entdecker des Seewegs um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien.
Unrühmliche Vergangenheit als Gefängnis
Das Fortaleza de Peniche hat eine unrühmliche Vergangenheit als Gefängnis während der Zeit Salazars (1889-1970), dem klerikal-faschistischen Diktator. Seitdem die Festung umgebaut wird zu einer Erinnerungsstätte für die unter Salazar und seinem Nachfolger Caetano (1906-1980) Inhaftierten, wirken die Gebäude solange nicht abschreckend, bis man die vielen Namen der Opfer auf einer riesige Eisentafel am Eingang entdeckt. Diese Tafel ist augenblicklich noch das Einzige, was auf die künftige Erinnerungsstätte hinweist.
Um etwas für den Körper zu tun, lockte in Nazaré ein Thermalbad mit allerhand Anwendungen, die der Gesundheit dienen sollen. Eine Massage unter warmen Meerwasser war sowohl entspannend wie anregend und machte Schwimmen oder Baden im Atlantik vergessen. Danach waren die Schönheiten und Welterbestätten der Umgebung angesagt.
Wenige Kilometer landeinwärts von Nazaré liegt die Abtei Santa Maria. Allein ihre Größe versetzt in Erstaunen, vor allem das Hauptschiff der Kirche. Es ist das längste in Portugal. Doch trotz der Größe wirkt die Kirche leicht und transparent. Einen Höhepunkt der Steinmetzkunst bilden in den Querschiffen die Gräber von Dom Pedro I. und Ines de Castro. Beide verbindet eine grausige Geschichte.
Schauerlichen Prozession mit toter Geliebten
1340 verliebte sich der Thronfolger Dom Pedro unsterblich in die wunderschöne Inès aus Galicien. Der Vater und der portugiesische Adel fürchteten galizischen Einfluss und ließen Inès ermorden. Nach dem Tod seines Vaters exhumierte König Dom Pedro I. Inès‘ Leichnam, setzte sie auf den Thron und ließ den Hofadel die verweste Hand küssen. Die Herzen der Mörder verspeiste Pedro öffentlich und überführte in einer schauerlichen Prozession die tote Geliebte nach Alcobaca in die Abtei Santa Maria. Wohl als Anspielung auf Inès‘ Mörder werden die Särge der beiden Liebenden von fratzenhaften Fabelwesen getragen. An den Kopfenden hingegen werden verschiedene Episoden ihres gemeinsamen Glücks dargestellt. Inès und Dom Pedro liegen sich gegenüber, sodass sie sich am Tage der Auferstehung in die Augen schauen.
Die makabere Geschichte Dom Pedros und Inès‘ vergaßen wir rasch im Nationalen Weinmuseum von Alcobaca. Nach zahlreichen Kostproben verblassten selbst die Erläuterungen des kundigen Kellermeisters zu den Besonderheiten der lokalen Weine. Nach reichlich Wein meldete sich der Hunger auf eine portugiesische Spezialität: Bacalhau. Der getrocknete Kabeljau war uns schon in Nazaré begegnet. Auf Holzgestellen am Strand trocknete er neben anderen Fischen auf traditionelle Art in der Sonne. Auffällig waren besonders die Tintenfische, die sich mit ihren Tentakeln über ein ganzes Gestell ausbreiteten. Meist dunkel gekleidete Frauen mit den typischen Röcken boten den getrockneten Fisch an. Gekauft haben wir keinen, denn wir wussten nicht, wie man ihn zubereitet. Im Restaurant gibt es ihn auf verschiedene Weise: Etwa als Bacalhau com natas (mit Garnelen) oder als Bacalhau na brás (mit Kartoffeln, Ei und Reis). Einst war der Kabeljau ein preisgünstiger Fisch. Doch seit die Bestände vor der portugiesischen Küste stark zurück gegangen sind, ist der Preis für diese Nationalspeise erheblich gestiegen. Wobei die Angabe relativ ist, denn abseits der von Touristen frequentierten Orte bekommt man Bacalhau mit Vorspeise, Nachtisch und Espresso für weniger als 10,00 Euro.
Geisterstadt mit leerstehenden Räumen und blinden Schaufenstern
Das günstigste Menü fanden wir in Marinha Grande, Ort einer einst renommierten Glasindustrie. Jetzt stehen die Produktionsstätten leer und eine Glas-Route durch verschiedene Fabriken, wie in den Reiseführern avisiert, gibt es nicht mehr. Einige wenige Fabrikgebäude hat man zu einem kulturellen Zentrum mit Bücherei, Musikschule, Archiv und Museen umgewandelt. Wenige Schritte vom Palácio Stephens, dem Glasmuseum, entfernt finden sich zwei weitere Museen. Eins beschäftigt sich mit den Formen, in denen man früher Glas gegossen hat und heute Plastik formt.
Die Herstellung der Formen bildet heutzutage die Erwerbsquelle der Region. Neben dem Schauraum für die Formen befindet sich ein Kunstmuseum und gegenüber ein Theater. Für einen Ort mit 38.000 Einwohnern eine überraschende Fülle von Kulturbauten. Es scheinen reichlich EU-Mittel hierher geflossen zu sein, als Portugal Mitglied der Europäischen Union wurde. Allerdings nicht genug, um auch die Altstadt zu sanieren. Sie wirkt wie eine Geisterstadt mit leerstehenden Räumen und blinden Schaufenstern.
Von Nazaré ließ sich Marinha Grande auf einem gut ausgebauten Radweg erreichen, der größtenteils am Atlantik entlang führt und herrliche Aussichten auf das Meer gewährt. Der Ausblick zur Landseite hingegen ist erbärmlich. Tote Bäume, verbrannte Sträucher, soweit man sah. Trotz rigider Brandschutzbestimmungen ist gegen die häufigste Ursachen der Brände, Hitze und Trockenheit, nicht anzukommen. Die Monokultur der Bäume erhöht die Gefahr zusätzlich und durch Gedankenlosigkeit wie achtlos aus dem Autofenster geworfene Zigarettenkippen werden die Wälder zum Opfer der Flammen. Als wir die Landschaft durchquerten, hatte es zuvor geregnet, sodass wir einen Waldbrand nicht fürchteten. Aber der Gedanke ist schon bedrückend, in einer unbewohnten Gegend überrascht zu werden von Feuer, das keinen Halt macht vor Radwegen oder Straßen.
Welterbstätten von Tomar und Batalha
Ohne Schwierigkeiten erreichten wir die Welterbstätten von Tomar und Batalha. Das Castelo Templario e Convento de Christo in Tomar ist ein beeindruckender Bau und ein Meisterwerk der Manuelinik, einem Baustil benannt nach dem König Manuel I., der das Land zwischen 1495 und 1521 regierte. Also während der wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit Portugals, als durch die glorreichen Entdeckungsfahrten Reichtum ins Land kam.
Die Manuelinik überwand die Strenge der Gotik, war üppig und verspielt und arbeitete mit fantasievollen Ausschmückungen. Wie in Tomar so ist auch die Kirche Santa Maria da Vitoria in Batalha im Stil der Manuelinik gestaltet und damit ebenfalls ein Ausdruck des goldenen Zeitalters Portugals.
Den auf dem Weg nach Tomar liegenden Wallfahrtsort Fátima umfuhren wir weiträumig, um den zahllosen Pilgern auszuweichen. Selbst auf stark befahrenen Straße wanderten sie, meist mit einer gelben Weste versehen, Fátima entgegen. Manche schritten stracks voran, während andere ihrer Gruppe eher hinterher humpelten. Anfang Mai zieht es besonders viele Fromme nach Fatima, weil dort im Mai 1917 die Jungfrau Maria erschienen war. Die Erscheinung wiederholte sich nochmals im Juni, Juli, September und Oktober desselben Jahres.
Älteste Universität Portugals
Wir „pilgerten“ stattdessen nach Coimbra, der Stadt mit der ältesten Universität Portugals. Wir wollten die „Kathedrale für Bücher“ sehen. Prächtig, in mit Gold verzierten Räumen und einem Boden aus Marmor, sind in der Alten Bibliothek mehr als 250.000 Exemplare menschlichen Geistes von der Antike bis zur Gegenwart untergebracht. Ein Buch anfassen oder gar lesen, darf man allerdings nicht. Eingelassen in den Tempel des Geistes wird man auch nur zu festgesetzten Zeiten. Mitunter muss man länger warten. In der Zwischenzeit besuchen wir die Universitätskapelle Sao Miguel mit ihrer Orgel, den Sala dos Capelos mit den Porträts aller portugiesischen Könige und die Sala do Exame Privado, in dem die Bilder der Rektoren hängen. Ist immer noch Zeit, setzt man sich bei Sonnenschein auf die Stufen zur Kapelle und genießt den Blick auf die Altstadt Coimbras, den Botanischen Garten und den Fluss Mondego. Oder lässt die Zeit in Portugal Revue passieren: Man sehnt sich nach den Wellen in Nazaré, spürt das berauschende Klima am Atlantik, denkt an die Geschichte von Dom Pedro und Inès und erinnert sich an die Welterbestätten in Alcobaca, Tomar , Batalha und Coimbra. So viele Welterbestätten, so nahe beieinander hatten wir noch nie erlebt. Insgesamt mussten wir uns eingestehen: Portugal ist wesentlich mehr als Lissabon, Porto und die Algarve.
Fotos: Gisela Marzin