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Reisebuch: Der Sonne entgegen und über uns die Sterne

Die Sechziger- und Siebzigerjahre waren aufregend. Man suchte Bewusstseinserweiterung, die einen mit Marihuana und Haschisch, die anderen mit fernöstlicher Spiritualität. Man hatte die Nase voll von den Wohlstandsidealen der Eltern, war jung und neugierig und wollte wissen wie man jenseits des nationalen Horizonts lebt. Im Sommer 1975 starten Katrin und Klaus Mees in ihrem VW-Bus von München Richtung Osten, ausgerüstet mit Landkarten und kleinen maschinengeschriebenen, broschierten und selbstverlegten Reisefinformationen. Internet, Navi und Handy gibt es noch nicht. Ein Reisebuch.

Jeden Tag ändern sich die Landschaften und auch die Menschen. In Anatolien sehen sie, mit welchen mittelalterlichen Methoden in der Landwirtschaft gearbeitet wird. In Bagdad müssen sie vor der Willkür eines jähzornigen Polizeioffiziers kapitulieren. Sie lernen beim Tanken in Afghanistan, nicht mehr auf schlitzohrige Tricks hereinzufallen. Weglos kämpfen sie sich durch die nordafghanische Sandwüste, werden Zeugen einer mittelalterlichen Bestrafung. Erstaunt nehmen sie am Khyberpass zur Kenntnis, dass Handfeuerwaffen überall frei verkäuflich sind.

Auch Möglichkeiten der Bewusstseinserweiterung sind überall verfügbar: der „Schwarze Afghane in Afghanistan, Haschisch-Kuchen in Kathmandu und Opium in Sikkim. Sie werden zu einer Hochzeit in Ladakh eingeladen, das sie gerade noch rechtzeitig vor Einbruch der Wintersperrung der Straße nach Kaschmir verlassen können. Überall zeigen Menschen ihnen ihre Heimat und ihre andere Kultur. In Bagdad führt man sie durch das antike Babylon, im pakistanischen Lahore erklärt man ihnen voller patriotischem Eifer die Geschichte der noch jungen Nation.

Sie verbringen Nächte in indischen Ashrams und erleben noch Einsamkeit an den Stränden Goas. In buddhistischen Klöstern lässt man sie teilhaben an Gebetsstunden, in Ladakh, im Himalaya erleben sie mit welchen Methoden ein Schamane Beschwerden lindert und in Nepal erfahren sie, dass man dem Gott Ganesh opfern muss, um gute Noten zu bekommen.

Im Dezember 1979 überschreiten sowjetische Truppen die Grenze zu Afghanistan und mit Beginn des 1. Golfkrieges zwischen dem Irak und dem Iran im September 1980 sind die Reisewege blockiert. Eine Reise-Ära, die gut zwanzig Jahre gedauert hatte, ging schlagartig zu Ende. Das Buch ist ein spannender Reisebericht und gerade in diesen Tagen ist die Lektüre ein Trostpflaster für jeden Weltenbummler, der sich beim Lesen von seinem Balkonien zu fernen Zielen träumen kann.

In den 70er Jahren, als die Reisen unternommen wurden, konnte man vieles erleben, das heute nicht mehr möglich ist, weil sich die Zivilisation weiter ausgebreitet hat und viel Ursprüngliches und Exotisches verloren ging. Mann muss das Buch allen empfehlen, die auf Reisen nicht das Ersehnte fanden und die im Geiste nun eine Reise erleben können, die sie gerne gemacht hätten.

Raushier-Reisemagazin

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