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Buchtipp: Cold Case Ötzi

Man nehme: Drei absolute Fachexperten (Alexander Horn – Deutschlands wohl bekanntester Profiler, Oliver Peschel –  Rechtsmediziner und Andreas Putzer – Spezialist für hochalpine Archäologie), und „sperre“ sie drei Tage und drei Nächte in einer einsamen Berghütte ein. Der vierte Mann, der aus dem Trio ein Quartett macht, ist Josef Rohrer, der Autor des vorliegenden Buches, der den drei Spezialisten gespannt zuhört und aufmerksam beobachtet, was sie zu sagen haben und welche Schlussfolgerungen sie daraus ziehen. Aus seinen Aufzeichnungen entstand diese absolut lesenswerte Niederschrift.

Im Klartext: Die Fakten aus über drei Jahrzehnten Ötzi-Forschung in einen plausiblen Zusammenhang bringen – welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen, welche Argumente und Gegenargumente verdichten sich zu möglichen Hypothesen und bringen Klarheit über den Tod von Ötzi. Jedes nur allzu kleine Detail kommt auf den Prüfstand. Denn es geht ja schließlich um einen Kriminalfall, der sich vor etwa 5200 Jahren abgespielt hat (abgespielt haben soll): Wie kam der Mann, der zur Mumie aus dem Eis wurde, ums Leben? Und vor allem durch wen? Zeugenaussagen gibt es ja keine. Leider!

Über die bekannteste Frostleiche aller Zeiten ist wahrlich schon viel geschrieben worden. Und jetzt haben sich die drei Männer daran gemacht, endgültig Aufschluss über das Schicksal von Ötzi zu bekommen und seinen Tod zu entschlüsseln. Nach wie vor sind sehr viele Fragen unbeantwortet, obwohl die drei Wissenschaftler immer neuen möglichen Szenarien auf der Spur sind. Eines ist sicher: Horn, Peschel und Putzer gehen von Mord aus. Das ist für sie so sicher wie das Amen in der Kirche.

Die Fall-Analytiker auf Spurensicherung: Andreas Putzer, Oliver Peschel und Alexander Horn (von links). – Foto: Josef Rohrer

Die Fall-Analytiker auf Spurensicherung: Andreas Putzer, Oliver Peschel und Alexander Horn (von links). – Foto: Josef Rohrer

Man weiß ja mittlerweile fast alles über Ötzi: Welche Kleidung er trug, welche Werkzeuge er bei sich hatte, was er zuletzt gegessen hat, und vieles, vieles mehr. Nur eines weiß man nicht: Warum begab er sich in hochalpines Gelände (auf das über 3200 Meter hoch gelegene Tisenjoch), und warum fand er dort den Tod? Auf jeden Fall starb er keines natürlichen Todes. Was die Wissenschaftler ausschließen: Er war nicht zum Hüten von Vieh auf dem Joch, und ein Jagdunfall kann es auch nicht gewesen sein.

Ötzi starb dort, wo die Statistin und ihr Rucksack im Schnee stehen; Distanz: genau 30 Meter. – Foto: Josef Rohrer

Ötzi starb dort, wo die Statistin und ihr Rucksack im Schnee stehen; Distanz: genau 30 Meter. – Foto: Josef Rohrer

Weitere hochbrisante Fragen: Wer und was war Ötzi? Er könnte Jäger gewesen sein, oder Bauer, oder vielleicht ein Händler? Erzsucher oder Kupferschmied? Er könnte natürlich auch einer (Tal)gemeinschaft/Gruppe vorgestanden sein. Oder war er ein Einzelgänger? Aufgrund wissenschaftlicher Expertisen kommen Horn, Peschel und Putzer zu Schlüssen, die so, und nicht anders, gewesen sein müssen. Aber viele Dinge bleiben halt doch im Verborgenen. Der Archäologe Andreas Putzer, der den Fundort und das Schnalstal kennt wie seine Jackentasche, sagt: „Wir wissen viel über den Ötzi, aber fast nichts über das Umfeld, in dem er lebte.“

Das Tisenjoch. – Foto: Universität Innsbruck, FS Alpiner Raum/Webcam

Das Tisenjoch. – Foto: Universität Innsbruck, FS Alpiner Raum/Webcam

Wo hat der Kupferzeit-Mann gelebt? Wahrscheinlich im mittleren Vinschgau. Die heutige Marktgemeinde Latsch könnte sein Wohnort gewesen sein. Dort hat man ihn gekannt; und er hat die Gegend dort gekannt. Und er ist nicht zufällig ins Schnalstal und hinauf zum Tisenjoch gelaufen.

Und er muss sich den Missmut (Stichwort Rache), zumindest von einer Person (seinem Mörder), zugezogen haben. Aber durch was? Und warum ist ihm diese Person so weit nach oben gefolgt? Und warum hat Ötzi ihn nicht bemerkt? War er kurzsichtig? War der Mörder etwa schon dort? War es vielleicht eine Frau?

Immer wieder taucht dieselbe Frage auf: Warum nur. Und, und, und….

Was die heutige Wissenschaft alles zu Tage fördert, ist für den Laien oft unverständlich – großartig allemal. Wie die vorliegende Publikation auch!

Josef Rohrer, Cold Case Ötzi, erschienen im Folio Verlag mit Sitz in Wien und Bozen; 176 Seiten, Hardcover mit zahlreichen Farbabbildungen, ISBN 978-3-85256-904-8; Preis: 24 Euro.

Raushier-Reisemagazin

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