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Per Pistenraupe durch die Nacht: Herrn Brunels Gespür für Schnee

Nacht für Nacht während der Wintersaison planieren Pistenraupen die Hänge für die Skifahrer. Mit Millioneninvestitionen werden die Anlagen für Kunstschnee immer mehr perfektioniert. Ein Beispiel aus Südtirol.

: Die Pistenraupen stehen bereit. - Tourismusverband Eggental/Ph. Paolo Codeluppi

: Die Pistenraupen stehen bereit. – Tourismusverband Eggental/Ph. Paolo Codeluppi

Das „Beast“ findet seinen Weg auf den Berg durch Nacht und Wintersturm. Wie Kletten krallen sich die Raupenketten in den weichen Neuschnee, 500 PS treiben die elf Tonnen schwere Schneekatze steil bergauf. Jedes Schneehäufchen, jeder Buckel, der im breiten Scheinwerferkegel vor der Maschine auftaucht, wird eingeebnet, das sieben Meter breite Schild an der Fahrzeugfront und die Fräse am Heck bügeln den Hang glatt wie ein Brett. Ein Traum für jeden Carver, der das Glück hat, am kommenden Morgen bei strahlendem Sonnenschein die ersten Kurven ziehen zu dürfen.

Immer das gleiche Prozedere

Der Genuss-Skifahrer verschwendet wenig Gedanken an die Mühe und den Aufwand, der in der Nacht für ihn betrieben wird. Ralf Brunel fährt eine von fünf Pistenraupen, die am Col Rodella nahe dem Sellajoch in Südtirol Nacht für Nacht die Pisten bearbeiten. Von 16.30 Uhr bis gegen 1 Uhr klettern sie in ihren Schneekatzen die Hänge hinauf und herunter, immer wieder. Danach kann sich der gewalzte und gefräste Schnee noch einige Stunden setzen und mit dem Untergrund verbinden. So hält die Piste bis zum nächsten Nachmittag.

„Wenn es nachts schneit, hören wir eher auf und fangen dafür am Morgen schon um fünf Uhr früh an“, erzählt Brunel. Der Skifahrer hat‘s dann trotz Neuschnee ab Liftöffnung um 8.30 Uhr bei nur wenigen Zentimetern Auflage immer noch leicht, allerdings hält die Piste mit Neuschnee nicht lange. „Es kommt dann schon vor, dass sich Skifahrer beschweren, weil schon ab Mittag Neuschneehäufchen das Fahren schwieriger machen, aber mehr kann man halt nicht tun“, berichtet der 38-Jährige, der schon seit über 20 Jahren Dienst am Schnee schiebt. „Schon mit drei bin ich bei meinem Vater auf der Schneekatze mitgefahren, mir macht das einfach Spaß.“

Kein Beruf für Grobmotoriker

Ralf Brunel fährt im Sommer Bagger und im Winter Pistenraupe.

Ralf Brunel fährt im Sommer Bagger und im Winter Pistenraupe. – Foto:  Peter Rauscher

Im Sommer fährt Brunel Bagger, daneben ist er noch Fotograf. Obwohl er schweres Gerät bewegt – ein Beruf für Grobmotoriker ist das nicht. Mit den Fingerspitzen der rechten Hand bewegt er ganz sachte per Joystick das Schneeschild auf und ab. Mit einem Hebel links steuert er das „Beast“, das die Liftgesellschaft für rund 500 000 Euro von der Sterzinger Firma Prinoth gekauft hat. Sogar Weltmeisterschaften für Schneekatzenfahrer gibt es. Im Wettbewerb geht es darum, eine Kugel in einem auf dem Schneeschild befestigtes Tischkugellabyrinth zu versenken. Wer das Schild am geschicktesten vor, zurück, links und rechts kippeln kann, gewinnt.

Brunel hat an diesem Wettbewerb noch nicht teilgenommen, doch über ein feines Gespür für den Schnee verfügt auch er. Auf den Meter genau muss er wissen, welche Stellen auf der Piste besonders abgefahren sind und eine dicke Auflage brauchen. Wo kann Schnee weggenommen, wo muss er hingeschoben werden? Am Kronplatz bei Bruneck werden bereits Versuche unternommen, den Hang im Sommer zu scannen und im Winter mittels GPS-Steuerung der Schneekatzen die Pistenpflege zu automatisieren. Davon halten Brunel und seine Kollegen aber nicht viel, sie sind stolz darauf, ihre Hänge so gut zu kennen wie die berühmte Westentasche.

220 Liter Diesel pro Schicht

Harte Arbeit macht durstig: Rund 220 Liter Diesel schluckt eine Raupe pro Nacht, zweimal muss Brunel am Treibstofflager nachtanken. Trotz Euro-3-Norm: Die Raupen belasten die Umwelt. Die Hersteller Prinoth und Kässbohrer seien bestrebt, immer sauberere Motoren zu entwickeln, aber noch seien Elektroantriebe im großflächigen Einsatz Zukunftsmusik, berichtet Diego Clara, Pressereferent bei Dolomiti Superski. In den zwölf italienischen Skigebieten des Lift- und Talverbundes sind insgesamt 320 Pistenraupen eingesetzt.

„Wir wollen unsere Gäste verwöhnen“, erklärt Clara den immensen Kosten- und Materialeinsatz bei der Pistenpflege. Dazu gehören auch enorme Anstrengungen und Investitionen bei der Beschneiung. In der lvergangenen Saison gab’s zwar genug Naturschnee in den Dolomiten, aber das war in früheren Jahren schon anders. „Jeder sechste bis siebte Winter ist schneearm“, berichtet Gerhard Vanzi, Marketingdirektor von Dolomiti Superski. Deshalb verlassen sich die Touristiker und Liftgesellschaften längst nicht mehr auf Frau Holle, sondern greifen zur Selbsthilfe.

Der Saisonstart ist gesichert

Mittlerweile können 93 Prozent der 1200 Pistenkilometer des Verbundes künstlich beschneit werden, berichtet Vanzi. Wenn es kalt genug ist, bei minus sechs bis minus zehn Grad, speien die gut 4500 Schneekanonen und Schneelanzen ab 1. November vor allem nachts das weiße Gold auf die Hänge. Dann ist nicht nur der Saisonstart Anfang Dezember gesichert, sondern die Grundlage für den ganzen Winter gelegt – und zwar im Wortsinn.

Die Schneeunterlage hält bis zum Nachmittag – das Bild zeigt eine Abfahrt vor dem Langkofel.

Die Schneeunterlage hält bis zum Nachmittag – das Bild zeigt eine Abfahrt vor dem Langkofel. – Foto: Peter Rauscher

Das jüngste Projekt ist ein vier Millionen Euro teurer Speichersee am Piz Sella in rund 2000 Metern Höhe, der 75 Millionen Liter Wasser fasst. In 70 Stunden können damit 60 Hektar Pisten beschneit werden, berichtet Igor Marzola, Chef der dortigen Liftgesellschaft. Der Großteil des Wassers wird aus dem Tal hochgepumpt. Ein Problem für die Umwelt sieht er darin nicht. Die Wasserentnahme werde von den Umweltbehörden streng kontrolliert, es gebe keinerlei Zusätze im Schnee außer Luft, und nach der Schneeschmelze fließe das Wasser zurück in den natürlichen Kreislauf. Der Strom werde ausschließlich vor Ort aus Wasserkraft gewonnen.

“Kompaktschnee” statt “Kunstschnee”

Das Wort „Kunstschnee“ hören die Verantwortlichen nicht gerne, sie sprechen lieber von „Kompaktschnee“. Der ist zwar im Gegensatz zum Naturschnee teuer, aber er ist den Flocken von Frau Holle in mancher Hinsicht überlegen: Er kommt ziemlich verlässlich im November und hält den Stahlkanten von Skiern und Boards länger stand – zwischen den Kristallen hat weniger Luft Platz als beim Naturschnee, das macht Kompaktschnee fester. Auch Brunel und seine Fahrerkollegen arbeiten lieber mit dem selbst gemachten Schnee, die Piste hält einfach länger.

Schneemacher Marzola schwärmt: „Früher gab es Jahre, in denen wir die Seceda-Abfahrt nach St. Ulrich erst Mitte Januar öffnen konnten. Jetzt ist schon zum Saisonstart Anfang Dezember alles perfekt.“ Das hat seinen Preis. Strom- und Treibstoffkosten sind stark gestiegen, auch ein Grund dafür, dass die Liftkarten immer teurer werden, zuletzt um rund fünf Prozent. Aber müssen denn unbedingt alle Pisten eines riesigen Skigebiets wie dem Grödnertal von Anfang bis Ende der Saison offen sein, reichen einige Hauptstrecken nicht aus? Marzola verlässt sich nicht nur auf sein Gespür für Schnee, sondern auf seinen Geschäftssinn. „Wir haben unsere Gäste immer verwöhnt – und jetzt sind ihre Ansprüche gestiegen.“

Erschienen im Nordbayerischen Kurier.

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