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Emden: Alte Seehafenstadt in neuem Glanz

Das wissen wohl nur die Wenigsten: Das erste Telegramm, das von deutschem Boden aus über den Seeweg nach Amerika gelangte, wurde in Emden aufgegeben. Und zwar im Jahr 1890. Stadtführerin Lotte Botterbrodt lacht: „Das hätten Sie nicht gedacht. Und unsere Stadt hat noch jede Menge mehr zu bieten.“

Am Emskai werden jährlich über eine Million Fahrzeuge verschifft. - Foto: Karl-Heinz Krämer

Am Emskai werden jährlich über eine Million Fahrzeuge verschifft. – Foto: Karl-Heinz Krämer

In der Tat: Die größte Stadt Ostfrieslands mit ihren fast 52 000 Einwohnern, an der Mündung der Ems gelegen, ist wirtschaftlich und kulturell durchaus ein Aushängeschild in Norddeutschland. Heute gibt die Autoindustrie den Ton an, früher – wie sollte es anders sein – die Seefahrt. Für Besucher Borkums ist Emden der ideale Ausgangspunkt. Mit dem High-Speed-Katamaran bzw. der Autofähre gelangt man in einer bzw. zwei Stunden auf die bei Urlaubern so begehrte Insel.

Das Engelchen auf der Mauer

Im Jahr 800 gegründet, bekam Emden 1495 die Stadtrechte verliehen; das Stadtwappen in den Farben gold, rot und blau ziert seither die liebliche „Engelke up de Muer, das Engelchen auf der Mauer.

Das Emder Stadtwappen – Engelke up de Muer. - Foto: Dieter Warnick

Das Emder Stadtwappen – Engelke up de Muer. – Foto: Dieter Warnick

Bis zum heutigen Tag ist Emden durch seinen Seehafen geprägt. Dort begann um 800 herum der Aufstieg zu einer blühenden Stadt. Aufzeichnungen aus dem Jahr 1224 belegen einen ersten regen Handel; denn erstmals wurde ein Emder Handelsschiff in London gesehen und in Aufzeichnungen erwähnt. Später wurde eine große Anzahl von bedeutenden Bauwerken errichtet, zum Beispiel das Rathaus (1574 bis 1576), das auch heute noch das Wahrzeichen der Stadt ist, das Hafentor (1635) und die „Neue Kirche“ (1643-1648). Vom Rathausturm hat man einen herrlichen Blick auf die Stadt, Teile der Grünen Wellanlagen und den Hafen.

Verdoppelung der Einwohnerzahl

Eine Blütezeit erlebte die Stadt ab 1560, als zahlreiche Flüchtlinge aus den heutigen Niederlanden nach Emden kamen; die Bevölkerungszahl stieg binnen weniger Jahre von 6000 auf 12 000. Fortan kam die Wirtschaft so richtig in Schwung. Teilweise gab es in Emden mehr Schiffe als im gesamten anglikanischen Raum. Die Stadt war ein ganz wichtiges Zentrum für die Seefahrt geworden!

Das Rathaus von Emden ist das Wahrzeichen der Stadt. - Foto: Emden Marketing

Das Rathaus von Emden ist das Wahrzeichen der Stadt. – Foto: Emden Marketing

Und die Religion spielte ebenfalls eine immer größere Rolle – die Calvinisten gewannen an Einfluss. Denn die Anhänger des französisch-stämmigen Reformators Johannes Calvin (1509-1564) machten aus der „Großen Kirche“ (erbaut um 1200) eine Reformationskirche. Nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg finden dort keine Gottesdienste mehr statt. Seit 1993 beherbergt die Kirche die Johannes a Lasco Bibliothek, eine der wichtigsten theologischen Spezialbibliotheken Deutschlands. Der Pole Johannes a Lasco (1499 bis 1560) wirkte in Emden ebenso wie weitere reformierte Theologen und machte die Stadt zu einem Zentrum der Calvinisten.

Der „Alte Fritz“ mischt sich ein

Das Hafentor wurde 1635 vom Emder Stadtbaumeister Martin Faber erbaut. Es ist eines von mehreren künstlerisch bedeutenden Stadttoren. - Foto: Dieter Warnick

Das Hafentor wurde 1635 vom Emder Stadtbaumeister Martin Faber erbaut. Es ist eines von mehreren künstlerisch bedeutenden Stadttoren. – Foto: Dieter Warnick

Aber es gab auch Rückschläge. Mitte der 1720er-Jahre hatte Emden an Bedeutung verloren, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Dieses Handicap machte sich der „Alte Fritz“, Preußenkönig Friedrich II., zu Nutze und verleibte sich die ostfriesische Stadt und die gesamte Region so einfach mir nichts, dir nichts, ein. Ostfriesland war preußisch geworden. Doch kein Nachteil ohne Vorteil: Bald ging es Emden wieder besser. Zu verdanken hatte dies die Stadt vor allem auch der Eröffnung des Freihafens im Jahr 1751.

Wer zum ersten Mal nach Emden kommt, wird sich über das Stadtbild wundern. Vor allem über einige unansehnliche Bauten, fensterlos, quaderförmig nach oben gebaut, einfach nur unansehnlich. Doch alles erfüllt seinen Zweck, so auch diese hässlichen Gemäuer. Stadtführerin Botterbrodt erklärt: „Das sind Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, die unser Stadtbild beeinträchtigen. In die Tiefe können wir ja nicht gehen, nachdem Emden nur einen Meter über dem Meeresspiegel liegt. Würden wir auch nur einen Meter in die Tiefe gehen, würden wir schon Grundwasser vorfinden.“

Die Große Kirche zählt zu den bedeutendsten Stätten ostfriesischer Geschichte; sie beherbergt heute die Johannes a Lasco Bibliothek. - Foto: Dieter Warnick

Die Große Kirche zählt zu den bedeutendsten Stätten ostfriesischer Geschichte; sie beherbergt heute die Johannes a Lasco Bibliothek. – Foto: Dieter Warnick

80 Prozent der Innenstadt zerstört

Diese Hochbunker waren für die Bevölkerung überlebenswichtig, denn durch die Angriffe der Alliierten am 6. September 1944 wurden 80 Prozent aller Gebäude der Emder Innenstadt zerstört und damit fast die gesamte historische Bausubstanz, aber nur etwa 350 Personen verloren ihr Leben. Die Innenstadt war derart verwüstet, dass die Menschen nicht nur alles verloren hatten, sondern nicht einmal wussten, wo welches Gebäude gestanden hatte. Einer dieser Bunker (Bunkermuseum) kann heute noch besichtigt werden, die qualvolle Enge der Räume lässt nur erahnen, welche Leiden die Bevölkerung während der Bombardierung erleiden musste.

Mit dem Otto-Huus hat sich Otto Waalkes schon zu Lebzeiten in seiner Geburtsstadt ein Denkmal gesetzt. - Foto: Dieter Warnick

Mit dem Otto-Huus hat sich Otto Waalkes schon zu Lebzeiten in seiner Geburtsstadt ein Denkmal gesetzt. – Foto: Dieter Warnick

Vor allem die Altstadt wurde bei den Angriffen in Mitleidenschaft gezogen. Die Bürger Emdens machten nach Kriegsende aus der Not eine Tugend, bauten die Altstadt wieder komplett auf und nannten sie fortan Neustadt. „Es gibt dort so gut wie kein Haus, das älter ist als 65 Jahre“ verdeutlicht unsere Stadtführerin die „Arbeitswut“ der Emder, die ihrer Neustadt auch ein neues Erscheinungsbild gaben: alle Gebäude wurden mit Klinkersteinen errichtet, und die Fenster mit weißen Rahmen umgeben.

Die Windparks halten Einzug

Der Seehafen ist heute wie früher die Basis für die Ansiedlung großer Industriegebiete wie die Nordseewerke (1899 bis 2009) und das Volkswagenwerk. Die Nordseewerke, die im Jahr 1974 von der Thyssen AG übernommen worden waren, sind eine Werft, die Marine- und Sonderschiffe baute. Nach Verlagerungen und Ausgliederungen in andere Werften lief in Emden am 11. Dezember 2009 das letzte Schiff vom Stapel, der 228 Meter lange Containerfrachter „Frisia Cottbus“. Der Schiffsbau in Emden wurde eingestellt.

Die beiden Pelzerhäuser zählen zu den ältesten Gebäuden der Stadt. - Foto: Dieter Warnick

Die beiden Pelzerhäuser zählen zu den ältesten Gebäuden der Stadt. – Foto: Dieter Warnick

Im September 2009 wurde der restliche Teil der Nordseewerke an die Schaaf Industrie (SIAG) verkauft. Die SIAG Nordseewerke fertigen nun am Standort Emden Bauteile für Offshore-Windparks (Stahlrohrtürme und -träger als Fundamente sowie Transition-Pieces für Windenergieanlagen und Umspannplattformen). „Die zuletzt noch 450 Werftarbeiter wurden komplett von der neuen Firma übernommen,“ sagt Lotte Botterbroth, und der Stolz in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Emdens Hafen ist zum zentralen Standort ostfriesischer Windenergieanlagenhersteller geworden.

VW wichtigster Arbeitgeber

Das Feuerschiff Amrumbank wurde im Oktober 1983 außer Dienst gestellt und im Stichkanal zu einem Museumsschiff umgebaut, das heute im Ratsdelft besichtigt werden kann. - Foto: Dieter Warnick

Das Feuerschiff Amrumbank wurde im Oktober 1983 außer Dienst gestellt und im Stichkanal zu einem Museumsschiff umgebaut, das heute im Ratsdelft besichtigt werden kann. – Foto: Dieter Warnick

Wichtigster Arbeitgeber in Emden ist VW; der Autobauer begann 1965 mit der Produktion des Käfers, seit 1978 wird der Passat gebaut. Im Werk sind rund 8600 Mitarbeiter beschäftigt, pro Tag können bis zu 1200 Fahrzeuge produziert werden; im Jahr 2011 verließen 1,25 Million Fahrzeuge die Bänder. Rund 800 Schiffe kommen pro Jahr an die Emsmündung. Mehrmals in der Woche verlassen Schiffe in Richtung Nordamerika und Japan den Hafen. Fast täglich werden Fahrzeuge nach Großbritannien transportiert. Dadurch ist Emden zum drittgrößten Autoverladehafen Europas geworden, nach Bremerhaven und Zeebrügge (Belgien).

Interessante Zahlen und Fakten

  • Emden ist seit 1973 Hochschulstandort (Hochschule Emden-Leer) mit zusammen 3800 Studenten.
  • Es gibt 770 Hektar Wasserfläche, das entspricht 6,85 Prozent der Gesamtfläche. Ein Gutteil besteht aus Hafenbecken, jedoch verlaufen auch rund 150 Kilometer Kanäle durch das Stadtgebiet. Eine Grachtentour ist jedenfalls sehr
    Wie ein grünes Band ziehen sich die Wallanlagen um Emden. - Foto: Karl-Heinz Krämer

    Wie ein grünes Band ziehen sich die Wallanlagen um Emden. – Foto: Karl-Heinz Krämer

    empfehlenswert. Los geht`s direkt aus dem Ratsdelft, dem Herzen der Stadt. Die Fahrt dauert zirka eine Stunde, und führt vorbei am Tonnenhof und den Schwimmdocks der Nordseewerke sowie der Cassens Werft. Zu sehen gibt es auch herrliche Gärten- und Parkanlagen sowie Grundstücke, die nur vom Kanal aus einsehbar sind.

  • Die Kesselschleuse, einzige Vierkammer-Schleuse Europas. Sie verbindet gleich vier Wasserstraßen für die Schifffahrt, die hier zusammenlaufen: den Ems-Jade-Kanal, den Emder Stadtgraben, das Fehntjer Tief und das Rote Siel, einen Ausläufer des Faldern Delftes und damit des Emder Hafens. Diese vier Wasserstraßen weisen zumeist unterschiedliche Wasserstände auf.
  • Pelzerhäuser: Die beiden Häuser zählen zu den ältesten Gebäuden und sind die einzigen in der Altstadt, die die schwere Bombardierung Emdens am 6. September 1944 überstanden haben. Ihr Baustil vermittelt heute einen Eindruck vom Aussehen der Emder Altstadt vor der Bombardierung – sie war durch Gebäude aus dem 16. und 17. Jahrhundert geprägt.
  • Die Kunsthalle wurde 1986 von Henri und Eske Nannen gestiftet. Das Museum hat seinen Sammlungsschwerpunkt auf Bildern der Neuen Sachlichkeit und des deutschen Expressionismus, unter anderem mit Werken von Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein und Emil Nolde.
  • Otto-Huus: Das direkt im Zentrum stehende Haus wurde im August 1987 eröffnet und ist eine Mischung aus Museum und Shop.
  • Ostfriesisches Landesmuseum: Im Rathaus der Stadt untergebracht, präsentiert es ostfriesische Kulturgeschichte; herausragend ist seine Rüstkammer mit der bedeutendsten stadteigenen Waffensammlung des 16. und 17. Jahrhunderts.

Bekannte Persönlichkeiten Emdens

  • Henri Nannen (* 25. Dezember 1913 in Emden; † 13. Oktober 1996 in Hannover); deutscher Verleger und Publizist. Er war langjähriger Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift Stern.
  • Otto Waalkes (* 22. Juli 1948) und Karl Dall (1. Februar 1941), deutsche Komiker und Schauspieler.
  • Wolfgang Petersen (* 14. März 1941), deutscher Regisseur, u.a von „Das Boot“.

 

 

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