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Auf dem Gipfel des Glücks

Es ist eine kurze Nacht. Die Aufregung groß. Gleich in den Schlaf zu finden nicht möglich. Die Gedanken kreisen. Denn Ungewöhnliches steht bevor – eine Wanderung zu Sonnenaufgang. Im Klartext heißt das: Aufstehen um 3.45 Uhr, Abmarsch um 4.30 Uhr. Uns steht eine Bergtour der etwas anderen Art bevor!

Den Sonnenaufgang am Gipfel des Tristkogels mitzuerleben ist ein einmaliges Erlebnis. Fotos: Hotel Unterschwarzacherhof

Den Sonnenaufgang am Gipfel des Tristkogels mitzuerleben ist ein einmaliges Erlebnis. Fotos: Hotel Unterschwarzacherhof

Das Wachwerden fällt nicht schwer, zu groß ist die Vorfreude. Trotz aller Grübeleien, wie die nächsten Stunden werden würden. Denn Toni Hasenauer, umtriebiger Hotelier des Unterschwarzachhofs in Saalbach-Hinterglemm und unser “Bergführer”, hat uns gewarnt, die Tour und den Berg nicht zu unterschätzen. Einfach sei sie keinesfalls, unsere Wanderung. Eine andere Erfahrung eben. Basta!

Pünktlich um kurz vor 4.30 Uhr, stehen die 14 Frühaufsteher, doch noch etwas müde und unausgeschlafen, aber voller Tatendrang, mit Stirn- und Taschenlampen ausgerüstet, zum Abmarsch bereit, und harren der Dinge, die da in Bälde kommen. 13 Gleichgesinnte und ich befinden sich am Talschluss des Glemmtals auf rund 1400 Metern, von unserem Ziel, dem 2095 Meter hohen Tristkogel, ist nichts zu sehen. Nur die Sterne leuchten, und wie. Milliarden kleiner Punkte mögen es sein, die uns auf unserem Marsch begleiten.

Ein Verzagen gibt es nicht

Es ist kalt, und wir sind froh, dass es losgeht. “Bergführer” Toni weist uns noch einmal auf die Gefahren hin, die da kommen könnten, erinnert  uns aber, dass es einmalig sei, den Sonnenaufgang auf dem Gipfel eines Berges zu erleben. Ein Verzagen gibt es nicht. In 2 ½ Stunden hätten wir es ja schließlich auch schon geschafft. Eigentlich sind solche Motivationshilfen gar nicht nötig.

Die ersten Höhenmeter sind gerade richtig zum Einlaufen. Es geht über einigermaßen flache, breite Forstwege, bequem hinauf, und erste Überlegungen keimen, dass es so schwierig gar nicht werden würde. Doch kaum ist dieser Gedanke ein etwas größeres Pflänzchen, wird das Gelände schwieriger. Der Weg wird steiler, schmaler, glitschiger. Nach der Querung eines Baches ist fast jedem von uns klar, dass der Weg anstrengend, und der Gipfel noch weit weg ist. Wir sind ja schließlich einfache Bergwanderer mit mittelmäßiger Kondition. Durchschnittstouristen eben. Einige vielleicht mit ein paar Kilos zu viel auf den Rippen. Gut, denke ich mir, dass man nichts sieht, vor allem nicht die Steilheit des Weges. Sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob man aufgeben soll, ist ein Tabu, uns treibt das Erlebnis eines Sonnenaufgangs auf über 2000 Metern immer weiter.

Der Toni treibt uns an

Kurz vor dem Sonnenaufgang: Die Kitzbühler Berge erheben sich aus ihrem Nachtlager. Foto: Klaus Krainer

Kurz vor dem Sonnenaufgang: Die Kitzbühler Berge erheben sich aus ihrem Nachtlager. Foto: Klaus Krainer

Die meisten von uns sind aber ganz schön am Schnaufen. Eine ältere Dame muss abreißen lassen, und die Pause, in der wir auf sie und ihre jüngere Begleitung warten, tut gut. Wir sind erst eine Stunde unterwegs, haben also noch nicht einmal die Hälfte des Aufstiegs hinter uns, doch Toni treibt uns an, nicht zu trödeln. Der Sonnenaufgang wartet schließlich nicht auf uns. Wir bemühen uns nach Kräften, aber unser “Bergführer” muss einsehen, dass sein Schritt ein anderer ist als unserer. Wir sammeln uns, bündeln die Kräfte, pusten durch. Mittlerweile haben wir das richtige Tempo gefunden. Der Abenteuergeist hat jetzt auch den Letzten von uns endgültig gepackt. Die zweite Stunde vergeht schneller als die erste. Warum auch immer. Wahrscheinlich, weil das Ziel, der Gipfel des Tristkogels, mit jedem Schritt näher kommt. Unser Durchhaltevermögen steigt ins Unermessliche!

Vereinzelte Wortwechsel, die sich noch zu Beginn des Wegs ergeben haben, sind längst abgeebbt. Selbstgespräche sind da schon eher an der Tagesordnung. Es ist stockdunkel. Weiter sehen wir den Weg nur durch die Lichtkegel unserer mickrigen Funzeln. Ich frage mich: Wie weit ist es noch? Wird der Weg etwa noch steiler? Und: Warum tue ich mir das überhaupt an? Und so weiter, und so fort.

Das Ziel: der Gipfel des Tristkogels. Foto: Hotel Unterschwarzachhof

Das Ziel: der Gipfel des Tristkogels. Foto: Hotel Unterschwarzachhof

Ich müsste mein Käppi wechseln, denn es ist durchgeschwitzt und zum Auswringen nass. Ersatz ist im Rucksack, aber um die Ersatzmütze hervorzuholen, müsste ich stehenbleiben. Alleine eine kurze Pause zu machen, das traue ich mich jedoch nicht. Den Weg nach oben findet man immer, denke ich mir sodann, verlaufen kannst du dich hier nicht. Höchstens abstürzen. Es gibt nur diesen einen Steig. Bleib doch einfach stehen. Leichtes Unwohlsein kommt in mir auf. Ich gehe weiter. So allein in der Dunkelheit nach oben zu kraxeln, das ist nicht meine Welt. Wer weiß, ob jemand auf mich wartet. Also bleib ich in der Gruppe. Die Entscheidung ist rasch getroffen. Weiter geht’s. Ich will mir jetzt auch keine Blöße mehr geben. Es gibt kein Halten mehr. Am Horizont ist ein ganz dünner, heller Streifen zu sehen, der den Tag ankündigt. Der Gipfel müsste bald erreicht sein.

„Kommen Sie junger Mann“

Der Tag hat uns wieder: Blick auf den Wilden Kaiser und auf das verschlafene Kitzbühel im Frühnebel. Foto: Klaus Krainer

Der Tag hat uns wieder: Blick auf den Wilden Kaiser und auf das verschlafene Kitzbühel im Frühnebel. Foto: Klaus Krainer

Plötzlich ist die ältere Dame bei mir. Sie erzählt, dass sie schon 75 sei, erst gestern angereist ist und wenig Schlaf gefunden habe. Zeit zum Akklimatisieren habe sie auch nicht gehabt. Purer Leichtsinn. “Aber was soll’s“, sagt sie voller Tatendrang, “kommen Sie junger Mann.” Mir verschlägt’s fast die Sprache. Ich bin fast ein Vierteljahrhundert jünger als sie, und ich japse wie ein Walross. Toni ist plötzlich auch da. “Alles okay mit dir”, fragt er mich, um süffisant hinzuzufügen: “Du schnaufst ja wie meine Frau bei unserem ersten Kind”. So, jetzt hat er mir‘s aber gegeben. Doch er tröstet mich: “In einer halben Stunde hast du es geschafft. Wir liegen gut im Zeitplan”.

Der Rest des Wegs ist ein Klacks, obwohl die letzten Höhenmeter die anstrengendsten der gesamten Tour sind. Der Gipfel und das Gipfelkreuz sind erreicht, 700 Höhenmeter zurückgelegt. Wir klatschen uns gegenseitig ab, und warten voller Vorfreude auf den Tagesanbruch. Es dämmert, es wird immer heller, doch die Sonne versteckt sich noch. Unter uns schläft Kitzbühel, in leichten Nebel getaucht, noch vor sich hin, die Silhouetten der Berge werden klarer.

Dann ist es soweit: Um Punkt 7.25 Uhr geht im Osten die Sonne auf. Ein imposantes Naturschauspiel. Ein Genuss für alle Sinne. Die Ruhe ist gespenstisch. Und das Glücksgefühl unbeschreiblich. Ich hab’s geschafft! Ich bin glücklich und fühle mich wie ein junger Gott. Ich bin halt doch ein Gipfelstürmer. Obwohl das Abenteuer ein ziemlich kleines war. Als Flachländer neigt man in den Bergen allzu leicht zu Übertreibungen.

Auf dem Rückweg lassen wir den Tristkogel hinter uns. Foto: Klaus Krainer

Auf dem Rückweg lassen wir den Tristkogel hinter uns. Foto: Klaus Krainer

Der Ausblick, der sich uns bietet, ist phänomenal, das Panorama einmalig. Über Kitzbühel thront der Wilde Kaiser und das Kitzbühler Horn. Der Hochkönig grüßt herüber, die Loferer und Leoganger Steinberge ebenfalls. In der Ferne tauchen der imposante Großglockner auf, und der verschneite Großvenediger. Umwerfend!

Der Rückweg ist ein Klacks

Nach einer halben Stunde oben auf dem Gipfel begeben wir uns auf den Rückweg. In zwei Stunden sind wir zurück am Ausgangspunkt unserer Wanderung. Die Schritte sind leicht und wippend. Es geht sich wie von selbst. Obwohl der Weg nach wie vor steil ist. Nur halt bergab. Und wir 14 Tatendurstige sind immer noch die einzigen am Berg. Die mit zwei Beinen. Eine Bergziege lässt sich kurz blicken, wir meinen, ein Murmeltier zu hören, und ein Adler sieht auf uns herunter. Die Sonne ist gleißend, der Himmel mittlerweile tiefblau.

Am Hotel angekommen, verlassen “normale” Wanderer ihre Herberge. Wenn die wüssten, dass ich heute schon mein Tagwerk vollbracht habe. Mir springt erneut das Herz – vor Freude und Glück. Nun habe ich mir ein deftiges Frühstück verdient. Und ich werde mich noch lange an diesen Tag erinnern. Wiederholung im nächsten Jahr nicht ausgeschlossen.

Raushier-Reisemagazin

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