zurück



Mit dem Rentnerbus nach Prag: Ein Selbstversuch

Meine Mutter liebte, wenn sich „die Räder unter ihr drehten“. Dann träumte sie von den Zeiten, als ihr Vater sie im Horch über hessische Berge und Hügel kutschierte. Meinen Schwiegereltern verhieß  ein Bus von Universum-Reisen in Bonn unbeschwertes Reisens. Für mich waren Busreisen immer ein Ausbund an Spießertum.

Das Prager Rathaus (links) und die Teynkirche - Höhepunkte Prags, Ziel des Selbstversuchs im Rentnerbus.

Das Prager Rathaus (links) und die Teynkirche – Höhepunkte Prags, Ziel des Selbstversuchs im Rentnerbus.

Nie würde ich in der Gemeinschaft von Rentnern in grauen Nyltest-Anzügen und Sandalen mit schwarzen Socken von einer Toilette zur nächsten fahren. Nie.

Doch im vergangenen Sommer war ich mit dem Reisebus von Trendtours in Prag. Sagen wir, es war eine Expedition, ein Selbstversuch, den sich Journalisten gelegentlich abverlangen müssen, wenn sie der Wahrheit auf den Grund gehen wollen. Es ging darum, meine lieb- aber auch etwas in die Jahre gekommenen Vorurteile zu überprüfen, das Angebot von Trendtours auf seine Qualität und auf seine Senioren-Tauglichkeit zu überprüfen und schließlich darum, herauszufinden, was man bei einem Preis von 199 Euro von einem Aufenthalt, der am Dienstag um 6.45 Uhr an der Bushaltestelle in München-Fröttmanning begann und am Freitag gegen 16 Uhr dort wieder endete, erwarten kann.

Nette Menschen trifft man hinten

Ich hatte mich in die vorletzte Reihe des Busses gesetzt und lernte erstaunlich junge und erstaunlich nette Leute aus Ismaning kennen, die mit Trendtours schon viele Reisen gemacht hatten und das Reiseunternehmen über den grünen Klee lobten. Weil wir uns so gut verstanden und auch gelegentlich lachten, erregten wir allerdings das Missfallen von Herrschaften im vorderen Busbereich. Wir waren ihnen „zu laut“. Immerhin erfuhr ich, dass man sich in einem Reisebus nach hinten zu setzen habe, wenn man nette Leute treffen will.

Der Altstädter Ring ist der zentrale Platz der Prager Altstadt. Er nimmt mehr als 9000 m² ein.

Der Altstädter Ring ist der zentrale Platz der Prager Altstadt. Er nimmt mehr als 9000 m² ein.

Die Reise endete für die 50 Teilnehmer ohne Todesfall und ohne eine einzige Thrombose-Erkrankung. Gut, eine Teilnehmerin kam oben auf dem Hradschin abhanden. Aber da nicht genau zu erkennen war, ob sie die vermutlich letzte Chance nutzte, ihr eigenes Leben in die eigenen Hände und von ihrem Mann Abschied zu nehmen, oder ob sie wegen Demenz oder einer anderen altersbedingten Erkrankung nicht den Weg zum ausgemachten Treffpunkt zurückfand, reagierte unsere Reiseleiterin Alica souverän. Sie hieß uns eine Weile warten und setzte dann die Führung durch die Prager Burg fort. Besagte Dame fand sich abends im Hotel ein, verweigerte allerdings jede Auskunft zu den Gründen ihrer Abwesenheit.

Alica war jede Krone ihres Honorars wert, das nicht so üppig gewesen sein kann. Sie arbeitet auf Honorar-Basis, und wir trafen sie noch zwei Mal in der Stadt, als wir auf eigenen Antrieb und Kosten unterwegs waren. Bestimmte Eintritte auf der Burg und in der Altstadt sind in dem Preis von 199 Euro nicht drin, das ist aber in Ordnung. Die gut deutsch sprechende Alica lieferte einen Überblick, und bestimmte Ziele, die mich interessierten, wie ein Besuch der Altneusynagoge, erledigte ich ohnehin lieber ohne gruppendynamische Begleitung.

Das Lebensniveau ist nicht gerade üppig

Prag ist beliebt: Menschenmassen schieben sich durch die tschechische Hauptstadt.

Prag ist beliebt: Menschenmassen schieben sich durch die tschechische Hauptstadt.

Was die Reiseleiterin sehr gut machte, war die Beschreibung der sozialen Wirklichkeit in Tschechien. Das Lebensniveau liegt deutlich unter dem deutschen. Und die niedrigen Preise sind kein Ausweis von Überfluss, sondern von Armut. Wer Qualität kaufen will, vor allem auch bei Lebensmitteln, fährt über die sächsische oder bayerische Grenze und geht dann in einen Supermarkt. In der Altstadt der tschechischen Hauptstadt wird das im Trubel der jungen Leute und der zahlreichen Touristen häufig übersehen. Aber zwei Schritte weiter, hinter dem Altstadtring, beginnt die eher traurige Wirklichkeit, die zu sehen sich ebenso lohnte wie Alica zuzuhören.

Aber wegen sozialkritischer Impressionen war die Gruppe nicht angereist. Es ging um den Aufenthalt im Clarion-Hotel, das riesengroß, aber über die Metro gut angebunden und mit guten Zimmern und Service ausgestattet ist. Es ging um die Führungen durch die Innenstadt und durch die Burg, „bitte folgen Sie immer meinem schwarzen Schirm“, die sachkundig und zügig waren, bis auf besagte Störung durch die sich absentierende Dame.

Ohne Schirm geht es nicht

Und tatsächlich: Während ich mich immer über die Reisegruppen, die hochgereckten Stöcken, Fahnen oder Schirmen nachlaufen, lustig machte, musste ich einsehen, dass es ohne derartige Zeichen nicht geht. Jedenfalls nicht im Zentrum von Prag. Es ging den Teilnehmern der Trendtours-Reise um die Busfahrt mit Andi, dem Busfahrer, der sein Fahrzeug ruhig und souverän über Autobahnen und städtische Straßen dirigierte. Warum er direkt hinter der tschechischen Grenze im gastronomischen Niemandsland eine Pause einlegte, blieb allerdings sein Geheimnis.

Die Karlsbrücke wurde im 14. Jahrhundert gebaut und verbindet die Prager Altstadt mit der Kleinseite.

Die Karlsbrücke wurde im 14. Jahrhundert gebaut und verbindet die Prager Altstadt mit der Kleinseite.

Und es ging natürlich um den böhmischen Abend. Er fand in einem großen Raum eines Restaurants außerhalb der Stadt am Weißen Berg statt, und pünktlich um 18.30 Uhr (Rentner essen früh) schwebten noch zwei andere, mit deutschen Gästen vollgestopfte Riesenbusse ein, und es entstand die Situation, die ich nie erleben wollte. Großkantine im Altersheim, und vorne dudeln missmutig in Folklore gewandete Damen und Herren zur Unterhaltung und animieren, nachdem die Teller und Schüsseln abgeräumt wurden, auch noch zum Tanz.

Es gab Suppe, gekochten Schweinsbraten mit Weisskraut und Semmelknödeln. Neben mir saß eine erfahrene Rentner-Reisebus-Mitfahrerin: Sie wusste, dass es darauf ankommt, alles mitzunehmen, und löffelte den Fetttopf, den es als amuse geule mit Brot gab, alleine aus. Amüsiert hat sich allenfalls ihre Kehle, nicht der Rest das Körpers. Sie sah schon ziemlich eindeutig nach Fett- und Schmalztopf-Expertin aus.

Ein „Prosit der Gemütlichkeit“

Unterwegs im Zeichen des schwarzen Schirms. Die Reisegruppe auf dem Hradschin, dem Prager Burgberg.

Unterwegs im Zeichen des schwarzen Schirms. Die Reisegruppe auf dem Hradschin, dem Prager Burgberg.

Als schließlich zum „Prosit der Gemütlichkeit“ aufgespielt wurde, und das Bier, der halbe Liter zu 60 Kronen oder 2 Euro, in Strömen floß, beendete ich die Recherche durch Flucht auf die Terrasse, wo sich auch schon Alica eingefunden hatte, die jede Woche mindestens einen böhmischen Abend durchstehen muss. Dort kramte ich einen Prospekt hervor, um zu lesen, warum Busreisen für Ältere so angesagt sind: „Senioren sind heute reiselustiger als je zuvor, der Anteil der über 60-Jährigen, die mindestens einmal im Jahr eine längere Urlaubsreise unternehmen, hat von 41 Prozent im Jahr 1972 auf 72 Prozent im Jahr 1995 zugenommen“. Diese Zahlen sind nun auch nicht mehr taufrisch, aber der Trend dürfte geblieben sein.

„Grundsätzlich wissen es Reisende der älteren Generation zu schätzen, wenn durch spezielle Dienstleistungen und Extras – unaufdringlich, aber betont – auf ihre altersspezifischen Bedürfnisse Rücksicht genommen wird“. Ja, wenn damit die Pausen und die Ausstattung des Hotels gemeint ist, entsprach die Prag-Reise den Anforderungen. „Busreisen bieten den Rentnern Entspannung und Erholung. Durch die gemeinschaftliche Fahrt können die Senioren schnell Kontakt zu gleichaltrigen Personen knüpfen.“

Die Prager Altstadt ist Anziehungspunkt für Touristen aus nah und fern.

Die Prager Altstadt ist Anziehungspunkt für Touristen aus nah und fern.

Ja, stimmt. Dann fand ich eine Warnung in den Unterlagen: „Darauf sollten sie achten! Es gibt viele schwarze Schafe, die einen Urlaub versprechen, aber eine Kaffeefahrt veranstalten und den alten Menschen die wenige Rente aus der Tasche ziehen möchten.“ Andi hielt mit seinem Bus an keiner Fabrik, bot keine Thermodecken und Schnellkochtöpfe an und das, was man für die 199 Euro bekam, war jeden Cent wert.

„Also ja, ich würde“

Ob ich nach dieser Expedition in die Welt der Nyltest-Jacken und schwarzbesockten Sandalen noch einmal eine Busreise bei Trendtours oder einem anderen Anbieter buchen würde? Zunächst muss ich Abbitte leisten bei den Schwiegereltern und bei Universum-Reisen: Es hat schon was, wenn man nur pünktlich am Abfahrtsort sein muss, um dann die „Räder rollen zu lassen.“ Und daheim gibt man schließlich auch Geld aus. Also ja, ich würde. Aber es käme auf das Ziel an. Und ich müsste hinten im Bus sitzen dürfen.

 Fotos: Hans-Herbert Holzamer

Raushier-Reisemagazin