Es riecht nicht besonders angenehm in dem großen Raum, der hell beleuchtet ist, voller Gerätschaften steht und einen großen Edelstahltisch als Mittelpunkt sieht. Handwerkzeuge hängen von den Wänden und sind fein säuberlich aufgereiht. Es muffelt irgendwie nach Fleisch und Blut, und es ist auch nicht gerade behaglich warm. Naja, wir sind ja zum Arbeiten da und nicht auf der Sonnenbank, sondern eher auf der Schlachtbank. Unsere Gruppe hat sich zu einem Weißwurstkurs in Königsdorf in der Nähe von Bad Tölz verabredet, und jetzt wird es ernst. Nach einigen Minuten und einer kurzen Einführung durch Metzgermeister Uli Hofherr (37) haben wir uns an den strengen Geruch gewöhnt, es kann losgehen.
Gummimantel und Stechhandschuh
Als erstes bekommen wir die Hygienebekleidung gereicht, die bei einem Kurs wie diesem vorgeschrieben ist. Diese besteht aus einer Art Duschhaube und einem weißen Gummimantel. Ehe es daran geht, die großen Kalb- und Schweineteile fachgerecht zu bearbeiten und vom Knochen zu lösen, bekommen wir das wichtigste Utensil übergestreift, einen Stechhandschuh.
Denn die Messer, die verwendet werden, haben derart scharfe Klingen, dass es äußerst fahrlässig wäre, ohne diesen Schutz zu arbeiten, denn ein Abrutschen kann zu gefählichen Schnittverletzungen führen. Eine Portion Konzentration kann auch nicht schaden.
Uli Hofherr hat das Fleisch, das von uns zerlegt werden soll, aus der Kühlung gebracht, von Fett und Sehnen befreit und auf den Metalltisch gelegt. Einer kann es kaum erwarten, sein Messer zum Einsatz zu bringen, aber der Metzgermeister erklärt ihm und uns noch kurz, worauf es ankommt. Bernd, der aus Dresden angereist ist, scheint ein Fachmann zu sein. Alles andere als laienhaft und mit sicherer Hand löst er das Fleisch vom Knochen. Als ob er das schon öfter getan hätte. Er versichert jedoch glaubhaft, das noch nie gemacht zu haben.
Fingerfertigkeit ist gefragt
Wir anderen Teilnehmer kommen aus dem Staunen nicht heraus, denn es bedarf schon einer gewissen Fingerfertigkeit, die richtigen Schnitte anzusetzen. Nicht jeder hat Bernds Talent. Doch mit der Zeit und den nötigen Tipps vom Metzger bekommen auch wir alle das Geschehen immer besser in den Griff. Wir sind so beschäftigt, dass uns der strenge Geruch gar nicht mehr auffällt.
Bald sieht man von den kiloschweren Fleischstücken nicht mehr viel. Die Teile werden immer kleiner, die Knochen sind zur Seite gelegt. Sie werden im angrenzenden Wirtshaus ausgekocht und daraus wird eine Demi–glace („Kraftsauce“) hergestellt. Zum Schluss bleiben Gulaschstückgroße Brocken übrig, die im nächsten Schritt im Fleischwolf landen.
15 Kilo ergeben 200 „Weiße“
Aber nicht nur das zerkleinerte Fleisch kommt dort hinein, sondern auch reinstes Schweinerückenfett. Dieses gibt wesentlich mehr Geschmack ab als ein anderes Fett oder Öl. Insgesamt benötigen wir für 15 Kilogramm Weißwürste 6,6 Kilo mageres Fleisch (dieses muss zur Hälfte vom Kalb stammen, die andere Hälfte vom Schwein), 4,4 Kilo Speck und vier Kilo Crasheis.
Ferner benötigen wir für die Brätmasse eine große, klein gewürfelte Zwiebel, klein geschnittene Petersilie und Gewürze. Hofherr verwendet Kardamom, Pfeffer, Zitronenpulver und Marcis (Muskatblüte), die unverzichtbaren Grundzutaten quasi, andere Metzger greifen gerne auch noch auf Ingwerpulver zurück. Von welchen Gewürzen der 37-Jährige wieviel nimmt, verrät er nicht. „Da hat jeder seine eigene Rezeptur, das bleibt mein Geheimnis. Denn Weißwurscht ist ja nicht gleich Weißwurscht.“ Vermengt in einer Schüssel riecht das Gemisch richtiggehend fruchtig. Auf die gesamte Menge – es soll zirka 200 „Weiße“ ergeben – kommen 105 Gramm Gewürzmischung sowie 75 Gramm Kochsalz hinzu.
Crasheis ist unverzichtbar
Mit dem Crasheis hat es bei den Weißwürsten seine eigene Bewandtnis, denn ohne diesen kalten Zusatz würde das Eiweiß gerinnen, und das sollte tunlichst vermieden werden.
Vom Fleischwolf aus, wo das Fleisch und der Speck durchgelassen wurden, wird das Gemisch danach in den Kutter gegeben, in dem es „zermalmt“ wird, will heißen: dort wird das Fleisch und das Fettgewebe mit einer Messervorrichtung, die rasend schnell rotiert, zerkleinert. Jetzt kommen die Zwiebel, Petersilie, die Gewürze und in einem ersten Schritt ein Teil des Eises hinzu. Es entsteht das Brät. Der Metzgermeister legt an die Masse im wahrsten Sinne des Wortes Hand an, lässt es durch seine Finger gleiten und prüft das entstandene Produkt ganz genau. Danach gibt er das restliche Eis hinzu und lässt den Kutter ein letztes Mal rotieren, ehe das cremige Brät eine derart geschmeidige Struktur angenommen hat, dass es an einen Kuchenteig erinnert.
Das Brät kommt in den Darm
Jetzt sind wir Teilnehmer wieder an der Reihe, denn das Brät ist mittlerweile in der Abfüllanlage und muss in den Schweinedarm, und das am Besten so gleichmäßig wie möglich. Das ist gar nicht so einfach, weil die „Wurstschlange“ ja auch noch abgedreht werden muss. Abfüllen und abdrehen erfordern sehr viel Geschick und Fingerfertigkeit; zudem dürfen die „Weißen“ nicht unterschiedlich groß und lang sein – sie sollten zwischen 80 und 85 Gramm wiegen und ungefähr eine Länge von 15 Zentimetern haben.
Allmählich bekommen wir Hunger. Uli Hofherr schaut auf die Uhr. „Nur noch eine knappe halbe Stunde, dann könnt ihr euere selbst gemachten Weißwürste probieren. Ihr werdet begeistert sein, weil es mit Sicherheit die frischesten ‚Weißen‘ sind, die ihr jemals probiert habt.“
Der 37-jährige gibt die Weißwürste nun in ein Wasserbad; dort dürfen sie bei etwa 70 Grad 20 Minuten lang ziehen; durch das Brühen bekommt die Weißwurst ihre typische Farbe.
Zwischenzeitlich hat jeder von uns ein Weizenbier eingeschenkt bekommen, denn ohne das obergärige Gebräu ist das Verspeisen einer Weißwurst für einen Bayern nicht denkbar. Ebensowenig dürfen eine Brezn und süßer Senf fehlen.
Jetzt wird gezuzelt
Die Brühwürste sind jetzt fertig und stehen zum Verzehr bereit. Kathrin aus Leipzig, die zum allerersten Mal in ihrem Leben eine Weißwurst aufgetischt bekommt, sucht Besteck – vergeblich. Metzger Hofherr erklärt ihr, dass alle Teilnehmer, die bei ihm einen Weißwurstkurs belegen, darauf verzichten müssen, weil „wir in Bayern sind und da die Weißwurst gezuzelt wird.“
Kathrin ist nicht ganz geheuer zumute, und fragt, was zuzeln sei? Eine Antwort darauf bekommt sie nicht. „Du wirst gleich sehen, wie das die bayerischen Teilnehmer machen.“
Nun ist meine große Stunde gekommen. Ich nehme die ‚Weiße‘ in die Hand, tauche sie kurz in den Senf, führe das „Objekt der Begierde“ zum Mund und sauge das Brät heraus. Ein Hochgenuss! Jedem mundet die länglich-dicke urbayerische Spezialität so gut, dass es keiner von uns bei nur einer Wurst belässt. Auch ganz ohne Besteck. Nicht-Bayern dürfen die Weißwurst natürlich auch mit Messer und Gabel essen. Dabei wird die Wurst der Länge nach aufgeschnitten und aus der Haut gepellt.
Die Mär vom Zwölf-Uhr-Läuten
Die Mär, dass eine Weißwurst das Zwölf-Uhr-Läuten nicht hören darf, hat einen geschichtlichen Hintergrund und hält sich hartnäckig. Da es 1857 – in diesem Jahr soll der Legende nach der Münchner Metzger Sepp Moser diese Delikatesse erfunden haben – noch keine Kühlschränke oder Kühlaggregate gab, musste die Wurst, weil frisch zubereitet und daher leicht verderblich, schnell auf den Tisch kommen und vertilgt werden. Also bis spätestens 12 Uhr. Seit einigen Jahrzehnten ist dieses Prozedere natürlich längst überholt – Weißwürste werden den ganzen Tag über angeboten.
Infos: Auskünfte zum Weißwurstkurs bei Posthotel Hofherr, Hauptstr. 31, 82549 Königsdorf, Tel.: (08179) 5090; E-Mail: Mail@posthotel-hofherr.de; Internet: www.posthotel-hofherr.de
Es ist ja echt interessant, den ganzen Prozess der Zubereitung zu verfolgen! Während unserer Reise in Ried im Innkreis haben uns Weißwürstchen sehr gut geschmeckt, dazu auch Brezeln und Weißbier! Echt leckere Spezialitäten aus Bayern! Danke für eine schmackhafte Erinnerung!
Ich liebe Weißwurst! Richtig interessant zu lesen wie Weißwurst eigentlich gemacht wird. Wie Sie schon sagen, isst man Weißwurst mit Senf. Am besten auch mit Weißbier.