Um Würzburg richtig wertschätzen zu können, muss der Betrachter einige hundert Jahre zurückgehen, ins 14. und 16. Jahrhundert. Denn damals lebten in den Mauern der Stadt zwei großherzige und mildtätige Menschen, nämlich Johannes von Steren (1270 – 1329) und Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn (1545 – 1617). Beide verteilten völlig uneigennützig ihren Reichtum unter den Bürgern, um alten und kranken Menschen in ihrer Not zu helfen. Noch heute zehren die Einwohner von diesen außergewöhnlichen Wohltaten dieser beiden „Helden“.
Von Steren war Patrizier und Gründer des Bürgerspitals, der ältesten Stiftung im Stadtgebiet Würzburgs (seit 1316). Von Echter war Theologe, Domdekan und Politiker und von 1573 an bis zu seinem Tod Fürstbischof. Ihm verdanken die Würzburger die Stiftung Juliusspital. Zur Erklärung: Ein Fürstbischof war ein Bischof, der in Personalunion mit seiner geistlichen Macht auch weltliche Herrschaft – als Landesherr – ausübte. Und Patrizier waren Menschen, die der Oberschicht angehörten, also wohlhabend waren.
Barmherzig und gemeinnützig
Wo heutzutage die Pflege alter und/oder kranker Menschen ein Vermögen kostet, spielte damals das Wort Barmherzigkeit eine herausragende Rolle. Zu dieser Zeit war es regelrecht ein Trend, sich gemeinnützig zu zeigen. Von Steren und seine Gattin Mergardis überließen der Stadt im Jahr 1316 ihr Anwesen in der Semmelgasse (heute Semmelstraße 12) mit der Auflage, pflegebedürftige, in Not geratene, arme und kranke Menschen aufzunehmen; damit war die Stiftung „Neues Spital“ gegründet, das seit dem 16. Jahrhundert „Bürgerspital zum Heiligen Geist“ genannt wird.
Die Hospitalstiftung betreibt heute mehrere Seniorenstifte- und Wohnheime, auch eine geriatrische Einrichtung. Umfangreiche Liegenschaften und das Weingut (mit 120 Hektar Anbaufläche eines der größten und ältesten Weingüter in Deutschland) bilden die finanzielle Grundlage der Stiftung. „Die finanziellen Zuwendungen waren somit die Vorläufer der Sozialversicherung, wie wir sie heute kennen“, erklärt Robert Haller, Weingutsdirektor des Bürgerspitals.
Nicht viel anders verhält es sich mit dem Juliusspital. Als Julius Echter 250 Jahre nach Gründung des Bürgerspitals erkannte, dass in der Residenzstadt weitere Armen- und Krankenhäuser fehlten, stiftete er noch ein Spital, und zwar aus seinem Privatvermögen und seinen Einkünften als Fürstbischof. Kernstück ist heute ein Krankenhaus mit über 350 Betten, ein Seniorenstift, eine Hospiz- und eine Palliativeinrichtung. Außerdem gehören zum Stift 3250 Hektar Wald, 1100 Hektar landwirtschaftliche Güter und das Weingut (ist mit 180 Hektar Weinbergen das zweitgrößte Weingut Deutschlands und damit Bayerns größtes) sowie das Kloster Vogelsburg. Die Stiftung ist gemeinnützig; alle Erträge fließen in die Kranken- und Pflegeeinrichtungen!
„Wir denken hier in Jahrhunderten“
Noch einmal zur Verdeutlichung: Für beide Stiftungen gilt, dass alle erwirtschafteten Gewinne, natürlich auch die der Weinberge, beiden Spitälern voll und ganz zur Verfügung gestellt werden. Robert Haller: „Mit jeder Flasche Wein, die verkauft wird, wird das soziale Engagement unterstützt. Wir denken hier in Jahrhunderten.“ Sein Kollege vom Juliusspital, Horst Kolesch, pflichtet bei: „Wir müssen immer unseren guten Ruf fördern, weiter ausbauen und stabilisieren.“ Beide Direktoren sind sich ihrer Verantwortung für die Stiftungen bewusst und führen mit dem traditionellen Weinbau den Stiftungsgedanken fort. Und widersetzen sich nicht modernen Verfahren, um dem Qualitätsanspruch der Weine weiterhin gerecht zu werden.
Etwas ganz Besonderes
Die beiden Stiftungen liegen zentral in der Stadt, keine fünf Gehminuten voneinander entfernt, und machen so die unterfränkische 125 000-Einwohner-Metropole zu etwas ganz Besonderem. Denn es gibt weder ein städtisches Krankenhaus – dessen Aufgaben übernimmt das Juliusspital – noch städtische Altenheime. Deren Bestimmung fällt dem Bürgerspital anheim. Das Juliusspital liegt mitten in einer äußerst gepflegten Parkanlage, einer prunkvollen Ruheoase, und ist ein in seinen Ausmaßen imposantes Barockgebäude mit einer beeindruckenden Fassade, die an alles andere erinnert, nur nicht, dass hinter diesen Mauern Operationssäle und Krankenzimmer untergebracht sind.
Ein Kleinod von unschätzbarem Wert ist die Apotheke der Stiftung Juliusspital. Sie versorgt seit über 350 Jahren das Krankenhaus mit Arzneimitteln. In ihren Räumen befindet sich eine noch vollständig erhaltene und kunsthistorisch interessante Rokoko-Offizin (als eine Offizin bezeichnet man seit dem späten Mittelalter eine Werkstatt, die hochwertige Waren produziert, mit angeschlossenem Verkaufsraum).
Edle Tropfen in tiefen Gewölben
Sowohl das Julius- als auch das Bürgerspital sind Stiftungsweingüter allerersten Ranges; dort werden edle Tropfen kreiert.
Das Juliusspital verfügt über Rebland in allen fränkischen Spitzenlagen: am Würzburger Stein (Kolesch: „unsere Paradelage“), Randersackerer Pfülben, Iphöfer Julius-Echter-Berg, Rödelseer Küchenmeister, Escherndorfer Lump und Vogelsburger Pforte. Vorherrschende Rebsorte ist der Silvaner, stark vertreten sind auch Riesling und Müller-Thurgau. Insgesamt werden 60 verschiedene Weine produziert. In seiner Dimension und Weitläufigkeit nicht leicht zu toppen ist der 250 Meter lange Keller mit 220 Fässern und Flaschenlager; Horst Kolesch staunt immer wieder aufs Neue, wenn er hinuntersteigt in das überdimensionale, altehrwürdige Gewölbe, das er als „unser Prunkstück“ bezeichnet; es befindet sich unter dem 1699 entstandenen Barockbau, dem Wahrzeichen der Stiftung. 600 000 Liter Wein in Eichenholzfässern mit einem Fassungsvermögen von 2400 bis 8050 Litern werden hier gelagert; der Rebensaft bekommt hier die nötige Ruhe, um zu reifen und die gewisse Raffinesse zu erhalten, die ihn auszeichnet.
Die edlen Tropfen werden in Bocksbeutel gefüllt
Im Bürgerspital-Weingut werden die Erträge von 120 Hektar Betriebsfläche verarbeitet, vor allem Riesling, Silvaner und Burgunder. Die wertvollsten Lagen sind Würzburger Stein und Stein-Harfe. Die Reben gedeihen auf drei verschiedenen Böden: Gips-Keuper, Muschelkalk und Buntsandstein; bewirtschaftet werden besonders Hanglagen und für Franken typische Steilhänge mit Steigungen von bis zu 60 Prozent. Abgefüllt werden die edlen Tropfen in Bocksbeutel. Seit bald 300 Jahren sind diese bauchigen Flaschen typisch für den Frankenwein; der erste Bocksbeutel wurde im Jahr 1726 befüllt – das Bürgerspital gilt somit als seine Wiege.
1540er Steinwein
In einer Vitrine der „Schatzkammer“ des Bürgerspitals gilt es, einen Blick auf den ältesten, authentischen Weißwein der Welt zu richten, den legendären 1540er Steinwein aus der steilen Lage Stein oberhalb von Würzburg.
Im Jahr 1996 überreichte ein Ehepaar aus England dem Bürgerspital-Weingut ihre Weinsammlung, unter anderem den 1540-er Steinwein, als Dauerleihgabe. 1540 war, so Kenner der Zunft, ein „Jahrtausendwein“, und der Inhalt der Flasche, die in der Vitrine lagert, mit Sicherheit noch trinkbar. Man müsste sich aber beeilen. Denn: der Wein würde sich wahrscheinlich, wenn er mit Luft in Berührung kommt, schnell verflüchtigen. Wäre schade um die 40 000 Euro, auf die die Flasche samt Inhalt geschätzt wird.
Gar nicht so unwahrscheinlich ist es, dass Kaiser Karl V. (1500 – 1558), William Shakespeare (1564 – 1616) oder Martin Luther (1483 – 1546) zu Lebzeiten den 1540-er Steinwein verköstigt haben.
Informationen: Weingut Juliusspital Würzburg, Klinikstr. 1, 97070 Würzburg, Tel.: (0931) 3 93 14 00; Internet: www.juliussptital.de.; E-Mail: weingut@juliusspital.de. – Weingut Bürgerspital Würzburg, Theaterstraße 19, 97070 Würzburg, Tel.: (0931) 3 50 34 41; Internet: www.buergerspital-weingut.de; E-Mail: weingut@buergerspital.de