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Weltnaturerbe Wattenmeer: Launige Wanderung auf dem Meeresgrund – 3. Teil

In Abwandlung des Zitats von Matthias Claudius, dem großen deutschen Dichter und Journalisten (1740 – 1815), der einst sagte: „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen“, kann ein Nordseeurlauber behaupten: „Wenn einer eine Wattwanderung macht, dann kann er auch etwas erzählen“. Und nicht zu wenig.

Die Wanderung unserer Gruppe beginnt in Cuxhaven, im Ortsteil Sahlenburg, an der Rettungsstation. Hoffentlich kein schlechtes Omen! Denn wir wollen uns ja noch Cuxhaven ansehen. Dazu müssen wir unversehrt zurückkommen. Naja, es wird schon klappen.

Cuxhaven ist eine Reise wert

Das Wattenmeer der Nordsee bietet einer Vielfalt von Tieren und Pflanzen einen Lebensraum, den man am besten bei einer Wattührung mit einem erfahrenen Wattführer machen sollte. - Foto: Nordseeheilbad Cuxhaven

Das Wattenmeer der Nordsee bietet einer Vielfalt von Tieren und Pflanzen einen Lebensraum, den man am besten bei einer Wattührung mit einem erfahrenen Wattführer machen sollte. – Foto: Nordseeheilbad Cuxhaven

Von Cuxhaven haben wir noch nicht viel gesehen, die Wattwanderung hat Vorrang. Nur soviel: Die 50 000-Einwohner-Stadt an der Mündung der Elbe in die Nordsee ist eine Reise wert. 3,5 Millionen Übernachtungen im Jahr sprechen eine deutliche Sprache. 2500 Betriebe, von der kleinen Ferienwohnung bis zum Luxushotel, stellen insgesamt 37 000 Betten zur Verfügung. Die Hauptsaison läuft von Mitte März bis 31. Oktober, wobei die Nordsee eine Ganzjahresdestination ist. Aber November bis Mitte Dezember wird es etwas ruhiger, dann, an Weihnachten und über den Jahreswechsel, steigt die touristische Nachfrage wieder stark an.

Wattführer Karsten Bronk. - Foto: Dieter Warnick

Wattführer Karsten Bronk. – Foto: Dieter Warnick

Duhnen, ein weiterer Stadtteil, der sich westlich der Kernstadt befindet, ist stark vom Tourismus geprägt. Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen, Restaurants, Kneipen – der Gast findet mit Sicherheit die richtige Unterkunft und das richtige Lokal, um es sich so richtig gut gehen zu lassen.

Fischspezialitäten haben natürlich absolute Priorität. Schließlich ist Cuxhaven nach Bremerhaven der zweitgrößte Fischereihafen an der deutschen Nordseeküste. Die Uferpromenade in Duhnen ist breit, der Strand weitläufig.

Wer nicht baden, herumlümmeln, spazierengehen oder bummeln möchte, der leiht sich ein Fahrrad aus. Immerhin können in Cuxhaven und Umgebung 200 Kilometer auf dem Drahtesel zurückgelegt werden.

Eine multikulturelle Stadt

Unzählige Muscheln finden sich auf dem Boden der Nordsee. - Foto: Dieter Warnick

Unzählige Muscheln finden sich auf dem Boden der Nordsee. – Foto: Dieter Warnick

Überhaupt: Cuxhaven gibt sich multikulturell, es gibt (fast) nichts, was es nicht gibt. Anett Bentert von der Marketingabteilung der Stadt sagt ganz lapidar: „Hier kann man alles machen“. Schon vor 600 Jahren war die Hafensiedlung eine Schönheit, vor allem Hamburg fand den Ort schon damals äußerst begehrenswert und vereinnahmte ihn mehrfach. Zuletzt 1924 mit der Einführung der Hamburgischen Städteordnung. Überbleibsel ist bis heute die Insel Neuwerk. Sie gehört politisch zum Ortsteil Hamburg-Mitte, liegt Cuxhaven quasi vorgelagert im südöstlichen Teil der Helgoländer Bucht bzw. im südwestlichsten Teil der Elbmündung.

Auf ins Watt

Hoch zu Ross durch das Watt. - Foto: Dieter Warnick

Hoch zu Ross durch das Watt. – Foto: Dieter Warnick

Wer in Cuxhaven eine Wattwanderung bucht, hat die große Auswahl. Da gibt es Wattwanderungen für Große und für Kleine (mit ihren Eltern oder Großeltern), große und kleine Wattwanderungen, Sonnenuntergangswanderungen für Erwachsene, Wattführungen mit Bernsteinsuche, eine Kompasskurs-Wattwanderung sowie Wattwanderungen, die sich andere, spezielle Themen zum Ziel gesetzt haben. Unsere Gruppe wil einfach nur das Wattenmeer erkunden.

Wenn das Wasser abgelaufen ist, finden sich diese Sandstrukturen. - Foto: Dieter Warnick

Wenn das Wasser abgelaufen ist, finden sich diese Sandstrukturen. – Foto: Dieter Warnick

Los geht’s in Sahlenburg, wo uns Wattführer Karsten Bronk erwartet. Alle Teilnehmer haben sich Neoprenfüßlinge, Turnschuhe oder Gummistiefel angezogen, weil, so Bronk, „es könnte ein bisschen unangenehm werden.“ Es wird nicht gern gesehen, barfuß zu gehen.

Der Verletzungsgefahr wegen. „Erst neulich hat sich eine Dame, die unbedingt barfuß laufen wollte, an einer scharfkantigen Muschelschale die Fußsohle aufgeschnitten“, hebt Bronk mahnend den Zeigefinger.

Die Gärtner der Meere

Auf Strandkrabben trifft man im Wattenmeer auf Schritt und Tritt. - Foto: Dieter Warnick

Auf Strandkrabben trifft man im Wattenmeer auf Schritt und Tritt. – Foto: Dieter Warnick

Wir hören zunächst nur den Wind, das Knistern des Schlicks und die Rufe der Vögel. Das Watt lebt! Und wie. Am Himmel ziehen große Vogelschwärme vorbei, Wattvögel laufen auf der Suche nach Würmern und Muscheln geschäftig über den Meeresgrund. Doch die meisten Tiere, die es im Watt gibt, sehen wir gar nicht. Sie haben sich in den Meeresboden eingegraben.

Schattenspiele am Wrack im Sahlenburger Watt. - Foto: Dieter Warnick

Schattenspiele am Wrack im Sahlenburger Watt. – Foto: Dieter Warnick

Wattführer Bronk versichert glaubwürdig, dass es nicht nur Würmer (Bronk: „Das sind die Gärtner der Meere“), Muscheln, Krabben, Seesterne, Krebse oder Schnecken gibt, sondern viele weitere kleine bis kleinste Lebewesen wie den Bäumchenröhrenwurm oder die Ohrenqualle. Nicht zu vergessen die unzähligen Pflanzenarten wie den Blasentang oder den Queller.

Herzmuscheln und Wattwürmer spritzen Wasser und Sand in die Höhe, Garnelen flitzen im seichten Wasser davon, und sogar Plattfische lassen sich sehen. Bräunlich-glitschig überziehen Mikroalgen den Wattboden, deren Luftblasen an der Oberfläche platzen. Wir scharren mit den Füßen im Schlick und entdecken so das eine oder andere Tierchen, mit dem wir nicht gerechnet haben. Wir spüren Salz auf den Lippen und atmen den Geruch des Wattbodens ein.

Wie eine Fata Morgana

Am Horizont ist die Insel Neuwerk zu sehen. Ganz nah erscheint sie. Die Sicht ist ausgezeichnet, so dass man annehmen möchte, in einer Stunde dort zu sein. Aber wie bei einer Fata Morgana täuschen wir uns gewaltig. Denn durch die Ablenkung des Lichtes an unterschiedlich warmen Luftschichten entsteht dieser optische Effekt, der uns das Weite so nah erscheinen lässt. Karsten Bronk erklärt, dass wir die Insel auf keinen Fall erreichen würden, weil wir zu spät gestartet sind. „Die Flut kommt schneller als ihr denkt.“

Hoch zu Ross im Watt

Alles andere als alltäglich: ein Picknick auf dem Meeresgrund. - Foto: Dieter Warnick

Alles andere als alltäglich: ein Picknick auf dem Meeresgrund. – Foto: Dieter Warnick

Hinter uns taucht eine Gruppe Reiter hoch zu Ross auf, Pferdekutschen und Wattwagen mit Menschen darauf ziehen vorbei und überholen uns. Es sind Neuankömmlinge, die auf der Insel Urlaub machen. Als besonderen Service bietet ein Wattwagenunternehmen den Gepäcktransport an. Wir laufen durch Priele oder überqueren sie. Dann kommt ein Abschnitt, der total steinig ist. Trotz der Neoprensocken, die eine feste Sohle haben, spüren wir jeden Stein. Es ist unangenehm, aber ein Zurück gibt es nicht, und einen Umweg zu gehen, in dem es keine Steine gibt, ist viel zu lang. Wir müssen immer die Zeit im Blick haben. Das ist bei einer Wattwanderung das oberste Gebot. Wir müssen da jetzt durch! Nach schmerzhaften und langen zehn Minuten ist es geschafft.

Rettungsbaken retten Menschenleben

Ein Gastronom von der Insel Neuwerk hatte die Idee, Wattwanderer mit Fischbrötchen und Getränken zu versorgen. - Foto: Dieter Warnick

Ein Gastronom von der Insel Neuwerk hatte die Idee, Wattwanderer mit Fischbrötchen und Getränken zu versorgen. – Foto: Dieter Warnick

Dann fragt uns Karsten Bronk, ob wir wüssten, welchem Zweck die großen Masten, die in regelmäßigen Abständen im Boden verankert sind, dienen würden. Wir, allesamt Landratten, schütteln den Kopf. Keine Ahnung. „Das sind Rettungsbaken“, erklärt der Wattführer, „also Zufluchtsorte für gestrandete Wattwanderer, die bei unerwarteter Flut Menschenleben retten.“ An der Spitze der Masten befindet sich ein geschlossener Korb aus Metallgitter, der über eine Bodenluke mit einer Leiter erreichbar ist. Dieser Gitterkorb dient bei Gewitter als Faradayscher Käfig, der vor den Auswirkungen von Blitzschlägen schützt.

Auf dem Rückweg: unsere dreistündige Wattwanderung nähert sich dem Ende. - Foto: Dieter Warnick

Auf dem Rückweg: unsere dreistündige Wattwanderung nähert sich dem Ende. – Foto: Dieter Warnick

Bronk, nie um einen flotten Spruch verlegen, nennt solche Rettungsbaken süffisant „Kurgastreusen“, weil es immer wieder vorkommt, dass Gäste, die ohne Wattführer unterwegs sind, das Gezeitenspiel total unterschätzen. Auf den elf Kilometern zwischen Sahlenburg und Neuwerk stehen seit den 1970er-Jahren sieben dieser Baken. Bronk berichtet: „Die Nummer fünf ist die ‚Ertragreichste‘. Dorthin muss die Wattrettung Cuxhaven am häufigsten ausrücken.“ Eine Rettungsbake bietet im Normalfall etwa sechs Personen Schutz, „aber den Rekord hält eine Schulkasse mit einer Lehrerin und ihren zwölf Schülern.“ Insgesamt kommt es auf dieser Strecke jährlich zu etwa 30 Rettungseinsätzen.

Fischbrötchen und Bier

Zufluchtsort für von der Flut bedrohte Wattwanderer: eine Rettungsbake. - Foto: Dieter Warnick

Zufluchtsort für von der Flut bedrohte Wattwanderer: eine Rettungsbake. – Foto: Dieter Warnick

Den Höhenpunkt unserer Wattwanderung erleben wir eine halbe Stunde später, als wir einen Traktor erreichen, der einen Picknickwagen hinter sich her zieht. Ein findiger Hotelier aus Neuwerk hatte die Idee, auf halber Strecke zwischen Sahlenburg und der Insel eine „Wattoase“ aufzubauen. Wir stehen mit den Füßen im Schlick, lassen uns verschiedene Fischbrötchen schmecken (u.a. mit Krabben, Lachs, Matjes- und Heringsfilet) und zischen ein frisch gezapftes Pils – eine überaus originelle Idee. Unsere Gruppe ist begeistert. Wer hätte mitten im Meer eine solche Überraschung erwartet… Wer will, kann auch Kuchen und Kaffee bestellen, oder ein Gläschen Sekt. Und wer danach mal Muss, für den steht ein eigens konstruierter Toilettenwagen zur Verfügung.

Dann wird es allmählich Zeit für den Rückweg. Trödeln dürfen wir jetzt nicht. Kurz vor dem Festland führt uns Karsten Bronk noch zu einem freigeschwemmten Wrack eines Segelschiffes und zu alten Flugzeugteilen, die in den vergangenen Jahren durch schwere Winterstürme aus dem Meeresboden gespült wurden. Die Reste des untergegangenen Seglers malen mit den Holzbohlen noch immer ihre Umrisse ins Watt und lassen uns einen direkten Blick auf die abenteuerliche Geschichte der Seefahrt werfen.

Informationen: Wattwandern mit Karsten Bronk, Brandentenweg 2, D-27639 Wurster Nordseeküste, Tel.: (0173) 7 34 15 19; E-Mail: kontakt@wattwandernneuwerk.de

Raushier-Reisemagazin

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