Wer den Namen der Stadt Nagasaki hört, denkt sofort an den Abwurf der zweiten Atombombe auf Japan am 9. August 1945. Dass Nagasaki die Wiege des Katholizismus in Japan ist, ist weniger bekannt. In der Stadt auf der subtropischen Insel Kyushu begegnen wir auf unserer Rundreise an vielen Orten Spuren des Christentums: Kathedralen, Kirchen und Gedenkorte für christliche Märtyrer – einzigartig in einem Land, das wir bisher mit Tausenden buddhistischen Tempeln und Shinto-Schreinen übersäht kennengelernt haben. Kyushu lockt außerdem mit viel Natur und geologischen Besonderheiten.
Südlichste Hauptinsel
Kyushu ist die südlichste und drittgrößte Hauptinsel Japans und begeistert durch ihre landschaftliche Schönheit. Besonders angetan hat es uns die Hafenstadt Nagasaki, die an der Westküste der Insel beidseits der Mündung des Urakami-Flusses liegt. Es empfängt uns eine heitere, weltoffene Stadt, in der die Wunden der Atomtragödie verheilt scheinen und die sich hervorragend mit Hilfe der drei Trambahnlinien erkunden lässt.
Friedenspark und Atomic Bomb Museum
Wir starten mit dem Friedenspark rund um das Epizentrum und dem Atomic Bomb Museum. Dass der Atombombenabwurf Nagasaki traf, war Zufall. Denn die Stadt stand ursprünglich nicht auf der Liste möglicher Ziele, vielmehr hatte die US-Luftwaffe Kokura im Norden Kyushus ausgewählt, das am Unglückstag glücklicherweise dichte Wolken umhüllten. So nahm das Schicksal für Nagasaki seinen Lauf. Die Stadt hatte damals rund 260 000 Einwohner (heue zirka 383 000) und war ein wichtiger Standort des Mitsubishi-Rüstungskonzerns. In den Werften des Unternehmens wurden unter anderem die Torpedos hergestellt, mit denen die japanischen Marinestreitkräfte im Dezember 1941 Pearl Harbour angegriffen hatten.
Im Atomic Bomb Museum rückt das Grauen anhand von Fundstücken, Aussagen von Betroffenen und Fotos nah an uns heran. Von der Wucht der Explosion zeugen beispielsweise die Überreste der Urakami-Kathedrale, seinerzeit eine der imposantesten katholischen Kirchen in Asien. Erhalten blieben nur Teile der Fassade, die heute ins Museum integriert sind. „Bring mich in die Vergangenheit zurück, nur einmal. Ich möchte meinen Vater, ich möchte meine Mutter, meinen Bruder, meine Schwester zurück,“ wird der fünfjährige Fujio Tsujimoto zitiert – Worte, die uns wie viele weitere Berichte von Zeitzeugen mitten ins Herzen treffen.
Sundowner auf dem Inasa-Berg
Um die Schwere abzuschütteln, geht es danach zum Sundowner auf den Inasa-Berg. Von der Seilbahnstation Fuchijinja fahren wir auf 333 Meter Höhe. Auf dem Inasa-Gipfel empfängt uns ein Observatorium mit großer Aussichtsterrasse. Das nächtliche 360-Grad-Panorama gilt als eines der schönsten Japans.
Die Seilbahnbetreiber preisen es neben Hongkong und Monaco sogar als eines der drei romantischsten weltweit. Tatsächlich blicken wir auf eine zerklüftete Küste mit einer Vielzahl kleiner Inseln, die die Sonne in orangerotes Abendlicht taucht. Die Bucht von Nagasaki mit Schiffswerften, Bootshafen und den Terminals der Kreuzfahrtschiffe breitet sich malerisch unter uns aus. Das Lichtermeer bringt den Nachthimmel zum Leuchten. Danach sind wir für ein Abendessen in der kleinen Chinatown Nagasakis bereit.
Spuren des Christentums
Am zweiten Tag begeben wir uns auf die Spuren des Christentums. 1571 erreichten erste ausländische Schiffe Nagasaki, den damals einzigen offenen Handelshafen Japans. An Bord waren nicht nur Händler, die auf gute Geschäfte hofften, sondern auch Missionare aus Portugal und Spanien – mit dem Ziel, viele Seelen für den katholischen Glauben zu gewinnen. Mit Erfolg: Ende des 16. Jahrhunderts bekannten sich über 200 000 Menschen auf Kyushu, aber auch viele in Zentraljapan zum Katholizismus.
Einziger offener Hafen der Edo-Zeit
Mit dem Beginn der Edo-Zeit unter Shogun Tokugawa Ieyasu begann Anfang des 17. Jahrhunderts eine Epoche strenger Isolation, in der sich Japan für über 200 Jahr von der restlichen Welt abschottete. Nagasaki war der einzige Hafen, in dem ausländische Schiffe anlegen durften.
Die ankommenden Händler und Geschäftsleute durften sich nur auf einer künstlichen Insel im Hafenbecken – der Dejima – aufhalten. Die Dejima wird derzeit aufwändig rekonstruiert, der Besuch lohnt sich aber schon jetzt auf jeden Fall. Wir schlendern durch Tatami-Häuser, Werkstätten und die Niederlassung der Niederländischen Ostindien Kompanie, die den streng regulierten Außenhandel kontrollierte. Auf der Dejima hatte sie ihren japanischen Außenposten.
Verborgener Glaube
Shogun Tokugawa verbannte aber nicht nur die Barbaren aus dem Land, sondern verbot auch den christlichen Glauben. In der Folge entstanden auf Kyushu zahlreiche geheime christliche Enklaven, in denen Katholiken im Verborgenen ihren Glauben praktizierten. Im Norden Kyushus gibt es deshalb Dutzende versteckte Kapellen und Andachtsräume, die teilweise heute noch genutzt werden.
Japanischer Nationalschatz
Ebenso wie die imposante Oura-Kathedrale in Nagasaki selbst. Der weiß-blau getünchte, auf einer Anhöhe thronende Holzbau hat dank seiner Distanz zum Epizentrum die atomare Katastrophe fast unversehrt überstanden. Errichtet wurde das Gotteshaus 1864, als nach der Öffnung Japans in der Meji-Zeit die ausländische christliche Gemeinde stetig anwuchs. In der Kirche mit dem Rang eines japanischer Nationalschatzes versammeln sich auch heute noch Gläubige aus aller Welt zum Gottesdienst.
Lese- und Serientipp: Shogun – historischer Roman von James Clavell über die Einigung Japans und den Aufstieg des Fürsten Toranaga zum Shogun. Toranaga ist dem tatsächlichen Shogun Tokugawa nachempfunden.