„Es gibt doch nichts, was es nicht gibt.“ Das sagte vor nunmehr elf Jahren der Hotelier Stefan Charlier zu seiner Frau Gabriele. Was war geschehen? Der umtriebige Gastronom fand im Internet eine Anzeige, in der ein Seminar für die Zucht von Weinbergschnecken angeboten wurde. Kurzerhand meldete er sich zusammen mit seiner Frau dort an und war sofort, im wahrsten Sinne des Wortes, auf den Geschmack gekommen. Der gelernte Koch und Konditor, der schon immer den Hang hatte, neue Trends aufzutun, hatte ein Nischenprodukt entdeckt, dem seither seine ganze Liebe gilt. „Es gehört eine Menge Idealismus dazu, Schnecken zu züchten. Es ist fast schon mehr als ein Hobby“, verrät der 68-Jährige. Seit 30. Juni 2007 betreiben die Charliers die erste und einzige Schneckenfarm in Rheinland-Pfalz, und zwar in Grünstadt-Asselheim an der Deutschen Weinstraße.
Wahre Delikatessen
Auf einem 3000 m² großen Grundstück am Fuße der Weinberge werden zwei Arten von Schnecken gezüchtet: die Helix aspersa (gefleckte Weinbergschnecke) und die Helix pomatia (Burgunderschnecke). Beide Rassen wachsen unter optimalen Bedingungen bezüglich Boden, Futter und Feuchtigkeit zu wahren Delikatessen heran. Insgesamt 60 000 Schnecken werden pro Jahr geerntet; in Fachkreisen spricht man, wie beim Wein, von der „Lese“. Die Helix aspera stammt aus dem Mittelmeerraum und mag es gern warm und sonnig, und findet in der Pfalz mit 1800 Sonnenstunden exzellente Verhältnisse vor. Ihr Fleisch hat ein nussiges Aroma. Die Helix pomatia ist bekannt als „Escargot de Bourgogne“ und wird vor allem in der französischen Küche wegen ihres kräftigen Aromas bevorzugt. Sie ist in Mitteleuropa beheimatet.
Bis die „Weinbergschneckenfarm Pfalzschnecke“ in Asselheim eröffnet werden konnte, war es ein weiter Weg. Beharrlichkeit und Geduld standen bei den Charliers, deren Hotel Mitglied bei „Logis“ ist, der größten Kooperation unabhängiger Hoteliers und Restaurantbesitzer in Europa, an oberster Stelle. Acht Behörden und Institutionen mussten durchlaufen, ein passendes Grundstück gefunden und die Nachbarn überzeugt werden, dass die Schneckenzucht niemandem schaden würde. Die Skepsis war groß, aber die Aufklärungsarbeit zeigte Erfolg. Um die Nachbargrundstücke zu schützen, wurde ein 40 Zentimeter hoher Schutzzaun angebracht, den die „Langsamkriecher“ nicht überwinden können, weil das Gatter an der obersten Stelle mit einer Fett-Salz-Mischung angestrichen ist. Gleichzeitig ist es unliebsamen Eindringlingen wie Wühlmäusen, Maulwürfen oder Igeln, auf deren Speiseplan die Schnecke steht, nicht möglich, diese Sperre zu passieren.
Geringer Fettanteil und kein Cholesterin
In kulinarischer Hinsicht hat sich die Schnecke auf deutschen Tellern noch nicht so richtig durchgesetzt. Während acht von zehn Franzosen diese Delikatesse schätzen, sind es bei uns nur etwa drei von zehn Erwachsenen. Doch die Schnecke steht mehr denn je besonders für eins: Slow Food, also genussvolles, bewusstes und regionales Essen. Ihr Fleisch, reines Muskelfleisch im Übrigen, besitzt einen hohen Proteinwert, ähnlich dem von Fisch, weist aber nur einen geringen Fettanteil und kein Cholesterin auf. Ferner ist es sehr mineralstoffreich. Die Schnecke ist gastronomisch unheimlich wandelbar, ob als Suppe, Pasta, Salat oder in Kombination mit Fisch oder Fleisch überzeugt sie den Feinschmecker mit immer neuen Geschmackserlebnissen.
Dem Vorwurf etwaiger Tierquälerei, ehe die Schnecken auf dem Teller landen, widerspricht Charlier vehement: „Die Tiere sind augenblicklich tot, wenn sie zum Kochen in siedend heißem Wasser landen. Sie spüren nichts!“ In einem Gemüsefonds müssen die Tierchen dann mindestens zwei Stunden lang vor sich hin köcheln, ehe das Fleisch zart (aber dennoch bissfest) ist und weiterverarbeitet werden kann.
Am Bekanntesten ist die Zubereitung der Weichtiere, wenn sie in die Vertiefung eines Schneckenpfännchens gegeben werden, mit einer Mischung aus Butter, angeschwitzten Schalotten und Knoblauch sowie kleingehackten Kräutern beträufelt und anschließend im Grill überbacken werden. Dazu ein Baguette und einen kräftigen Pfälzer Riesling – fertig ist ein Gourmeterlebnis erster Klasse.
Artgerechte Haltung
Die Schnecken, die zwischen ausgedehnten Weinbergen in Asselheim artgerecht und authentisch gezüchtet werden, dürfen sich wie im Paradies fühlen. Sie knabbern sich durch Basilikum, Borretsch, Brennnesseln, Klee, Kohl, Lupinen, Mangold, Raps, Sonnenblumen, Spinat und andere Leckereien. Ihre ökologische Aufzucht ist beispielhaft, Worte wie Pestizid, Pflanzenschutzmittel oder Dünger sind ein Fremdwort. Nur durch eine besondere Haltung kann die Nachfrage befriedigt werden, denn Weinbergschnecken stehen bis zum heutigen Tag auf der Liste für artgeschützte Tiere.
Nach dem Winterschlaf, der von Januar bis April dauert, haben die zweigeschlechtlichen Pflanzenfresser viel Hunger. Sie lassen es sich richtig gut gehen und fressen die angebauten Wildkräuter mit großem Genuss. In einem Gewächshaus wurden Wochen zuvor, von den schönsten Exemplaren des letzten Jahres, „Schneckenkinder“ gezüchtet. Sie gedeihen in den Monaten Mai, Juni und Juli prächtig, und vermehren sich fleißig. Der Boden muss allerdings eine lockere Beschaffenheit haben, sonst können die Schnecken die Eier nicht im Boden ablegen. Wichtig ist auch, dass dieser kalkhaltig ist, denn Schnecken brauchen den Kalk zur Stärkung ihres Hauses.
Richtiggehende Wachstumsmonate sind der August und der September. Im Oktober erfolgt dann die Ernte der Helix aspera. Nach einem halben Jahr sind sie ausgewachsen. Die Helix pomatia bleibt weiter in der Farm; sie kann den Winter dort überstehen und bereitet sich ab November auf die Winterruhe vor.
Tolles Alleinstellungsmerkmal
Der Erfolg seiner Zucht gibt Stefan Charlier recht. Auf dem Teller sind die muskulösen Hausbewohner weit über Grünstadt-Asselheim hinaus ein Renner. Feinschmecker kommen von weit her, um in seinem „Logis-Pfalzhotel“, dem Restaurant „Scharfes Eck“ oder in der Weinstube „Zur Weinbergschnecke“ zu schlemmen und einen gutes Tröpfchen dazu zu trinken. Unsere Schnecken sind natürlich ein tolles Alleinstellungsmerkmal für unser Hotel“, berichtet Charlier, der mittlerweile das Logis-Pfalzhotel-Asselheim seiner Tochter Patricia und ihrem Mann Thomas übergeben hat.
Im Übrigen trieben schon die alten Römer einen regen Schneckenhandel, wohl auch deshalb, weil sie um ihre anregende Wirkung wussten. Und Napoleon ließ sich Schnecken, auch wenn er sich im Krieg befand, regelmäßig schmecken. Auch im Mittelalter war die Schnecke begehrt, weil sie – da weder Fisch noch Fleisch – in der Fastenzeit erlaubt war.
Informationen: Weinbergschneckenfarm Pfalzschnecke, 67269 Grünstadt-Asselheim, Tel.: (06359) 8003 – 0; E-Mail: info@pfalzschnecke.de; Internet: www.pfalzschnecke.de
Buchtipp: Pfalzschnecken-Buch – ein langsames, aber leckeres Koch- und Backbuch von Stefan Charlier, 192 Seiten, 65 Schneckenrezepte und zahlreiche Farbbilder. Es ist zum Preis von 10 Euro zu erwerben im Logis-Pfalzhotel Asselheim, Holzweg 6 – 8, 67269 Grünstadt, Tel.: (06359) 8003 – 0 oder unter www.pfalzhotel.de.
Ich finde es schrecklich Schnecken zu Essen! Das sollte verboten werden!