Die Bevölkerung Altbayerns, also die Spezies, die in Oberbayern, Niederbayern und der Oberpfalz zu Hause ist, kann mit dem Pfaffenwinkel durchaus etwas anfangen und weiß daher, dass damit die Region südlich von München und nördlich von Garmisch-Partenkirchen gemeint ist. In Franken und im Rest der Republik wird es schon schwieriger, jemanden zu finden, der dieses Teil Oberbayerns zuordnen kann. Der Pfaffenwinkel repräsentiert als Tourismusmarke die 34 Gemeinden des Landkreises Weilheim-Schongau sowie die Gemeinde Bad Bayersoien. Er erstreckt sich zwischen den Flüssen Lech und Loisach sowie zwischen Starnberger See, Ammersee und den Alpen. Besonders charakteristisch sind die zahlreichen Kirchen und Klöster, denen die Region ihren Namen verdankt. Eine heilige Landschaft. Das Land der Bauern, Künstler und Mönche!
159 Kirchen und viele Klöster
Der Pfaffenwinkel ist reich an Natur, Kultur und Kraftorten. Sage und schreibe 159 Kirchen stehen im Pfaffenwinkel und dazu eine stattliche Anzahl von Klöstern – daher der Name. Nirgendwo in Deutschland gibt es auf vergleichbarem Raum mehr „geistliche“ Bauten und Gemäuer, die einstmals Hochstätten der Kultur waren. Nicht allzu schwere Wanderungen zu unternehmen ist hier eine entspannende Angelegenheit, und dass auch Pilgertouren auf ausgesuchten und ausgedehnten Wegen angeboten werden, versteht sich fast schon von selbst. Beim Gehen, fern allen großen Trubels, zur inneren Einkehr finden, einen Gang herunterschalten und zur Ruhe kommen – das ist Motto und Ziel.
Für den „Profipilger“ stehen drei große Wanderwegschleifen zur Auswahl, jede hat ihren ganz eigenen Charakter. Die Nordschleife „Sprudelnde Quellen“ hat eine Länge von 96 Kilometern, die Ostschleife „Spiegelnde Wasser“ ist 118 Kilometer lang, und die Westschleife „Wilde Flüsse“ ist mit 76 Kilometern die Kürzeste. Startpunkt aller drei Touren ist der Hohe Peißenberg (987 Meter). Wer nicht das ganze Programm abspulen möchte, kann natürlich jederzeit von einem anderen Ausgangspunkt in eine der drei Schleifen „einsteigen“, abkürzen oder nur auf eine Halb- oder Eintagestour gehen. Egal, welche Route man nimmt und für welchen Zeitraum man sich entscheidet – sie führt zu besonderen Orten und Menschen.
Die Ukulele darf nicht fehlen
Wer fußläufig sich selbst ein Stück näherkommen will, findet sich bei einem/r Pilgerbegleiter/in gut aufgehoben. Eine davon ist Gaby Hoss-Reinhard. Ausgerüstet mit allem, was eine Pilgerwanderin dabei haben muss – sogar eine knallgelbe Ukulele ist im Rucksack (unterwegs wird nämlich auch gesungen), geht’s los. Die 61-Jährige ist zertifizierte Pilgerbegleiterin – belesen, wortgewandt, musikalisch, naturverbunden, umweltbewusst, unterhaltsam, erfrischend, amüsant. Wallfahren ist Gaby Hoss-Reinhard quasi in die Wiege gelegt worden, als sie 1959 in der Wallfahrtsstadt Kevelaer am Niederrhein geboren wurde. Natürlich konnte sie damals nicht ahnen, dass sie einmal in der Pilgerregion Pfaffenwinkel Wurzeln schlagen würde.
Unsere kleine Pilger-Gruppe hat sich, quasi um sich einzulaufen (nicht einzugehen) für eine Halbtageswanderung von Magnetsried zum Kloster Bernried am Starnberger See (Übernachtungsmöglichkeit eventuell möglich) entschieden, einem kleinen Teil der Ostschleife. 15 Kilometer geht es durch größtenteils unberührte Natur, nur wenige Menschen folgen uns oder kommen uns entgegen. Das Thema unserer Wanderung ist „Einzigartigkeit“.
Hochmoor „Bernrieder Filz“
Vorbei geht es an der Kirche Mariä Himmelfahrt in Jenhausen. Auf gut befestigten Feldwegen und entlang breiter Wiesenlandschaften und durch Schatten spendende, teil mystisch anmutende Wälder, erreichen wir das Hochmoor „Bernrieder Filz“, ein ausgewiesenes Naturschutzgebiet. Nicht allzu breite Holzstege verhindern dort, dass man in den weichen Boden sinkt.
Die Ruhe ist phänomenal, vor allem, wenn man sich vor Augen führt, dass ein paar Kilometer weiter der Rummel rund um den Starnberger See groß ist. Die ersten kleinen Gewässer tauchen auf, es sind die malerischen Nußberger Seen sowie andere namenlose Weiher, Teiche und Tümpel. Sie dienen vorrangig der Fischzucht. Immer wieder hält Gaby Hoss-Reinhard inne, erklärt, musiziert, geht gemeinsam mit uns in sich.
Lichterprozession in Bernried
Bald ist auch das Ziel unserer Pilgerwanderung erreicht – das Kloster Bernried. Dort gibt es jedes Jahr, immer an Mariä Himmelfahrt (15. August) eine ganz besondere Veranstaltung. Einheimische und Auswärtige treffen sich, um im Schein tausender Kerzen die Lichterprozession zu zelebrieren; Gläubige und Nichtgläubige begeben sich dabei zur Mariengrotte.
Dieses Szenario ist in Bernried Tradition. An diesem Tag finden in Bernried Gottesdienste statt, in denen Segnungen ausgesprochen und Kräuterbüsche gebunden werden. Der Gottesdienst wird musikalisch von Chören und Orchestern begleitet. Im Anschluss an diese Gottesdienste findet die Lichterprozession statt.
Wieshof: Zeitreise in die Geschichte
Hauptort des Pfaffenwinkels ist das 23 000-Einwohner-Städtchen Weilheim – liebens- und lebenswert mit einer malerischen Altstadt und farbenfrohen Häuserfronten.
Im Stadtteil Marnbach ist Elisabeth Doll mit ihrer Familie zu Hause. Sie ist Kräuterpädagogin, Hauswirtschaftsmeisterin und Gartenbäuerin, und das mit Leib und Seele. Ihr Betrieb wird biologisch bewirtschaftet. In mehreren Themen- und Lehrgärten baut sie zirka 70 historische und einheimische (Heil)pflanzen, (Wild)obststräucher sowie vor allem (vergessene) Kräuter (unter anderem Gundermann, Giersch, Schafgarbe, Verbene) und Gemüsesorten (unter anderem die verschiedensten Tomatenarten, Zuckerwurzel, Etagenzwiebel und Baumspinat) an.
Ihr ganzer Stolz ist ein historischer Garten nach dem Vorbild Karls des Großen (* wahrscheinlich 2. April 747 oder 748, † 28. Januar 814); er erlangte am 25. Dezember 800 als erster westeuropäischer Herrscher seit der Antike die Kaiserwürde.
Karl der Große war nicht nur Kriegsherr, er sorgte auch für eine effektive Verwaltung und bemühte sich um eine umfassende Bildungsreform.
„Capitulare de villis“
Große Aufmerksamkeit erlangte der Herrscher durch das „Capitulare de villis“. Darin ist im Detail auch der Anbau von Obstbäumen, Weinreben und Gemüse beschrieben. Im letzten Kapitel sind 89 Pflanzen und Heilkräuter aufgelistet, die die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung verbessern sollten. Vorbild für die Pflanzensammlung im „Capitulare de villis“ waren die Kräutergärten der Klöster, die Nonnen und Mönche für den Eigenbedarf angelegt hatten. Gegen jedes Zipperlein hatten sie ein Kraut in ihrem Garten.
Kochkurse in der Naturküche
Diese Kräuter und Gemüse können vor Ort im Wieshof in Themenkochkursen verarbeitet werden. Elisabeth Doll hält auch Vorträge und organisiert Feiern und Feste. Sie stellt außerdem die verschiedensten Köstlichkeiten wie Liköre, Kräutersalze, Essige, Gelees, Chutneys und vieles mehr her.
Gastro- und Ausflugstipps
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Naturküche Wieshof, Wieshof 1, 82362 Weilheim-Marnbach, Tel.: (0881) 2342; E-Mail: info@naturkueche-wieshof.de; Internet: www.naturkueche-wieshof.de
- Bauernhofcafé Paradieshof: Wolfhof 7, 82405 Wessobrunn, Tel.: (08809) 2 24 98 79; E-Mail: paradieshof@web.de; Internet: www.paradies-hof.de
- Saliterhof: Kurzenried 3, 86971 Peiting, Tel.: (08861) 6020; E-Mail: info@alpakas-saliterhof.de; Internet: www.alpakas-saliterhof.de
- Landgasthof Drei Rosen: Dorfstraße 11, 82347 Bernried am Starnberger See, Tel.: (08158) 90 40 53; E-Mail: info@dreirosenbernried.de; Internet: www.dreirosenbernried.de
- Hotel Marina: Am Yachthafen 5, 82347 Bernried am Starnberger See, Tel.: (08158) 93 20; E-Mail: info@marina-bernried.de; Internet: www.marina-bernried.de
Veranstaltungstipp
Pilgern mit Gabriele Hoss-Reinhard, Moosstr. 30, 82362 Weilheim, Tel.: (0881) 6 14 46; E-Mail: gabrielehoss-reinhard@t-online.de; Internet: www.pfaffenwinkler-pilgerbegleiterinnen.de
Wunderbarer Artikel!
Vielen Dank für die Inspirationen zum Nachahmen.
Nicole Daiber