Schon der deutsche Dichter und Erzähler Matthias Claudius (1740 – 1815) wusste: „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen.“ Für Dr. Joachim Heberlein, Archivleiter und Fremdenführer der Stadt Weilheim, die im oberbayerischen Pfaffenwinkel liegt, müsste das Sprüchlein lauten: „Auch wenn niemand eine Reise tut, kann er erst recht etwas erzählen.“
Der studierte Theologe und Kunsthistoriker ist ein Original. Der 42-Jährige gibt ganz unumwunden zu, dass ihn die große weite Welt nicht reizt, von ihm „erobert“ zu werden.
Nein, es gibt für ihn in seiner Geburtsstadt so viel Archivarisches, Urkundliches und Dokumentarisches zu entdecken und aufzuarbeiten, dass für etwas Anderes gar keine Zeit bleibt.
Sein Credo könnte lauten: „Das Gedächtnis der Welt wird dank der Archive am Leben erhalten“. Mit Heberlein auf Stadtführung zu gehen, ist ein ganz besonderes Erlebnis.
Der Wissensdurstige lauscht aufmerksam
So erfährt der Wissensdurstige, warum es einen engen Zusammenhang Weilheims mit St. Pölten gibt, warum eine Straße nach der Stadt in Niederösterreich benannt ist (Pöltnerstraße) und warum die Stadtpfarrkirche „St. Hippolyt“ meist „St. Pölten“ genannt wird.
Die Wahl zum Kirchenpatron hat wohl damit zu tun, dass Reliquien des hl. Hippolyt in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts von Rom aus über Saint-Denis in Frankreich und das Tegernseer Land bis nach St. Pölten überführt wurden. Und auf dem Weg dorthin wurde der hl. Hippolyt auch im Pfaffenwinkel bekannt.
Alles andere als ein Aprilscherz
Der Gast erfährt auch, dass es alles andere als ein Aprilscherz ist, dass die erstmalige Erwähnung Weilheims – als Wilhain“ – auf den 1. April 1010 zurückgeht. Zu dieser Zeit war Heinrich II. Herzog von Bayern, König des Ostfrankenreiches, König von Italien. Erst danach (1014 -1024) war er römisch-deutscher Kaiser.
Voller Stolz erzählt Joachim Heberlein, dass Weilheim eine lange Theatertradition hat und seit dem Jahr 1600 ein Passionsspiel (und damit eines der ältesten im Alpenraum), das sogar älter ist als das von Oberammergau (erstes Passionsspiel 1634). Dass der Stadtarchivar die Oberammergauer nicht so recht leiden mag, wird deutlich, wenn er diese als „Oberammergauner“ bezeichnet – warum, verrät Heberlein aber nicht. Vielleicht liegt es daran, dass Teile der Weilheimer Passion im 17. Jahrhundert in das Oberammergauer Spiel übernommen wurden.
Enorme Dichte an Klöstern
Weilheim mit seinen 23 000 Einwohnern liegt eingebettet zwischen München im Norden und Garmisch-Partenkirchen im Süden und ist Mittelpunkt des sogenannten Pfaffenwinkels, einer Region zwischen den Flüssen Lech und Loisach.
Der Name Pfaffenwinkel (als Pfaffe wird im Bayerischen umgangssprachlich ein Geistlicher oder ein Priester bezeichnet) hat dadurch seinen Namen bekommen, weil kaum eine andere Region in Deutschland eine derartige Dichte an Klöstern hat (die bekanntesten sind Benediktbeuern, Wessobrunn, Bernried, Ettal und Andechs).
Nicht vergessen werden bei dieser Aufzählung als „göttliches Ausflugsziel“ darf die Wieskirche, ein zum Weltkulturerbe gehörendes Bauwerk in der Nähe von Steingaden. Der Pfaffenwinkel ist ferner ein Naturkleinod, in dem es sich vorzüglich pilgern lässt, um zu entschleunigen und um zu sich zu kommen.
„Torschlusspanik“ und „Weilheimer Ecken“
Und dann erklärt Joachim Heberlein, welche Bedeutung das Wort „Torschlusspanik“ hat. Auf jeden Fall habe es nichts damit zu tun, dass er noch Junggeselle sei, weil doch oft von „Torschlusspanik“ die Rede ist, wenn man in einem gewissen Alter noch keinen festen Partner habe. Weit gefehlt: es hat schlichtweg damit zu tun, nach Hause zu kommen. Weilheim zum Beispiel hatte drei Stadttore, die im Mittelalter, wie überall, vor unliebsamen Besuchern, meist bei Einbruch der Dunkelheit, geschlossen wurden. Das nannte man Torschluss.
In früheren Zeiten war auch die Redewendung „Weilheimer Ecken“ ein durchaus bekannter Begriff. Gemeint waren die Geheimratsecken der Weilheimer Männer, abgeleitet vom Titel eines Geheimrats. In der Monarchie wies die Erklärung auf die meist kahlen Schläfen der Landesfürsten, die auch als Geheimräte bezeichnet wurden, hin.
Interessante Zahlen
„Weilheim ist eine der ältesten Städte Altbayerns“, erzählt Heberlein, „und wurde viermal vom Feuerteufel niedergebrannt.“ Zu Altbayern gehören Oberbayern, Niederbayern und die Oberpfalz. 1010 erstmals erwähnt (siehe oben) erhielt der Ort im Jahr 1176 die Marktrechte zuerkannt, 1238 folgten die Stadtrechte. Um 1730 herum – Weilheim hatte zirka 1800 Einwohner – hatten 29 Häuser Wasseranschlüsse, in 23 waren Brauereien untergebracht. Der Durst in der Bevölkerung muss groß gewesen sein!
Wer die Möglichkeit hat, die Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt zusammen mit einem Fachmann zu besichtigen, sollte dies tun, und unbedingt auch auf den Turm steigen. Die Kirche hat nämlich einiges zu bieten (sie beherbergt die größte Barockmonstranz Deutschlands, neun Kilogramm schwer), und der Rundumblick von oben ist herrlich.
Die Bauzeit betrug nur vier Jahre
Das Bauwerk zählt zu den größten Sakralbauten im Pfaffenwinkel. Der Vorgängerbau wurde 1624 abgerissen, nur der Turm blieb stehen. In lediglich vier Jahren wurde das Gotteshaus wieder aufgebaut. Das Kirchenschiff ist freitragend, die Kuppel unter dem Dach versteckt. „Das ist einmalig auf der Welt“, berichtet Heberlein. Die Ausstattung der Kirche ist äußerst umfangreich und kunsthistorisch interessant.
Die Deckenfresken beispielsweise schufen der Weilheimer Maler Elias Greuter der Ältere und sein Sohn Johann Greuter im Jahr 1627; sie gehören zu den frühesten Versuchen monumentaler Deckenmalerei in Deutschland. „Weilheim“, behauptet Heberlein, „hatte viel künstlerisches Potenzial. Zu diesen Koryphäen gehörte auch Georg Petel (* 1601 oder 1602 in Weilheim, † 1634 in Augsburg), der sich als Bildhauer, Bosseirer (Porzellangestalter) und Elfenbeinschnitzer einen Namen machte. Im 18. Jahrhundert bekam er den Beinamen „deutscher Michelangelo“.
Informationen: Tourismusverband Pfaffenwinkel, Bauerngasse 5, 86956 Schongau, Tel.: (08861) 2 11 32 00; E-Mail: info@pfaffen-winkel.de; Internet: www.pfaffen-winkel.de. – Touristinfo Weilheim, Admiral-Hipper-Str. 20, 83362 Weilheim, Tel.: (0881) 68 27 33; E-Mail: info@weilheim.de; Internet: www.weilheim.de
Gastrotipp
- Hotel Pöltner Hof: Pollinger Str. 4 & 6, 82362 Weilheim, Tel.: (0881) 3 94 64 70; E-Mail: info@phwm.de; Internet: www.hotel-weilheim.de