Noch bis vor 50 Jahren musste sich die Bevölkerung Osttirols ziemlich abgehängt vorgekommen sein. Wollte man beispielsweise von der Bezirkshauptstadt Lienz oder der Gemeinde Matrei aus in die Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck kommen, mussten etliche Strapazen auf sich genommen werden. Denn eine direkte Straßenverbindung gab es nicht, man musste umständlich mit der Eisenbahn, der Tauernbahn, reisen, und zwar über Kärnten und Salzburg. Und auch das erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts. Eine wahrlich zeitintensive Anreise. Aber eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Alle atmen auf
Erst mit der Fertigstellung der Felbertauernstraße und des Felbertauerntunnels vor genau 50 Jahren konnten Einheimische wie Touristen aufatmen. Denn diese Verbindung ist nicht nur die kürzeste, sondern auch die günstigste Überquerung des Alpenhauptkamms von Nord nach Süd, von München zur Adria (und natürlich umgekehrt). Und ein Naturschauspiel. Denn die Straße führt mitten durch den Nationalpark Hohe Tauern, der Tunnel unter dem Gebirgsmassiv der Felber Tauern (auch Windisch-Matreier Tauern genannt) hindurch; vorbei geht es an den imposanten Bergpanoramen der benachbarten Großglockner und Großvenediger. Ein Augenschmaus – es ist ohne Übertreibung die landschaftlich reizvollste Strecke für Urlauber, die es in den Süden zieht.
Osttirol war damals eine große Baustelle, denn neben dem Bau der Felbertauernstraße wurde die Ölpipeline Triest – Ingolstadt verlegt.
„Alpenhighway“ mit Kultcharakter
Nach der Eröffnung am 25. Juni 1967 genießt die Straße als „Alpenhighway“ Kultcharakter. War der Bau schon eine Herkulesaufgabe – immerhin beträgt die Entfernung zwischen der Stadt Mittersill im Salzburger Land und Matrei in Osttirol 36,3 Kilometer (der Tunnel ist 5,3 Kilometer lang), so könnte die Bauzeit von fünf Jahren (der erste Spatenstich erfolgte am 23. Juni 1962) durchaus Erwähnung in diversen Rekordbüchern finden. An den Arbeiten waren neun Baufirmen mit Ingenieuren, Bauleitern und rund 1000 Arbeitern beteiligt.
Noch ehe die Brennerautobahn (von Innsbruck nach Modena/Italien) und die Tauernautobahn (von Salzburg nach Villach in Kärnten) fertiggestellt waren, rollten die ersten Urlauber komfortabel dem „Dolce Vita“ entgegen – einer der ersten Werbeslogans lautete: „Dem Süden näher“. Seitdem nutzten 55 Millionen Fahrzeuge die Felbertauernstraße. Die „Tiroler Tageszeitung“ schrieb zum zehnjährigen Jubiläum, dass der Bezirk Lienz ohne diese „technische Hochleistung immer noch im Out, im Abseits der Geographie“ wäre. Daran hat sich nichts geändert.
Der Wohlstand kommt
Die Alpenübergang brachte der gesamten Region Wohlstand, wie Karl Poppeller, Vorstandsdirektor der Felbertauernstraße AG, betont: „Mit der Verkehrsfreigabe war der Beginn der Erfolgsgeschichte als Wirtschaftsstraße und Lebensader der Region, insbesondere für Osttirol, gelegt.“ Der Tourismus blühte regelrecht auf, denn nicht jeder fuhr ans Meer, sondern genoss die Vorzüge Osttirols.
Im Nationalpark Hohe Tauern bespielsweise findet der Erholung suchende Wanderer alles, was sein Herz begehrt: Großflächige und unberührte Naturlandschaften, fruchtbare Felder in Tallagen, Schatten spendende Bergwälder, saftige Almwiesen, unberührte Gletscherbäche, eiskalte Hochgebirgsseen, geräuschvolle Wasserfälle. Der Nationalpark ist mit 1856 km² das größte Naturschutzgebiet im gesamten Alpenbogen (siehe weiter hinten). Es ist idealer Lebensraum für 10 000 Tier- und über 1500 Pflanzenarten.
Wildromantisches Gschlößtal
Ein ganz besonders malerischer Landstrich ist das autofreie, wildromantische Gschlößtal, das ganz in der Nähe des Südportals der Felbertauernstraße gelegen ist. Seit Jahrhunderten wird es als Almgebiet genutzt und gilt als schönster Talschluss der Ostalpen.
In der kleinen „Bilderbuch“-Almsiedung Außergschlöß, beim Matreier Tauernhaus (1700 Meter hoch gelegen), beginnt eine leichte Wanderung Richtung Innergschlöß mit dem Ziel Venedigerhaus. Wer nicht laufen will, kann sich einer Pferdekutsche bedienen, oder setzt sich in einen überdachten Anhänger, der von einem mächtigen Traktor gezogen wird.
Eine Genusstour
Als „Genusstour“ bezeichnet Naturparkranger Matthias Mühlburger die bevorstehenden vier Kilometer. „Hier im Herzen des Nationalparks kann man vom Alltagsstress so richtig abschalten. Entschleunigung heißt das Zauberwort“, lässt er unsere Gruppe wissen. Die Stille wird nur unterbrochen vom Geräusch der zahllosen Wasserfälle, die die Berghänge hinunterstürzen, dem einen oder anderen „Muh“ der friedvoll wiederkäuenden Kühe oder dem lieblichen Gezwitscher der artenreichen Vogelwelt.
„Hört ihr das? Das ist der Buchfink.“ Und schon verlassen zarte Pfiffe Mühlburgers Mund, täuschend ähnelnd denen des Finken. Man könnte meinen, die beiden hätten sich schon öfter auf diese Weise verständigt. Auch die eine oder andere Mehlschwalbe hat der Ranger entdeckt.
Ein Greifvogel zum Greifen nah
Dann richtet Mühlburger sein Teleskop nach oben, weil ein ausgewachsener Bartgeier, eine eher seltene Gattung, einsam seine Kreise zieht. Ein Greifvogel zum Greifen nah – welch prächtiger Anblick! Plötzlich ertönt ein schriller Pfiff. Ein Murmeltier will scheinbar seine Aufmerksamkeit auf sich richten.
Auf der Hälfte des Weges liegt die Felsenkapelle. Sie ist in den natürlichen Fels gehauen und der heiligen Maria gewidmet. Ein Blick hinein lohnt in jedem Fall. Bald tauchen in der Ferne die faszinierenden Eisriesen der Venediger-Gruppe auf, und das Ziel naht. Die wettergegerbten Holzhütten von Innergschlöß sind auch nicht mehr weit. Seit einigen Jahrhunderten stehen sie hier eng zusammen und geben ein Bild ab, wobei das Wort Idyll noch untertrieben ist.
Ein Abstecher nach Lienz lohnt immer
Unbedingt empfehlenswert ist ein Abstecher in die Bezirkshauptstadt Lienz. Unweit der italienischen Grenze punktet die 12 000-Einwohner-Stadt durch südländisches Flair und zirka 2070 Sonnenstunden im Jahr. Desbalb bezeichnet sich Lienz als Sonnenstadt. Unter Palmen sitzend mit einem Blick auf die Lienzer Dolomiten lässt es sich wahrlich gut aushalten. Lienz ist die siebtgrößte Stadt Tirols (die einzige Osttirols) und der wirtschaftliche, kulturelle und soziale Mittelpunkt Osttirols. Sie liegt an der Mündung der Isel und Drau.
1022 fand Lienz als „Luenzina“ erstmals Erwähnung, und 220 Jahre später hatte der Ort schon Stadtrechte und einen anderen Namen, nämlich „Luancen“.
1609 steht die Stadt steht in Flammen
1609, so erzählt Stadtführerin Evelin Gander, stand Lienz in Flammen. „In nur drei Stunden war fast die komplette Stadt abgebrannt. 13 Menschen verloren ihr Leben.“ Neben Wohn-, Wirtschafts- und Futterhäusern machte der Raub der Flammen auch nicht vor der Liebburg, dem Karmeliterkloster, dem Bürgerspital und der Johanneskirche halt.
In den beiden Weltkriegen blieb die Stadt vor Verwüstungen nicht verschont. Vor allem der Bahnhof wurde zweimal in Schutt und Asche gelegt. Und als der Zweite Weltkrieg schon fast beendet war, wurde Lienz erneut getroffen. Nicht weniger als 1000 Bomben wurden abgeworfen.
Die Stadt erholte sich schnell, und die zerstörten Gebäude wurden so originalgetreu wie möglich wieder aufgebaut. Heute machen mehrere höherbildende Schulen Lienz zu einer jungen Stadt; Kultur und Musik kommen auch nicht zu kurz. „Bei uns ist immer etwas los,“ verrät Stadtführerin Gander, „wir sind ja auch eine ganz moderne Stadt.“ Bestes Beispiel dafür ist das „Abraham-Haus“. Und bei einem Bummel durch die Innenstadt fällt besonders auf, dass das Warenangebot der Geschäfte enorm ist und es kaum Leerstände gibt.
Der besondere Tipp
Wer in Osttirol nach etwas ganz Außergewöhnlichem sucht, dem sei eine Wanderung oder eine Trekkingtour mit Lamas ans Herz gelegt. Bergwanderführer Karl-Peter Schneeberger ist geprüfter Obstbaumwärter und seit 2013 Lamabauer („ich bin allerdings kein Züchter!“). Zwölf Tiere gehören zu seinem Bestand, mit denen er einfache, etwa dreistündige Lamawanderungen bis hin zu mehrtägigen alpinen Lamatrekkingtouren, zum Beispiel über den Alpenhauptkamm, anbietet. – Infos: Karl-Peter Schneeberger, A-9903 Oberlienz 36, Tel.: +043 664 431 27 29; Internet: www.dolomitenlama.at; E-Mail: dolomitenlama@aon.at
Der Alpenbogen
Der Alpenbogen schließt im Südwesten am Golf von Genua an den Apennin an, umfasst die Po-Ebene, verzweigt sich zum Französischen und Schweizer Jura und endet fächerförmig im Osten vor dem westpannonischen Berg- und Hügelland. Im Nordosten an der Donau bei Wien sind die Alpen durch das Wiener Becken von den geologisch verwandten Karpaten getrennt, im Südosten gehen sie in das stark verkarstete Dinarische Gebirge über. Im Norden fallen die Alpen allmählich zum österreichischen und deutschen Alpenvorland ab.
Informationen: Felbertauernstraße AG, Albin-Egger-Straße 17, A-9900 Lienz, Tel.: +43 4852 63 330; E-Mail: info@felbertauernstrasse.at; Internet: www.felbertauernstrasse.at – Naturpark Hohe Tauern, A-9971 Matrei in Osttirol, Kirchplatz 2, Tel.: +43 4875 5161-10; E-Mail: nationalparkservice.tirol@hohetauern.at; Internet: www.hohetauern.at
Wer von München kommend am Bundesstraßen-Grenzübergang Kiefersfelden von der A12 abfährt, spart komplett die österreichische Autobahnmaut und insgesamt auf dem Weg zur Adria – je nach Größe des Gefährts – bis zu 60 Euro. Und auf dem Rückweg nochmal dasselbe.
Das Alpenhighway sieht so schön aus. Die Natur tut uns Menschen so viel Gutes. Ich würde gerne den Nationalpark Hohe Tauern besuchen. Ein Urlaub in den Bergen ist in Ordnung glaube ich. Osttirol ruft mich schon.
Wir haben auf der Heimreise nach Deutschland einen Tag in Lienz verbracht. In der schönen Innenstadt lässt sich wunderbar flanieren, das Gastronomieangebot ist erstaunlich vielfältig und kulturell ist für Jeden etwas dabei. Wir kommen wieder.