Mythos Bayern, was ist das? Darüber soll und wird die Bayerische Landesausstellung im Kloster Ettal Auskunft geben, die am 3. Mai eröffnet wurde und noch bis zum 4. November andauert. Der Titel „Wald, Gebirg und Königstraum – Mythos Bayern“ wurde mit Bedacht und Feinsinn ausgewählt, und wird mit Sicherheit Licht ins Dunkel bringen, sofern es bezüglich jedweder Mythen rund um Bayern noch an Aufklärung bedarf.
Soviel sei schon verraten, was den Mythos Bayern ausmacht: es geht um die Landschaft und die Menschen, die dort leben, um den Märchenkönig und seine Schlösser, und um den Freistaat generell, der in diesem Jahr sein 100-jähriges Jubiläum feiert.
Zur Mythenbildung Bayerns hat in besonderem Maße König Ludwig II. (1845 – 1886) beigetragen. Der „Märchenkönig“ ist bis zum heutigen Tag wohl die bekannteste Persönlichkeit Bayerns. Seine Extrovertiertheit und seine Selbstgefälligkeit, sein Hang zum Pomp und moderner Technik, aber auch sein Talent für das Außergewöhnliche sowie seine innovativen Ideen werden ihn für immer unsterblich machen. Und erst recht die beeindruckenden Prachtbauten, die er hinterlassen hat.
Ein romantischer Visionär
Ludwig II. war trotz aller Romantik ein Visionär. Vor allem auch, weil er sich dem technischen Fortschritt mit einer gewissen Verspieltheit näherte, vor allem aber voll Inbrunst widmete. In vielen Dingen war er seiner Zeit voraus. All seine Schlösser sind modern eingerichtet und ausgestattet. Bei einer Exkursion durch Schloss Herrenchiemsee mit Kastellanin Veronika Endlicher (der Begriff Kastellan/In stammt aus dem Mittelalter und bezeichnete früher einen Burgverwalter) wird das allzu deutlich. Und auch, dass sein Verhältnis zum Geld ein besonderes war. Der „Kini“ bediente fast jedes Klischee.
Herrenchiemsee war das letzte Bauprojekt, das der König, der stark polarisierte, in Angriff nahm. Die Bauzeit betrug sieben Jahre (1878 – 1885), und das Schloss blieb bis zu seinem Tod, wie auch Neuschwanstein, unvollendet. Nur sein Lieblingsschloss, Schloss Linderhof, wurde fertiggestellt. In Neuschwanstein wurden nach 1886 nur noch wesentliche Bestandteile ausgebaut. In Herrenchiemsee konnte sogar noch weniger zu Ende geführt werden – nur 20 von 70 Zimmer – ehe der „Kini“ zu Tode kam. Er hinterließ einen Torso ohne praktische Funktion. 50 Räume sind also nach wie vor im Rohbau. Nach Herrenchiemsee wurden nie Gäste eingeladen, das „Anwesen“ diente Ludwig als Rückzugsort, an dem er sich seiner Traumwelt hingeben konnte. „Es war zu keinem Zeitpunkt dazu ausgerichtet, dort jemals zu wohnen, sondern sich hier nur aufzuhalten“, berichtet Veronika Endlicher.
Häufig war der Hausherr allerdings nicht vor Ort, pro Jahr etwa zehn Tage, also in der Zeit von 1881 bis zu seinem Todesjahr ungefähr 50 Tage. Und immer Ende September/Anfang Oktober.
Größenwahn schon im Eingangsbereich
Ludwigs technisches Anspruchsdenken kann der Besucher schon im Prunktreppenhaus in Augenschein nehmen. Der König ließ im „Tempel des Ruhmes“ eine Eisen-Glasdach-Konstruktion errichten, die einerseits hochmodern war, andererseits eine riesige Herausforderung an all diejenigen stellte, die damit beauftragt wurden und damit beschäftigt waren. Der König bildete sich eine Art offenen Himmel ein! Der Größenwahn hielt schon im Eingangsbereich des Schlosses Einzug.
Ein Ästhet war der König selbstredend natürlich auch. Alle Wände wurden mit Stuckmarmor versehen, was den Vorteil hatte, dass die Mauern nicht verfugt werden mussten. Sämtliche Lüster wurden von Hand angefertigt. Im 100 Meter langen Spiegelsaal beispielsweise hängen und stehen 35 Leuchter mit 2000 Kerzen; im gesamten Schloss hätten 5000 Kerzen auf einmal entflammt werden können. Wenn sich Ludwig für jeweils zehn Tage im Schloss aufhielt, wurden sage und schreibe 40 000 Kerzen verbraucht. Er hatte es gerne gemütlich, aber die Räume mit einer Höhe von bis zu zwölf Metern waren im Herbst schon ziemlich ausgekühlt. Die vielen Kerzen, die angezündet wurden, sorgten dann für angenehme Temperaturen.
Eine stattliche Anzahl von Lüstern hing meist ziemlich hoch, um nicht zu sagen sehr hoch. Doch Ludwig, dieser Technikfreak, wäre nicht Ludwig, wenn er keine Lösung parat gehabt hätte, die Kerzen mit wenig Aufwand zu entflammen, anstatt dafür zeitraubend auf Leitern oder Stellagen steigen zu müssen. Durch eine Art Aufzug wurden die Leuchter per Hand herunter- und wieder hinaufgekurbelt. Heute geht das elektrisch. Der Monarch hätte auch Petroleumlampen aufstellen lassen können, die es damals schon gab, aber der Exzentriker „stand“ auf Kerzen.
Keine Küche
Warmes Essen zuzubereiten war nicht möglich, weil es keine Küche gab. Einen Aufzug für die Speisen jedoch wohl! Und einen mechanisch betriebenen Tisch, der versenkbar war und es ihm ermöglichte, seine Mahlzeiten ohne Bedienung einzunehmen. Auch warmes Wasser war vorhanden, für das eine eigens installierte „Heizung“ sorgte. „Besonders ist die elektrische Beleuchtung des Parks hervorzuheben,“ berichtet Endlicher, „das war die erste Lichtshow der Welt.“
Die Möbel und Einrichtungsgegenstände in den einzelnen opulent ausgestatteten Räumen wählte der Bayern-Kini danach aus, dass sie bei Kerzenlicht anders wirkten als am Tag. Zweimal täglich schweifte er umher, meist zwischen 16 Uhr und dem Einbruch der Dunkelheit (bis gegen 19 Uhr), als die Fenster mit schweren Vorhängen nach und nach verdunkelt wurden, und dann bei „künstlicher“ Beleuchtung nachts von 1 bis 3 Uhr. Einige Zimmer wirkten im Zusammenspiel mit den Lichtstrahlen dann eher rund als ursprünglich eckig. Ludwig der Mystiker war jetzt in seinem Element und gab sich seinen Träumereien hin.
Noch mehr Mystik gefällig? Bitte sehr. Am Bett der Majestät, die sich selbst als „Mondkönig“ bezeichnet hat, war eine blaue Glaskugel angebracht, in der drei Kerzen steckten. Veronika Endlicher verdeutlicht: „Wenn sie leuchtete, hat es so ausgesehen, als würde der Mond scheinen. Ein ganz besonderes Einrichtungsstück konnte der Monarch jedoch nicht mehr selbst in Augenschein nehmen. Ein edel aussehender und verschnörkelter Schrank im sogenannten ersten Vorzimmer konnte nämlich erst nach seinem Tod geliefert werden.
Konzepte kompromisslos umgesetzt
Bei der Einrichtung der Räume bedurfte es keiner Beratung durch Zweite oder Dritte, Ludwig II. hatte seine eigenen Konzepte im Kopf, die er kompromisslos umsetzte; er ließ sich von niemandem beraten oder gar hineinreden. Jedes Zimmer und jedes Detail, egal an welchem Gegenstand es sich befand oder an welcher Stelle es zu sehen war, hatte seine eigene Bedeutung. Der prunkvollste Raum ist der Spiegelsaal (Spiegelgalerie), der den Höhepunkt der prächtigen Räumlichkeiten in Schloss Herrenchiemsee bildet.
Einen ganz besonderen Spleen hatte der „Kini“ hinsichtlich Uhren. In jedem Raum wurden mehrere davon aufgestellt. Zeit spielte in seinem Leben ein ganz besondere Rolle, sie schien ihm davonzulaufen.
Ludwig II. ließ die Residenz auf der nur 2,3 Quadratkilometer großen Insel im Chiemsee nach dem Vorbild von Schloss Versailles bauen, und der dortige Schlossbesitzer, „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. (1638 – 1715), war sein großes Idol, den er grenzenlos verehrte. „Er wollte sich hier in Bayern genau die Welt erschaffen, in der Ludwig XIV. gelebt hat“, versichert die Kastellanin, „ohne aber den Franzosen übertrumpfen zu wollen.“ Dennoch ist Schloss Herrenchiemsee weit größer ausgefallen als Versailles.
Wie sehr er sich mit dem französischen Monarchen verbunden fühlte, verdeutlicht die Tatsache, dass alle Gemälde im Schloss Motive aus der Zeit Ludwig XIV. darstellen. Auch das sogenannte Paradeschlafzimmer widmete er seinem Vorbild. An der Decke ist ein Gemälde des Historienmalers Eduard Schwoiser zu sehen, das den Sonnengott Apoll darstellt – und Gesichtszüge des französischen „Sonnenkönigs“ trägt. Ludwig II. sah in seiner Regenschaft eine Monarchie von Gottesgnaden und schwärmte für den Franzosen auch deshalb so vehement, weil beide im selben Sternzeichen geboren wurden (Jungfrau) und auch der Beginn ihrer jeweiligen Regentschaft auf den selben Tag fiel (10. März). Veronika Endlicher sagt dazu kurz und knapp: „Ludwig II. wollte hier nichts Bayerisches haben, sondern einen Kulttempel als Replik auf Ludwig XIV.“
Logistische Meisterleistung
Das Schloss zu bauen war eine für die damalige Zeit heroische Aufgabe, und eine große logistische Meisterleistung obendrein. Schließlich musste ja alles – und sei es noch so eine kleine Kleinigkeit –, was zu so einem Bauwerk dazugehörte, auf die Insel gebracht werden. Bescheidenheit war beileibe keine Zier des Märchenkönigs. Vor Baubeginn wurden zwei riesige Dampfkesselanlagen eingerichtet, um genügend Strom und Wasser zu haben.
Ein Schleppdampfer schipperte über den See, um die benötigten Materialien heranzuschaffen, und eine Feldbahn (Lorenbahn) schaffte anschließend das gesamte Equipment vom Anleger zur Baustelle. Hunderte von Handwerkern arbeiteten Tag und Nacht an diesem „Denkmal der Unvernunft“.
Um nur zwei Zahlen zu nennen, die den Gigantismus veranschaulichen: Insgesamt wurden neun Millionen Ziegel verbaut, und knapp fünf Kilogramm Blattgold verarbeitet. Letztere Zahl hört sich gering an. Aber wenn man sich verinnerlicht, wieviele unzählige Gegenstände vergoldet sind, und wenn man weiß, wie dünn ein Blättchen Blattgold ist, nämlich fünfzigmal dünner als ein Menschenhaar, dann sind fünf Kilogramm Blattgold eine ungeheuere Menge.
Gigantismus zweiter Teil: Schloss Herrenchiemsee war sündhaft teuer und kostete mehr als die Schlösser Neuschwanstein und Linderhof zusammen,
zur damaligen Zeit 16,5 Millionen Goldmark. Diesen Preis auf die heutige Zeit umzurechnen wäre wenig aussagekräftig, weil Wertsteigerung und Kaufkraft in den vergangenen 130 Jahren hinzugerechnet werden müssten – was ein unmögliches Unterfangen ist. Sicher ist soviel: es käme eine fast unvorstellbare Summe heraus.
Weitere Informationen unter tourismus@bayern.info und bei der Schloss- und Gartenverwaltung Herrenchiemsee, Altes Schloss 3, 83209 Herrenchiemsee, Tel.: (08051) 6 88 70; Internet: www.herrenchiemsee.de, E-Mail: sgvherrenchiemsee@bsv.bayern.de