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Tölzer Land: Ein Blick hinter die Kulissen des Leonhardritts

Im Tölzer Land zu leben, heißt für die allermeisten Menschen: die Traditionen hochhalten (und nicht nur davon reden), das Brauchtum pflegen (und nicht nur bestaunen), alte Sitten hüten (und nicht nur davon schwelgen) sowie uralte Gepflogenheiten bewahren (und sie nicht nur genießen). Auch auf Jahrhunderte alte Überlieferungen wird sehr viel Wert gelegt. Das ist natürlich in anderen (ober)bayerischen Regionen ähnlich, aber das Tölzer Land, und speziell die Stadt Bad Tölz, kann für sich in Anspruch nehmen, auf die älteste und bedeutendste Pferdewallfahrt zurückblicken zu können. Aus diesem Grund wurde der Leonhardiritt im Juli 2016 als immaterielles Kulturerbe der UNESCO in Bayern anerkannt.

Ein ehrfuchtsvolles Schauspiel

Es kann losgehen – die Leonhardi-Standarte ist "gehisst". - Foto: Dieter Warnick

Es kann losgehen – die Leonhardi-Standarte ist „gehisst“. – Foto: Dieter Warnick

Neben Bad Tölz ist einer der bedeutendsten Ritte der von Benediktbeuern – das Klosterdorf ist ganz in der Nähe gelegen – vor allem auch, weil Pferde und Wallfahrer im Innenhof des Klosters den Segen bekommen; für alle ein erhabenes Ambiente und ein ehrfurchtsvolles Schauspiel. Nicht vergessen werden sollten aber auch die Pferdewallfahrten von Bad Heilbrunn, Lenggries und Wackersberg.

Zu Ehren des heiligen Ross- und Viehpatrons St. Leonhard finden jedes Jahr im Herbst festliche Umzüge mit Reitergruppen, Pferdegespannen, Hufeklappern und Glockengeläut statt. Die Ursprünge des Leonhardirittes liegen im Stephaniritt im 17. Jahrhundert. Im Lauf der Zeit ging die Verehrung von Stephanus auf Leonhard als Hauptperson der Rösser über.

Bald ist es wieder soweit

Am Vortag des Ritts werden die Pferde, wie hier "Bergfee", ordentlich abgeduscht. - Foto: Dieter Warnick

Am Vortag des Ritts werden die Pferde, wie hier „Bergfee“, ordentlich abgeduscht. – Foto: Dieter Warnick

In wenigen Wochen ist es also wieder so weit! Dann heißt es: Hand anlegen an die Gerätschaften wie Motiv-, Truhen- und Tafelwagen, die aufwendig geschmückt, dekoriert und verziert werden, an die Pferde und natürlich an sich selbst. Am 3. November geht in Benediktbeuern der 137. Leonhardiritt über die Bühne.

Prachtvoll: ein Gespann beim Leonhardiritt in Benediktbeuern. - Foto: Gäste-Information Benediktbeuern

Prachtvoll: ein Gespann beim Leonhardiritt in Benediktbeuern. – Foto: Gäste-Information Benediktbeuern

Mit Ausnahme der Kriegsjahre 1941 bis 1944 wird der Leonhardiritt seither in Benediktbeuern jedes Jahr begangen.

Denn zu so einem Festtag – und der Tag des Leonhardirittes ist ein Festtag – ist es eine Selbstverständlichkeit und oberstes Gebot, ob Weiblein oder Männlein, ob klein oder groß, ob jung oder alt, sich so richtig in Schale zu werfen und das Beste aus dem Schrank zu holen, was dort hängt – die Tracht. „Leonhardiritt und ein Trachtengwand,“ so beschreibt es ein Einheimischer, „gehören genauso zusammen wie ein Paar Weißwürste und ein Weißbier.“

Beim Geigerbauer zu Benediktbeuern

Lena Sonner und ihre Mitstreiterinnen haben für ihre Kinder in mühevoller Kleinarbeit die Darstellung "Abendläuten" auf den Wagen gezaubert. - Foto: Dieter Warnick

Lena Sonner und ihre Mitstreiterinnen haben für ihre Kinder in mühevoller Kleinarbeit die Darstellung „Abendläuten“ auf den Wagen gezaubert. – Foto: Dieter Warnick

Ein Blick hinter die Kulissen gibt einen Einblick, mit wie viel Herzblut Teilnehmer und Beteiligte bei der Sache sind. Zum Beispiel auf dem Hof von Peter Sonner in Benediktbeuern, dem Geigerhof. Dort wird seit Tagen der Motivwagen mit dem Titel „Abendläuten“, auf dem die Enkel und Enkelinnen des 58-jährigen Bauern Platz nehmen werden, hergerichtet. Alle, die auf dem Geigerhof leben – das sind immerhin drei Generationen – legen Hand an. Auch an den Wagen der Gebirgsschützenkompanie, den der Geigerbauer höchstpersönlich zur Verfügung stellt.

Frauen in Tracht. Bis zu 24 Personen finden auf den Motiv- und Truhenwagen Platz. - Foto: Dieter Warnick

Frauen in Tracht. Bis zu 24 Personen finden auf den Motiv- und Truhenwagen Platz. – Foto: Dieter Warnick

Die Pferde (pro Gespann sind das jeweils vier Tiere) werden am Vortag des Rittes auf Hochglanz gebracht, immer und immer wieder mit lauwarmem Wasser abgespritzt, mit einer Bürste geputzt und gestriegelt, der Schweif geflochten und mit einem kleinen Blumengebinde dekoriert. „Bergfee“ hat die Ruhe weg und lässt die Prozedur mit stoischer Ruhe geduldig über sich ergehen. Ein süddeutsches Kaltblut halt, das nichts erschüttern kann.

Leonhardiwagen mit Erntekrone. - Foto: Gäste-Information Benediktbeuern

Leonhardiwagen mit Erntekrone. – Foto: Gäste-Information Benediktbeuern

Bauer Peter Sonner ist auch die Gelassenheit in Person. Es ist ja nicht seine erste Pferdewallfahrt. 136 Ritte hat Benediktbeuern schon erlebt. Der 58-Jährige weiß nur zu gut, wie es ist und was noch zu tun ist, in den letzten, wenigen Stunden, die noch verbleiben bis zum Start.

Das Tagwerk ist getan. Um 4.30 Uhr wird der Wecker klingeln. Danach werden die Pferde angespannt und sich allmählich auf den Weg gemacht zum Treffpunkt, ehe es Punkt 9 Uhr – die Kirchglocken verkünden es – losgehen kann.

Als „Brettlhupfer“ unterwegs

Das Kloster Benediktbeuern ist eine ehemalige Abtei der Benediktiner und heute eine Niederlassung der Salesianer Don Boscos in Benediktbeuern, gehört zur Diözese Augsburg und liegt unweit des Kochelsees. - Foto: Gäste-Information Benediktbeuern

Das Kloster Benediktbeuern ist eine ehemalige Abtei der Benediktiner und heute eine Niederlassung der Salesianer Don Boscos in Benediktbeuern, gehört zur Diözese Augsburg und liegt unweit des Kochelsees. – Foto: Gäste-Information Benediktbeuern

Hoch zu Roß, also auf einem der vier Pferde zu sitzen, die einen Wagen ziehen, das ist Schwerstarbeit. Denn ein Gespann zu steuern und in der Spur zu halten, dafür wird richtig viel Kraft benötigt. Die Tiere sind nervös; mitunter scheuen sie. Da muss man auch in jeder Sekunde hoch konzentriert sein. Das kann Peter Sonner nicht mehr leisten. „Die langen Jahre hier als Bauer auf dem Hof, die Feldarbeit und die Arbeit mit den Tieren, das macht sich körperlich jetzt bemerkbar.“

Mittlerweile ist der Geigerbauer als „Brettlhupfer“ unterwegs. So nennt man denjenigen Menschen, der auf einem Trittbrett an der Wagenrückseite steht. Dieser hat auch eine ganz wichtige Funktion, denn er muss, wenn es nötig ist, herunterspringen und den Wagen mit speziellen Holzblöcken abbremsen.

Jede Frisur ist ein Kunstwerk

Evi Sziedat vorher ...

Evi Sziedat vorher …

Auch Evi Sziedat nimmt am Leonhardiritt teil, im Motivwagen „Jungfrauen in Tracht.“ Die Frisörmeisterin sitzt am Vorabend in ihrem Dirndl, das sie morgen anziehen wird, im Salon und lässt sich von ihrer Mutter Sabine, die natürlich auch in ein paar Stunden auf einem der insgesamt 48 Wagen sitzen wird, und die natürlich auch Frisörmeisterin ist, das Haupthaar richten. Jede Leonhardifrisur muss zur jeweiligen Kopfbedeckung, ob Hut, Haube, Krönchen, Kral oder Schifferl, passen. Und jeder Kopf soll ja ein eigenes Kunstwerk sein.

... und nachher. Die Frisur muss sitzen, dafür sorgt Mutter Sabine. – Evi am nächsten Tag im Klosterhof Benediktbeuern im Wagen mit der Darstellung "Jungfrauen in Tracht". - Fotos: Dieter Warnick

… und nachher. Die Frisur muss sitzen, dafür sorgt Mutter Sabine. – Evi am nächsten Tag im Klosterhof Benediktbeuern im Wagen mit der Darstellung „Jungfrauen in Tracht“. – Fotos: Dieter Warnick

Das Haar wird oben streng nach hinten gekämmt, seitlich wird es geflochten. Da muss jeder Handgriff sitzen. Mutter Sabine ist Profi, und hat in 20 Minuten ihre Tochter soweit „präpariert“, dass der Ritt schon jetzt beginnen könnte. Aber da liegt ja noch die Nacht dazwischen. „Das macht der Frisur nichts aus“, sagt Evi, die wird beim Hinlegen nicht zerstört.

„Außerdem komme ich sowieso nicht richtig zum Schlafen, weil ich noch vieles vorbereiten muss.“ Heißt im Klartext: Die selbstgebackenen Plätzchen, die es während des Ritts zu verzehren gibt, in Dosen verstauen, Speck, den sie Verwandten, Bekannten und Zuschauern anbietet, in kleine Streifen schneiden, den selbstgemachten Eierlikör verstauen, Schnapsgläser durchspülen.

Asparagus in den Ausschnitt

Nicht nur die Zweibeiner sind festlich geschmückt... - Foto: Dieter Warnick

Nicht nur die Zweibeiner sind festlich geschmückt… – Foto: Dieter Warnick

Auch das Festtags-Dirndl muss nach einer sehr kurzen Nacht so ausstaffiert werden, dass es an nichts fehlt. Vor allem das Dekolleté muss sitzen. Dieses wird mit Asparagus, also Gemüsespargel, geschmückt, und ein bunter Blumengruß darf natürlich auch nicht fehlen. Jetzt kann es losgehen!

Im Innenhof des Klosters von Benediktbeuern wird die Pferdesegnung von Bauern, Bäuerinnen und Vereinen in Festtagskleidern sowie mit viel Schmuck für Rösser vom Pony bis zum Kaltblüter zelebriert. - Foto: Dieter Warnick

Im Innenhof des Klosters von Benediktbeuern wird die Pferdesegnung von Bauern, Bäuerinnen und Vereinen in Festtagskleidern sowie mit viel Schmuck für Rösser vom Pony bis zum Kaltblüter zelebriert. – Foto: Dieter Warnick

Um Punkt 9 Uhr, mit dem ersten Läutern der Kirchenglocken, setzt sich der Festzug von der Ortsmitte aus langsam in Bewegung. Die zahlreichen Zuschauer entlang der Strecke sind gespannt und neugierig auf das, was kommt. Kinder verfolgen das Geschehen mit großen Augen. Und alle sind sie in Tracht.

Auch das Pferdegeschirr wird auf Hochglanz gebracht. - Foto: Dieter Warnick

Auch das Pferdegeschirr wird auf Hochglanz gebracht. – Foto: Dieter Warnick

Die fast 50 Wagen, 200 Pferde und 500 Teilnehmer, die am Ritt teilnehmen, haben schon frühzeitig Aufstellung genommen. Als erstes kommt der Vorreiter mit Standarte, ihm folgen die Wagen der Klostergeistlichkeit, der Gebirgsschützenkompanie (mit Peter Sonner als „Brettlhupfer“), der Musikvereinskapelle, der Ministranten sowie der Wagen mit Mitgliedern des Gemeinderates und der Kirchenverwaltung. Erst danach kommt das „gemeine“ Volk. Immer mehr Zuschauer säumen den Weg. Nach etwa einer Stunde ist der Innenhof des Klosters erreicht, in dem eine der bedeutendsten Leonhardi-Säulen Bayerns in den Himmel ragt.

Volksfestatmosphäre

Junge Mädchen mit Krönchen...

Junge Mädchen mit Krönchen…

Pause: Alle Wagen und Teilnehmer haben ihr Zwischenziel erreicht. In der Basilika findet ein Wallfahrtsgottesdienst statt, und die Pferde erhalten durch Klosterdirektor Pater Lothar Bily den kirchlichen Segen. In der Zwischenzeit kommt immer mehr Stimmung auf, Volksfestatmosphäre herrscht. Stände mit Wiener Würstchen und Weißwürsten gibt es genügend, auch Bier ist reichlich da. Zuschauer und Teilnehmer lassen es sich schmecken.

... – erfahrene Wallfahrerin mit Schal. Der Fuchs um den Hals soll an kalten Tagen die Teilnehmerinnen wärmen. - Foto: Dieter Warnick

… – erfahrene Wallfahrerin mit Schal. Der Fuchs um den Hals soll an kalten Tagen die Teilnehmerinnen wärmen. – Foto: Dieter Warnick

Die holde Weiblichkeit, die auf den Wagen sitzen geblieben ist, flunkert mit dem starken Geschlecht, und unterstreicht dies durch das Anbieten des einen oder anderen geistigen Getränks, und diejenigen Damen, die zu Fuß unterwegs sind, sind diesbezüglich auch bestens ausgerüstet. Wer ein Schnäpschen ablehnt, wir gern als „Anfänger“ tituliert. Der Spaß darf natürlich nicht zu kurz kommen, genötigt wird niemand.

Nach zirka 90 Minuten macht sich der Tross wieder auf den Weg. Alle Teilnehmer verlassen den Klosterinnenhof und begeben sich zum Dorfplatz, von wo der Ritt auch gestartet war. Dort kommt es zum „Goaßlschnalzn“, dem althergebrachten Peitschenknallen der Fuhrleute. Feierlicher Ausklang des Festtages ist dann der abendliche Leonharditanz.

Kloster Benediktbeuern

Pferdegespann auf dem Weg zum Kloster. - Foto: Dieter Warnick

Pferdegespann auf dem Weg zum Kloster. – Foto: Dieter Warnick

Das Kloster Benediktbeuern ist eine ehemalige Abtei der Benediktiner und heute eine Niederlassung der Salesianer Don Boscos. Es ist das älteste Kloster in Oberbayern. Die Gründung erfolgte um das Jahr 725 durch Karl Martell. Dieser war Hausmeier (Verwalter) und Sohn Pippins des Mittleren, einem bekannten Machthaber im Frankenreich.

Diese beiden Gebirgsschützen zeigen voller Stolz ihre Tracht. - Foto: Dieter Warnick

Diese beiden Gebirgsschützen zeigen voller Stolz ihre Tracht. – Foto: Dieter Warnick

1930 erwarben die Salesianer Don Boscos das Kloster und richteten eine philosophisch-theologische Hochschule für den eigenen Ordensnachwuchs ein. Während des Zweiten Weltkrieges waren dort eine Heeresverwaltungsschule und später ein Lazarett untergebracht.

Nach dem Krieg entwickelten die Salesianer ihr Kloster zu einem Zentrum religiöser Bildung, Wissenschaft und Erziehung und wenden sich mit zahlreichen Einrichtungen im Sinne ihres Ordensgründers speziell an junge Menschen. Derzeit leben und arbeiten 35 Mitbrüder aus sieben Nationen im Kloster. Sie sind gemeinsam mit rund 140 angestellten sowie zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Klosters in den verschiedenen Einrichtungen in unterschiedlichen Berufen tätig oder verbringen hier ihren Lebensabend.

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