„Habt ihr wirklich gar keine Männer dabei?“, fragt ein älterer Herr, der beim Check-in in Athen hinter uns in der Schlange steht. Die Frauengruppe mit den dunkelblauen Crew-Shirts und der Aufschrift „Women only“ erregt Aufmerksamkeit – wie schon häufiger in der vergangenen Woche. 13 Frauen auf zwei Booten: Ein wunderbares Segel-Abenteuer im Saronischen Golf geht zu Ende.
Wenn man sich in den Häfen umschaut, dominieren nach wie vor die Männer-Mannschaften. Bei ihnen käme niemand auf die Idee zu fragen: „Wie schafft ihr das ganz ohne Frauen?“. Darüber hinaus gibt es die Familien- und Paartörns; doch eine reine Frauen-Crew ist tatsächlich eine Ausnahmeerscheinung. Und dann gleich zwei Schiffe mit ausschließlich weiblicher Besatzung! Das ruft während unserer Törnwoche immer wieder staunende bis anerkennende Blicke und Kommentare hervor.
Warum wir das machen? Bei einem Frauentörn hat jede Seglerin die Chance, sich und ihre Fähigkeiten auszuprobieren, ohne dass irgendjemand sagt: Lass mal, Mädel, ich mach das schon. Von der totalen Segelanfängerin bis zur Inhaberin des SKS-Scheins kann jede Teilnehmerin Erfahrungen sammeln, hinzulernen, Verantwortung übernehmen. Tina Leveque-Emden, unsere Skipperin auf der Hypatia, einer Jeanneau Sun Odyssey 409, führt das Schiff mit erfahrener Hand. Den zweiten Teil ihres Nachnamens trägt sie mit Stolz als Nachfahrin eines Überlebenden des Kreuzers „Emden“, dessen Besatzung sich im Ersten Weltkrieg durch besondere Tapferkeit verdient gemacht hatte. Die Seefahrt liegt ihr also offensichtlich in den Genen.
Wir sechs Crewmitglieder bringen uns je nach Vorwissen und Interesse ein: bei der Steuerung des Schiffs, bei den Manövern und bei der Navigation ebenso wie bei der gemeinschaftlichen Gestaltung des Bordlebens oder beim Backschaftsdienst, sprich der Führung unseres Schiffshaushalts.
Das Abenteuer beginnt
Das Abenteuer beginnt am Flughafen Düsseldorf in aller Herrgottsfrühe – mit einem ersten Problem: Trotz vorheriger telefonischer Klärung verbietet das Schalterpersonal der Fluggesellschaft die Mitnahme der CO2-Patronen für die Automatik-Rettungswesten. Auch nach intensiver Diskussion und mehreren Telefonaten mit der dänischen Zentrale von Scandinavian Airlines müssen wir dieses wichtige Ausrüstungselement in einem Schließfach zurücklassen. Etwas zerknirscht gibt die Truppe kurz vor Torschluss das Gepäck auf und sprintet zur Sicherheitskontrolle. Für sieben Reisetaschen ist es leider zu spät. Sie werden nicht mehr in den Flieger verladen, was den Besitzerinnen am Gepäckband in Athen die nächste Aufregung beschert. Aber es nützt alles nichts, der Törn wird für sie erst mal ohne Wechselkleidung und Segelausrüstung beginnen müssen. Immerhin verspricht man uns später telefonisch, die Taschen am Montagmorgen mit der Fähre zum Hafen der Insel Poros zu liefern. So ist der Törnplan erst mal gerettet.
In Lavrio übernehmen wir unsere Yachten, bunkern Lebensmittel und fallen am Abend hundemüde in die Kojen. Doch ein ruhiger Schlaf ist uns leider nicht vergönnt. Das Gebell streunender Hunde, das Röhren getunter Mopeds sowie eine nahegelegene Disco sorgen für eine beeindruckende Geräuschkulisse, gegen die auch die besten Ohrstöpsel nichts ausrichten können.
Ein Schluck Metaxa für Poseidon
Gegen 11 Uhr haben wir am nächsten Morgen endlich alle Luken dicht, die Navigation für den ersten Schlag geplant, sind startklar – und ein wenig aufgeregt. Für zwei Crew-Mitglieder ist der Törn eine absolute Segelpremiere. Wir sind gespannt, was uns erwartet. Bald passieren wir am Rand des Kaps Sounion die Ruinen des Poseidon-Tempels und hoffen, dass uns der Gott des Meeres in der kommenden Woche wohlgesinnt sein möge. Vorsorglich haben wir ihm vor dem Start einen guten Schluck Metaxa spendiert!
Kaum sind wir aus dem ruhigen Hafen herausgefahren und haben die Segel gesetzt, spüre ich – wie auch bei meinen bisherigen Reisen auf See: Balance und Koordinierung, Körpergefühl und Aufmerksamkeit sind gefordert. Die Rumpfmuskulatur ist permanent damit beschäftigt, die Schaukelbewegungen des Schiffs auszugleichen. Ein gutes Rückentraining. Gedanklich lebe ich auf dem Boot vom ersten Moment an vollkommen im Hier und Jetzt, vergesse sämtliche Dinge des Alltags. Ich freue mich auf die vor uns liegende Woche. Und darauf, die mir größtenteils noch unbekannten Frauen kennenzulernen, mit ihnen zu einer funktionierenden Seemannschaft zu verschmelzen.
Mit Motor und Mundorgel
Unser erster Schlag führt nach Westen, quer durch den Saronischen Golf zur Insel Poros. Zu bewältigen sind rund 35 Seemeilen auf einem nicht besonders vielversprechenden Raumschotkurs mit ziemlich Welle und wenig Wind. Da wir möglichst im Hellen ankommen wollen, ist das Zeitfenster recht eng. Schließlich wird es um sieben Uhr bereits dunkel. Also erfolgt die Überfahrt mit Unterstützung des Motors.
Als irgendwann unterwegs eine von uns ein Lied anstimmt, sind schlagartig alle persönlichen Hemmschwellen überwunden. Die gesamte Crew singt aus voller Kehle mit, und zwar gefühlt das komplette Repertoire der Mundorgel – auswendig – von deutschen Volksliedern über Gospels bis hin zu allgemein bekannten englischen Pop-Songs. Per Zufall wurde auf unserem Boot ein Trüppchen begeisterter Sängerinnen zusammengewürfelt. Wer hätte das gedacht! Das gemeinsame Singen schafft direkt ein hohes Maß an Sympathie untereinander. Die Frauen, die noch vor ein paar Stunden kaum mehr als Fremde für mich waren, wachsen mir sofort ans Herz.
Als wir am späten Sonntagnachmittag in Poros einlaufen, flanieren auf der Uferpromenade etliche Marine-Soldaten in schmucken weißen Matrosen-Uniformen. Ein schöner Anblick. Manche haben ein hübsches Mädchen an der Hand, andere sind in Gruppen unterwegs. Wie ich später herausfinde, ist Poros seit 1846 ein Flottenstützpunkt der griechischen Marine.
Insel der Gewürze
Nachdem am nächsten Morgen endlich alle, wie versprochen, ihr Gepäck wiederhaben, geht die Fahrt weiter Richtung Spetses. Der Name der Insel stammt aus der Zeit, als sie zum venezianischen Reich gehörte (13. bis 15. Jahrhundert). Sie wurde „Isola delle spezie“, also Insel der Gewürze, genannt. Und ja, der würzige Duft von Kräutern und Pinien dringt bis zu uns aufs Schiff, als wir die Küste entlangsegeln. Weil der Stadthafen bei unserer Ankunft bereits voll belegt ist, fahren wir weiter zu einer schönen Ankerbucht. Hier genießen wir die gute Luft, die Ruhe und das Baden im Meer. Und auch am nächsten Morgen sind wir schon um sieben Uhr wieder im Wasser – nicht nur Eva im sprichwörtlichen „Evakostüm“.
Doch wir wollen früh los, um es bis Mittag nach Hydra, den Höhepunkt unserer Reise, zu schaffen. Denn auch dort sind Liegeplätze knapp, und wir möchten uns die Erkundung des idyllischen Städtchens auf keinen Fall entgehen lassen. Bei bestem Segelwetter kreuzen wir in Richtung Osten und haben erstmals ausgiebig Gelegenheit, das Wendemanöver zu üben. Viki, mit 18 Jahren unser Küken an Bord, bewährt sich dabei hervorragend als Steuerfrau. Zwischen den Manövern ist ausgiebig Zeit für Gespräche. So lernen wir uns langsam recht gut kennen.
Hydra: bezaubernde Schönheit
Als wir auf Hydra ankommen, gibt es glücklicherweise einen letzten Liegeplatz in erster Reihe mitten in dem pittoresken Städtchen. Der Hafenmeister, ein griechisches Unikum mit riesigem grauem Rauschebart, weist uns in die Lücke zwischen einem Frachtschiff und einer Yacht ein. „Anker runter“, ruft Tina und parkt im Nullkommanichts rückwärts ein. Römisch-katholisch, wie es sich in Griechenland gehört. Jetzt noch die Heckleinen festmachen, und schon sind wir fertig mit dem Anlegemanöver.
Die Schönheit dieses Ortes zaubert ein glückliches Strahlen in unsere Gesichter. Wir umarmen uns, trinken ein Anlegerbier und gehen auf Erkundungstour. Bis auf Tina, die an Bord bleibt, um auf unser Schwesterschiff zu warten. Unsere kleine Wanderung führt durch hübsche Gässchen, vorbei an verwinkelten, strahlend weißen Häusern mit blauen oder türkisfarbenen Türen und Fensterläden sowie prächtig blühendenden Bougainvillea-Sträuchern. Hin und wieder halten wir inne, erlauschen die einzigartige Ruhe des Ortes. Motorengeräusche durch Autos oder Mopeds sind hier Fehlanzeige. Als Transportmittel auf Hydra dienen Esel. Wir marschieren weiter bergauf, folgen einem Wegweiser in Richtung Leuchtturm, genießen die herrliche Aussicht über den Hafen und das Meer. In der Ferne braut sich inzwischen ein Gewitter zusammen, sodass wir uns bald zur Umkehr entschließen. Gerade noch rechtzeitig vor dem Wolkenbruch erreichen wir eine Taverne.
Als wir nach dem Gewitter zu unserem Schiff zurückkehren, erfahren wir, dass wir zwischenzeitlich einiges verpasst haben: Just in dem Augenblick, als unser Schwesterschiff neben uns in einer freigewordenen Lücke festmachen wollte, quetschte sich ein dicker Katamaran in den für ihn zu engen Liegeplatz. Nach dem Motto „Platz da, hier komm‘ ich!“ schob er die Hypatia und eine andere Yacht zur Seite und machte sich dazwischen breit. Der Name des Schiffes: Cosa Nostra. Ist es ein Zufall, dass der Katamaran ausgerechnet nach einer berühmt-berüchtigten Mafia-Familie benannt ist? Unser Boot wurde bei der rücksichtslosen Aktion näher an den Stahlfrachter herangedrückt, infolgedessen zwei Relingstützen im Gewittersturm verbogen.
Tête-a-tête mit Tulpen-Piet
Am Abend hat sich der Ärger über den Besitzer der Cosa Nostra gelegt, und wir machen es uns gutgelaunt im Cockpit gemütlich. Der Herrenbesuch lässt nicht lange auf sich warten: Zwei attraktive Holländer kommen mit einer Flasche Baileys an Bord und wollen wissen, ob wir tatsächlich auch segeln. Seltsames Getränk in Griechenland und seltsame Frage auf einer Segelyacht. Offenbar fällt es ihnen schwer sich vorzustellen, dass Frauen ohne männliche Hilfe segeln können. Es wird dennoch ein lustiger Abend mit Tulpenbauer Piet aus der Nähe von Amsterdam und dessen Kumpel.
„Kein Griechenland-Törn ohne Ankersalat“ habe ich irgendwo bei der Vorbereitung auf unsere Reise gelesen. Dieser Programmpunkt kann dann auch prompt am nächsten Vormittag abgehakt werden. Beim Heben des Ankers im engen Hafenbecken von Hydra stellen wir fest, dass eine andere Ankerkette genau darüber liegt. Karin, die bei diesem Törn zum ersten Mal auf einem Segelboot mitfährt, erklärt sich sofort bereit zu tauchen und befreit unser Schiff aus der misslichen Lage.
Um uns herum befinden sich am Himmel nach wie vor dicke, dunkle Wolken, ein weiteres Gewitter kann nicht ausgeschlossen werden. Daher geht es zügig unter Motor weiter nach Poros. Dort verlangt man zum ersten und letzten Mal auf dieser Reise eine Liegegebühr von uns: 2,40 Euro!
Odysseus und die Sirenen
Richtig stramm segeln können wir dann wieder am darauffolgenden Tag: Bei sonnigem Wetter und fünf bis sechs Beaufort kreuzen wir in Richtung Ägina. Unsere Wendemanöver gelingen immer besser, die Hypatia schneidet kraftvoll durchs Wasser, das Segeln ist ein wahrer Genuss. Unser Schwesterschiff ist dennoch schneller und kommt uns auf Ägina schon wieder entgegen: Kein Platz mehr im Hafen. So freuen wir uns auf eine letzte schöne Nacht in einer herrlichen Ankerbucht.
Mit etwas Fantasie lassen sich unsere restlichen Lebensmittelvorräte noch einmal zu einem leckeren Dinner verarbeiten. Eva transportiert, eingeklemmt unter dem Band ihrer Taucherbrille, einen schönen Strauß Petersilie vom Nachbarschiff herbei. Mit frischen Kräutern schmeckt’s schließlich noch besser! Beim Essen beobachten wir den Sonnenuntergang über dem Meer, später liest Saskia uns im Schein eines praktischen und windsicheren Grablichts die Geschichte von Odysseus und den Sirenen vor. Ein wunderbarer Abend.
Doch irgendwie werden wir den Verdacht nicht los, dass sich unser Schiff nicht mehr an derselben Stelle befindet. Tina beschließt, ein paar Stunden zu schlafen, um später, wenn alle anderen zu Bett gehen, Ankerwache zu halten. Kaum liegt sie in der Koje, bewegt sich die Hypatia nun zweifelsfrei in Richtung Meer. Und auch vom Nachbarschiff hören wir Rufe: „Was ist mit eurem Anker?“ Schnell ist unsere Skipperin auf Deck, und wir suchen eine neue Stelle zum Ankern. Um in der Nacht keine böse Überraschung zu erleben, teilen wir zweistündige Ankerwachen ein. Das nächtliche Wachesitzen im Cockpit beschert uns ein Erlebnis mit einzigartigen Eindrücken.
Das große Finale
Bei unserem letzten Schlag zurück nach Lavrio bläst Poseidon noch einmal kräftig ins Horn. Windstärke 5-6, hohe Wellen und ein Halbwind-Kurs sorgen für einen traumhaften Ritt. Zum krönenden Abschluss stehen vier Seemeilen genau nach Norden gegen den in der griechischen Ägäis häufig auftretenden „Meltemi“ auf dem Programm. Die Wellen sind nun noch höher, der Wind noch stärker, mit Kreuzen schaffen wir das nicht. So motoren wir die letzte Etappe unserer Fahrt mit 3,8 Knoten in Richtung Heimathafen. Ich stehe am Steuer, genieße die Kraft und Energie der Elemente, Gischt sprüht mir bei fast jeder Welle ins Gesicht. Der dunkelblaue Kapuzenpulli mit der Aufschrift „Women only“ wird langsam grau vor Salz. Der Wind trocknet ihn fast so schnell, wie er wieder nassgespritzt wird. Das große Finale eines wunderbaren Segeltörns!
Fotos: Sabine Umla-Latz